Ob das hinhaut?
Als der junge, bereits Werther (Frau zwischen zwei Männern) -berühmte Goethe mit 26 seine „Stella“ schrieb, war er verlobt. Mit Anna Elisabeth Schönemann, genannt Lili. Die war ein ordentlicher Feger. So recht kam Goethe mit ihr nicht klar, dichtet: „Sie streicht ihm mit dem Füßchen übern Rücken; /Er denkt im Paradiese zu sein. /Wie ihn alle sieben Sinne jücken! / Und sie – sieht ganz gelassen drein. / Ich küss‘ ihre Schuhe, kau‘ an den Sohlen, /Ganz sachte heb ich mich und schwinge mich verstohlen /Leis an ihr Knie – am günst’gen Tag /Lässt sie’s geschehn und krault mir um die Ohren…“
Das sollte wahre Liebe sein? Nein. Goethe setzte sich hin und schrieb „Stella – Ein Schauspiel für Liebende“. Zwei Frauen lieben einen Mann. Hat Mann gern. Und er kriegt beide. Und alle drei lieben sich. Friede, Freude, Eierkuchen. (Gab’s mit Lili nicht. Entlobung nach einem halben Jahr…)
1806, Goethe inzwischen gewichtige Amtsfigur in Weimar, war es nicht opportun, einen solch unmoralischen flotten Dreier auf die Bühne des kleinen Fürstentums zu bringen. Goethe setzte sich also wieder hin, änderte den Titel in „Stella. Ein Trauerspiel“ und den Schluss: der Mann und die Geliebte bringen sich um, die verlassene Frau mit ihrem Kind überlebt. Desaster für alle. Aber die gesellschaftliche Ordnung ist halbwegs wieder hergestellt.
Und wie machen’s Flache und seine Dramaturgin Kathrin Brune? Sie lassen erstmal den Titel „Schauspiel für Liebende“ stehen. Dann aber muss sich Fernando trotzdem erschießen. Also doch Trauerspiel. Stella scheint zu überleben. Ganz in Weiß, im Scheinwerferkegel auf dem Rondell, strahlt sie – die Stella, der Stern der Liebe. Vielleicht vom Firmament hinunter in die Dunkelheit der Erde. Stella heißt lateinisch „Stern“…
Noch eine Änderung gegenüber Goethe haben Flache/Bruhne eingeführt: eine dritte Frau, die Verwalterin, auch sie liebt Fernando. Die Figur muss mit Leben gefüllt werden. Sie kriegt Textpassagen von gestrichenen Figuren (gut gemacht), aber auch von Cäcilie. Das ist die Frau, die Fernando samt Töchterchen Lucie schmählich verlassen hatte. Da wird’s ein bisschen problematisch. Bei Goethe erzählt Cäcilie die Geschichte des Ritters von Gleichen (Kreuzritter nimmt Lebensretterin mit nach Hause. Seine Frau vergibt und der Papst erteilt Dispens. Sie wollen/dürfen zusammen leben, bis dass der Tod…).
Manche Germanisten beölen sich nachzuweisen, dass der Vergleich mit der Legende hinten und vorne hakt, und Herr Goethe hier einen Fauxpas begangen hat. Sei’s drum. In einem sind sie sich einig: Mit ihrer Erzählung eröffnet Cäcilie die Möglichkeit eines Lebens zu dritt. Wenn jetzt die Verwalterin die Story erzählt, soll das dann ein Leben zu viert werden? Da passt dann überhaupt nichts mehr. Die Germanisten würden erst recht die Nase rümpfen.
Das stört Flache/Bruhne aber nicht. Ihr Ansatz ist ein anderer. Sie wollen an „Stella“ zeigen, dass es ganz verschiedene Liebesformen gibt und die Gesellschaft oft unfähig oder nicht gewillt ist, sie zu akzeptieren. Von „polyamourösen Beziehungen“ ist im Programmheft mehrfach die Rede. (Programmheft und stückebegleitende Ausstellung haben Bachelor-Studenten der Fächer Interkulturelle Kommunikation und Germanistik der TU erstellt. Interessante Kooperation!)
Wie gehen Menschen miteinander um? Welche Beziehungen dulden sie, mögen sie, halten sie für gut? Sitzen wir alle im Glashaus, unserer Festung.Ich (Motto dieser Spielzeit)? Und werfen Steine, weil wir neidisch, eifersüchtig, egoistisch sind? Oder nur Sand, der nicht wehtut, wie hier im Stück?
