Das Lachen bleibt im Hals stecken

Lübbe weiß, wie schwierig es für einen neuen Schauspieldirektor ist, praktisch von Null anzufangen. Kein Repertoire-Stück haben, viele Schauspieler weg, aus dem Nichts eine erfolgreiche Spielzeit zaubern. Carsten Knödler hat dankbar zugegriffen – und eine beeindruckende Arbeit abgeliefert, die ihm den Anfang erleichtert und uns in der nächsten Spielzeit noch viel Freude machen wird. Ein guter Start für den Noch-Intendanten des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz-Zittau. Er hatte schon von 1995 bis 2003 am Chemnitzer Haus als Schauspieler und Regisseur beeindruckt. In ein paar Wochen ist er Chef. Das erhöht den Erfolgs-Druck selbst für einen mit allen Wassern gewaschenen Theatermann wie Carsten Knödler.

Es ist ein verdammt bitterböses komisches Stück, das er uns vorsetzt. Albees Wo(o)lf im Schafspelz. Wir haben am Freitag die zweite Aufführung (nach der Premiere vergangenes Wochenende) gesehen. O ja, es gibt viel zu lachen. Edward Albee hat mit seiner „Virginia Woolf” ein Stück für alle Rampensäue dieser Welt geschrieben, nicht nur für Liz Taylor und Richard Burton, mit denen es vor fast 40 Jahren verfilmt und zum Erfolg verdammt wurde. Was sich da an Retourkutschen, Wortwitzen und Alk-spirituellen Neckereien abziehen lässt, das macht Laune. Aber das Lachen bleibt dem Publikum schnell im Hals stecken. Zu böse ist das eigene Spiegelbild, das da von der Bühne herunter geworfen wird. Zum (buchstäblich) Kotzen die Wahrheit hinter der Illusion. (Das Spiel mit der Illusion ist das Motto der laufenden Spielzeit am Chemnitzer Schauspielhaus).

Knödler beherrscht das Spiel mit dem doppelten Boden. Nichts ist, wie es scheint, schon gar nicht, wie es wirklich ist.

Die Hauptrolle spielt eigentlich der Alkohol. Hier der Bourbon, der in dieser „Virginia”-Nacht in Strömen fließt. Er sieht aus wie Whisky. Aber jeder Liebhaber des echten schottischen Landweins verachtet dieses Gesöff, das nicht aus Malt gaumenkitzelnd hergestellt, sondern aus Mais oder Sonst-was-Pampe zu Kopfschmerz-Alc verhunzt werde. Aber auch in Bourbon kann Wahrheit stecken (wie bei anderen in Rauchbier, das einem E.T.A. Hoffmann ebenfalls am frühen besoffenen Morgen den Kopf freischoss für die „klarsten” Novellen). Da liegen die Seelen blank, die Wahrheit im Innern, und das äußere Gehabe wird lächerlich. Und wir alle lachen, wenn wir es sehen, bis – Sch…, wir klar sehen, was wirklich ist…

Albees Akteure auf Knödlers Bühne brauchen lange dazu. George (klasse in der Wandlungsfähigkeit Philipp Otto), unterklassiger Historiker von einem Wissenschafts-Format eines „ Kollegen” Guido Knopp, meint, er habe alles im Griff, obwohl er spürt, dass er nichts im Griff hat. Und während er den großen Mann raushängt, lässt Knödler eine Counter-Tenor-Arie einspielen. Meint Kastrat. Meint halber Mann… Meint einen, der nie einen Sohn zeugen, aber den erfundenen – was für eine Großtat! – „töten” kann

Seine Frau Martha (Susanne Stein – die harsche, böse, sehnsüchtige Möchtegern-Herrscherin über ein Nichts mit Krone und Zepter von College-Chef-Vaters Gnaden) verkündet zwar „Süßer, ich sauf dich unter jeden Tisch” und „Jemand muss hier ja die Hosen anhaben” – nur hat sie eben kurz davor die Hosen ausgezogen und das Kleid angezogen, damit sie Spaß mit Nick neben Zwiebelschalen in der Küche haben und die Beine breit machen kann zum Schlummerlied am Schluss (wer wiegt da wen?). „Morgen früh, wenn Gott will” – für so betröppelte, hoffnungslose Lebenslüge-Figuren, die nicht wissen, was sie ohne Illusionen anfangen können, hat Vater Brahms sein Wiegenlied (Zu einem Text aus „Des Knaben Wunderhorn”) kaum komponiert. Guten Abend, gute Nacht. Von wegen… Romantik passé. Harmonie ist ausgeklimpert. Morgen früh, wenn Angst will, fängt die gleiche Sch… wieder von vorn an.

Die „Süße” (Lysann Schläfke), halb so alt wie Martha, die mit ihren 52 kein Kind mehr kriegen kann, die könnte, aber der Schmerzen wegen, nicht will, ersäuft ihren Kummer über das (nicht gekriegte, weil abgetriebene?) Kind in Alkohol und Tanzekstase – ausgerechnet zu einem Trauermarsch. Dieser Boulevard-Totentanz ist eine der eindrucksvollsten Szenen des Stücks.

Die Süße trällert auch am verrücktesten dieses Kinder-Liedchen, das eigentlich vom bösen Wolf spricht („Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?”), nicht wissend, dass die Albee-Variante mit „Virginia Woolf” eine böse Sentenz birgt. Diese Virginia Woolf (1882-1941) gab es wirklich. Sie war Schriftstellerin und Verlegerin. Und Feministin. Eine, die den männlichen Wir-haben-es-geschafft-Bürgern an den Kragen und anderswo hinwollte, wenn sie Mädchen wie die Süße nur brauchten, um sie als Aushängeschild zu gebrauchen. Aber wer hat schon Angst vor Virginia Woolf, wer Virginia Woolf, die Wölfin, gar nicht kennt…

Wie Nick (Constantin Lücke) etwa. Der Angepasste, der Brave. Der vielleicht zu Brave. Dem eigentlich nur das Gel in den Haaren zum äußerlich perfekten Yuppie fehlt. Der vielleicht von Biologie und Genetik was versteht, aber nicht von Menschen. Oder von Liebe. Den die alte, sonst ausgetrocknete Martha im schwärendfeuchten Küchenklima verschlingen kann, weil sie die Tochter seines Chefs ist.

Nichts ist, wie es scheint, und schon gar nicht, wie es ist. Noch nicht mal die Möbel, die an Mies van der Rohes Barcelona-Sessel erinnern, aber keine sind. Die o-wie-schön-haben sie’s-hier-Wohnung der späten 50er Jahre, in der es eigentlich niemand aushalten kann (Bühne: Etienne Pluss). Das Gewehr, das Kunstblumen schießt. Es sind die vielen, vielen Kleinigkeiten, die alles ent- und verhüllen. Die Realität und Illusion, Wunsch und Wirklichkeit, Träumen und Sein ständig mischen. Und großartige Schauspieler, die uns zum Lachen bringen und dazu, dass uns das Lachen gleich wieder im Hals stecken bleibt.

Das ist gekonnt. Gelungenes Debut für Carsten Knödler. Guter Start. Wir freuen uns auf die 15 angekündigten Premieren.