Gutes Gespann: Schumann und Beermann

Beermann hatte wieder mal die richtige Nase. Die „Zwickauer Sinfonie“ kennt kaum einer. Wo sie bisher gespielt wurde, lasen die Musiker kaum die richtigen Noten von Schumann, auch bei der Gardiner-Aufnahme (DGG 1998) nicht. Da waren noch nicht alle Quellen zugänglich. Für das Schumann-Fest 2013 in Zwickau hatte der Leipziger Olav Kröger, der Schauspielkapellmeister in Altenburg/Gera, die Sinfonie kreativ eingerichtet und Skizzen Schumanns für einen dritten und vierten Satz ausgearbeitet, von denen schließlich nur der dritte von der  Chursächsischen Philharmonie Bad Elster unter GMD Florian Merz aufgeführt wurde (für den vierten war die Probenzeit zu kurz).

Noch ehe die Neue Schumann Gesamtausgabe bei Schott erschienen war, hat Beermann bereits die Fassung der „Zwickauer“ von Matthias Wendt verwenden können. Man wusste bei Schott  in Mainz spätestens seit der Sinfonien-Aufnahme nach der neuen kritischen Ausgabe, welchem neugierigen Dirigenten und welchem Klasse-Orchester  man da das Recht der Erstaufführung anvertraute. Auch wenn die Sinfonie nie fertig wurde, Wendt ist – weil er auf alle bekannten Quellen zugreifen konnte – bestimmt am nächsten an dem dran, was Schumann damals aufgeschrieben hat.

Und das war besser, als er es selbst einschätzte. Am und für’s Klavier fühlte sich Schumann sicher. Mit dem „am“ war’s allerdings gleich vorbei. Mit einer Schlingenkonstruktion hatte er den Ringfinger zum besseren Brillieren kräftigen wollen, aber seine Sehne kaputt gemacht. Aus war‘s mit der Pianistenlaufbahn. Die machte dann später seine Frau Clara Wieck (die übrigens als 13-Jährige (!) auch in dem Konzert mitwirkte, als der erste Satz der g-moll-Sinfonie, der späteren „Zwickauer“ uraufgeführt wurde). Schumann  musste sich dem „Symphonischen“ zuwenden. Und hatte Schiss vor der Instrumentierung. Er sei „ziemlich mißtrauisch“ gegen sein „symphonisches Talent“.  Dummerweise äußerte er das nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass bis heute manche Kritiker behaupten, Schumann habe zeitlebens schlecht orchestriert.

Was Quatsch ist. Wenn man die Beermann-Aufnahmen mit der Robert-Schumann-Philharmonie hört, auch die neue. Gerade die neue. Schumann war kein Wunderkind wie Mozart. Und mit 21 hatte er wirklich noch keine Instrumentierbäume ausgerissen. Aber in den beiden Sätzen der „Zwickauer“ blitzt es bereits an Ideen. Wenn da nicht der breite Schwulst einer breiig dicken sächsischen Kartoffelsuppe und das spannungslose Gerinnen einer dünnen Milwchwassersuppe gespielt werden. Beermann strukturiert. Und macht Ideen sichtbar. Wie im Pseudoschluss mitten im ersten Satz in der Unisono-Abwärtsbewegung der Streicher, die das Fagott unerwartet elegant weiterführend aufgreift. Oder wenn aus der Anfangsquinte des Satzes ein mutig bepaukter Sprung ins Finale des Satzes wird. Auch wenn da noch nicht alles „groß“ ist, was der große Schumann da in seinem Jugendwerk abgeliefert hat, es macht Freude zu hören, wie sich ein junges Ideenbündel versucht, in „Form“ zu bringen. Wer Schumanns spätere große Orchesterwerke richtig hören will, tut gut daran, sich diese Beermann-Aufnahme mit der Robert-Schumann-Philharmonie einzuflößen.

Wer auch immer bei cpo der CD die melancholische „Mondnacht über nordischer Mondlandschaft“  von Caspar David Friedrich als Titelbild verordnet hat, liegt daneben. Beermann und die Philharmoniker spielen keinen in Melancholie ersaufenden Romantiker (Gardiner lässt sogar o schluchz o trän… glissierende Streicher zu), sie musizieren einen flotten, bisweilen fröhlichen Schumann (op.52), der an Mendelssohns fröhliche „Italienische“ erinnert. Das macht Spaß. Es gibt nicht nur den Schumann, der benebelt ins Wasser geht. Es gibt auch den leichtgewichtig Fröhlichen. Beermann ist im op.52 viereinhalb Minuten schneller als Konwitschny in seiner 1962er Aufnahme mit dem Gewandhaus-Orchester!