Das hat was. Und es klappt.
Anja Farthmann (Bühne und Kostüme) hat vier Glashäuser im Raum gebaut, (nicht wirkliche) Schutzräume für Egoismen, die aneinandergeraten, wenn sie aus ihren gläsernen Seelen-Schneckenhäusern auf das Dreh-Rondell der Öffentlichkeit geworfen werden, wenn der feste Boden sandig fragil wird. Gute Idee auch, das Bild Fernandos, um den sich alles dreht, dort sich drehen zu lassen. Bei Goethe hängt es zum Traktieren an Stellas Wohnzimmer-Wand. Als gehöre ihr der Mann allein.
Polyamourös: Das zwingt, die Figuren als ganz unterschiedliche Liebes-Prototypen zu zeigen, als Variationen des Polyamourisme (heißt das so?). Cäcilie ist die leidvoll Liebende (bis zur notfalls aufopfernden Bi-Lesbe). Sie darf nicht nur lieben, sie muss sich auch um Haushalt und Tochter kümmern, Familie managen. Maria Schubert gibt das Opfertier so glaubhaft und seriös, dass jede(r) gleich Mitleid mit ihr hat. Stella, bei Goethe noch die Verkörperung der absoluten, der sublimen Liebe, Gestaltwerdung auch der künstlerischen Ästhetik, die sich einen Sch… um die Gesellschaft kümmern muss, ist Magda Decker. Flache macht sie zur absolut Liebenden, zur 24-Jährigen, die wie ein Teenager verknallt ist, rumalbert, sauer ist, rotwangig verliebt bis über beide Ohren. Die Liebe per se. Eher Natur als Sentimentalisch. Um mit Goethe zu definieren. Herrlich, wie sie sich mit Fernando rosengebettet auf dem Rondell balzend balgt. Pia-Micaela Barucki gibt die bei Flache entscheidend wichtige Mischung aus dea ex machina und griechisch besser- oder alleswissendem Chor. Sie hat schon alles erlebt, und trotzdem würde sie alles liegen lassen, kriegte sie Fernando. Und aller Mist stänke von vorn. Sie ist auch die, die am ehesten spürt, wo Liebesgefahr droht. Tolle Charakterstudie. Und Lucie, das Töchterchen? Lysann Schläfke begeisterte uns einmal mehr. Wie kindlich kindisch sie das Mädchen rüberbringt, wie sie große Augen kriegen kann und ganz nah am Wasser gebaut ist, wenn sie spitz kriegt, dass da was falsch läuft.
Bleibt Fernando. Zweimal war er stark. Zweimal hat er eine Frau verlassen, obwohl er sie liebte. Aber ihm das nicht reichte. In den Krieg gezogen. Kommt zurück, versteht nichts mehr. Beschimpft das Kind, weil es ihn angeblich in die bescheidene Lage gebracht hat. Seine Tochter… Keine Spur von Vater. Keine Spur von Liebe, die stark ist. Verspricht der einen endgültige Liebe, sagt der anderen, er bleibe bei ihr. Und wenn er einmal Klartext redet („Ich verlasse dich“), glaubt er selbst nicht dran. Jan Gerrit Brüggemann passt sich dem Regiekonzept des irrend wirrenden Liebessuchenden und ewig enttäuschten Pseudo-Idealisten ideal an. Kein Mann mit Ziel, ein barock Geworfener. Von starken, zumindest stärkeren Frauen.
Flache hatte es mit sechs Frauen zu tun (Leitung und Schauspielerinnen). Und mit einem Mann, Fernando. (Was – nebenbei – noch ein gutes Verhältnis ist. In den Kunstsammlungen Chemnitz ist das Verhältnis 1:20). Alle Frauen lieben Fernando. Aber er ist schwach. Des Kampfes und des Krieges satt. Kann sich nicht entscheiden. Nicht für alle, nicht für eine. Jagt sich lieber eine Kugel in den Kopf, um Ruhe zu haben. Will niemandem weh tun. Auswegloser Egozentriker im Psycholoch. Schwachheit, Dein Name ist Mann.
Nächste Vorstellungen: 4., 11., 19., 24. März 2016, jeweils 20 Uhr, Ostflügel