„Quattro Vaganti“ mit Mozart auf Darm(saiten) und Čakrt auf Stahl am Montag in der „Spielzeit“ —
Sie nennen sich „Vaganti“. Frei übersetzt: die Stromer, die Herumstreuner. Sie wandern durch die Musikepochen und Musikstile, freuen sich, wenn sie Unbekanntes entdecken abseits der ausgetretenen Klassikprogrammpfade. Die vier Vaganten sind die Robert-Schumann-Philharmoniker Ovidiu Simbotin (Geige), Sebastian Mickelthwate (Bratsche) und Rolf Müller (Cello). Mit dabei als engagierte Musikpfadfinderin Adéla Drechsel. Mit einem besonderen Mozart und einem aufregenden Čakrt stromern sie am 28. Oktober ins Landschloss Zuschendorf, am Montag aber machten die Vaganten erstmal Station bei der „Spielzeit im Kraftwerk“. Und kamen vor lauter Beifall um eine Zugabe nicht herum.
Im Programm stand zwar, die Vaganten würden das Streichquartett KV 241 spielen, aber mit den Zahlen haben‘s die Stromer nicht so. Sie hatten sich aber ein ganz besonderes Quartett des Meisters vorgenommen: das Quartett mit der Nummer 421 im Köchel-Verzeichnis ist das einzige unter den großen Mozart-Quartetten in Moll. Aber das macht es nicht allein zum Besonderen. Entstanden ist es am 17. Juni 1783 in der Nacht, als Mozarts Frau Constanze in Wien ihren Sohn Raimund Leopold Mozart auf die Welt brachte.
Mozart komponierte in dem Zimmer, in dem seine Frau seit halb zwei Uhr in den Wehen lag. Ihr zweiter Mann zeichnete auf, was sie ihm später berichtet hatte: „So oft sie Leiden äusserte, lief er auf sie zu, um sie zu trösten und aufzuheitern; und wenn sie etwas beruhigt war, ging er wieder zu seinem Papier. Nach ihrer Erzählung wurden der Menuett und das Trio gerade bey ihrer Entbindung componirt.” Da war es schon halb Sieben am Morgen. Einen „großen, starken und kugelrunden Buben“ habe Constanze auf die Welt gebracht, schrieb Mozart an seinen Vater Leopold, den frisch gebackenen Opa des jungen Erdenbürgers.
Und warum dann ausgerechnet in d-moll, der Tonart des Requiems und des Don Giovanni?, fragte sich Adéla Drechsel, die charmant und wissensreich durch das Programm führte… Vielleicht hat Mozart schon geahnt, dass der prachtvolle Bursch kein langes Leben haben werde. Schon am 19. August 1783 ist der kleine Mann gestorben.
Das Quattro Vaganti spielte das Quartett in historischer Praxis auf Instrumenten mit Darmsaiten, Stahlsaiten hat es zu Mozarts Zeiten noch nicht gegeben. Und Vibrato auch noch nicht. Also hat Mozart all den Schmerz, all die Wehen, all die Freuden in Figuren, Triller und wunderschöne Melodien (Trio mit Pizzikato-Begleitung) hineinkomponiert. Und die vier Vaganti wissen genau, wie man sich auf unsicheren Pfaden zurechtfindet.
Adéla Drechsel spielt beim Mozart die erste Geige. Beim Čakrt die zweite, doch hatte sie auch hier den Ton angegeben. Der in Deutschland fast unbekannte Michal Čakrt (1924-1997) stammt aus derselben Stadt im Riesengebirge wie die Geigerin, aus Trutnov, früher Trautenau. Er hatte, da systemkritisch, ein schwieriges Leben. Und gesund war er auch nicht. Aber davon spürt man in dem Quartett Volné chvíle (Freie Momente) nichts. Da wuselt die Großstadt (4. Satz), da ergeht sich die feine Gesellschaft auf der Kurpromenade (3.), und da sind (nicht nur) die Vaganten unterwegs über Stock und Stein (1. Satz). Čakrt ist kein Neutöner. Er liebt die Melodien seines Volkes – dem großen Landsmann Dvořák sehr verwandt. Und da konnten die Vaganten nun auf ihren modernen (ein paar Hertz höher gestimmten) Instrumenten singen und fetzen, dass man nur seine Freude dran hatte.
Mit den Kollegen freute sich Jakub Tilman (samt Nachwuchs), der „Vater“ der kultigen Spielzeiten, aber auch Philharmoniker-Kollege Matthias Worm war gern Gast bei den stromernden Freunden. Herrliche Musik, auch ganz ohne Frack, vor fast vollem Haus, worüber sich die gastfreundliche Herrin des Kraftwerks, Ute Kiehn-Dziuballa herzlich freute. Schöner Abend im Trockenen. Bei dem Sauwetter jagt man keinen Hund ins Freie, noch nicht mal Vaganten…
Bei der nächsten Spielzeit wird’s, Kontrast!, höfisch. Das Erzherzogtrio ist angekündigt. Kann sich nur um Beethovens Geniestreich handeln. Termin: 20. November, wie immer 18 Uhr. Und, Erzherzog hin oder her, auch wie immer in Alltagsklamotten. Ruhig stromerhaft.