Wohl zu Recht wählt Beermann auch sonst zügige, schnellere Tempi, die Leichtigkeit erlauben. Keine Sorge: Die Geigen klingen auch bei den schnellen Staccato-Läufen in der Manfred-Ouvertüre lässig präzise, das Holz punktiert wunderbar hackgenau im Scherzo des op.52, und die Marseillaise in „Hermann und Dorothea“ klingt nicht – wie so oft – wie ein nur grob marschierender Militärmarsch, sondern einmal eher wie eine  ländlich sittliche Mitsummmelodie des alten Paares auf der Bank vor dem Haus, dann wieder schlichtweg – sie haben (im Gegensatz zu Hermann und Dorothea, den Jungen) viel Lebenserfahrung, die alten Leutchen – kanonendrohend. Das ist toll gemacht von Beermann und seinen Musikern.

Die „Julius Cäsar“-Ouvertüre wird oft mit Brahms zusammen kompiliert. Das hat gewiss Sinn. Brahms hat mit Schumann zusammen das Werk vierhändig am Klavier gespielt (Schumann unten…). Dass Beermann sie hier in die reine Schumann-CD dazu genommen hat, gefällt uns. Die ganze CD zeigt, wie Schumann sich symphonisch, instrumentalisierend und orchestrierend entwickelt hat. Und was dann an und zu Großem in den Sinfonien sich verdichten konnte. Insofern ist die ganze CD ein (didaktisch gelungenes) Lehrhörbuch für jeden, der Schumann verstehen will.

Für Sachsen ist diese CD geradezu ein Muss. Schon aus lokalpatriotischen Gründen. Der erste Satz  der „Zwickauer Sinfonie“ war  erstmals im Zwickauer Gewandhaus zu hören (1832), später in Schneeberg, wo Schumanns Bruder ganz in der Nähe von St.Wolfgang lebte (1833), und erst danach im Gewandhaus in Leipzig. Dort hat Mendelssohn auch (1846) die von Schumann revidierte Fassung von „Ouvertüre, Scherzo und Finale op.52“ aufgeführt, nachdem schon fünf Jahre eher die Uraufführung dort erklungen war. Auch die „Manfred“-Ouvertüre wurde zum ersten Mal öffentlich (unter Schumanns Leitung)  im Gewandhaus gespielt (1852). Die Uraufführung der Ouvertüre „Hermann und Dorothea“ am selben Ort erlebte Schumann nicht mehr (1857, ein halbes Jahr nach seinem Tod). Von den Stücken auf der neuen CD entstand nur die Ouvertüre „Julius Cäsar“ an Schumanns späterer Wirkungsstätte Düsseldorf.

Gut Ding will Weile haben. Das Label cpo braucht manchmal etwas länger… Die Schumann-Werke auf der neuen CD sind schon 2011in der Dresdner Lukaskirche aufgenommen worden, aber jetzt erst (im Dezember 2013) auf den Markt gekommen. Vielleicht wollte man ja erst noch den Erfolg der im Juni 2010 veröffentlichten vier gängigen Sinfonien auskosten, für die Frank Beermann und seine Chemnitzer Philharmoniker so viel Lob ernteten. Zumal schon ein Jahr vorher die Kritiker aufhorchten, als bei BIS die Schumann-Violinwerke mit Ulf Wallin und der Philharmonie unter Beermanns Leistung veröffentlicht worden waren. Dort schon immer Neues oder Wiederentdecktes: Die Sinfonien nach der neuen Werkausgabe, hochgelobt überall. Das Cello-Konzert in der von Schumann selbst umgeschriebenen Fassung für Geige. Und jetzt die „neue“  „Zwickauer“. Die Robert-Schumann-Philharmonie macht wieder ihrem Namen alle Ehre.

Die CD Robert Schumann, Symphony „Zwickauer“, cpo 777 719-2 ist an den Theaterkassen erhältlich. Noch für 15 €. Im Januar wird’s teurer (18€).