Himbeertoni

Himbeertoni – das war mal der, der nicht der Ar..h oder Leo von wem sein wollte. Autor John von Düffel liebte eher die rotsofterotische Variante für seinen dressierten Mann Basti alias Bastian, dessen Typ er bei Esther Vilar gemopst hat – wie den Plot des ganzen Stücks.

Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten. Wenn Sie wissen möchten, was alles hinter dem Stück steckt oder stecken könnte, lesen Sie weiter. Oder Sie springen zu den ***. Dahinter erfahren Sie, wie die Aufführung war.

Es gab mal eine Zeit (1975), da fetzten sich Alice „Emma“ Schwarzer und Esther Vilar vor einem Millionenpublikum im Fernsehen darüber, wer denn die wahre Feminismus-Päpstin wäre und ex cathedra verkünden dürfe, ob nun Mann (Vilar) oder Frau (Schwarzer) vom jeweils anderen Geschlecht dressiert würde.  Manches sprach für Schwarzer. Noch immer musste sich 1975 eine Frau im Westen von ihrem Mann die Erlaubnis holen, wenn sie arbeiten gehen wollte. Der Paragraf 1356 BGB wurde erst 1977 geändert. Und auch in der DDR hatten Eheleute seit 1966 ihr Leben gefälligst so einzurichten, „dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann“. Selbst das paradiesische Vorstellungen für Frauen in Saudi-Arabien. Noch heute. Sie dürfen – immerhin – vom 24. Juni 2018 an den Führerschein machen…

Vilar, Weltbürgerin, 1935 als Tochter deutsch-jüdischer Emigranten in Buenos Aires zur Welt gekommen und weit durch die Welt gereist, ließ sich von Alice keinen schwarzen „Emma“-Dunst vormachen. Ihr ging es gewaltig gegen den Strich, „dass wir Frauen uns zu Opfern stilisierten“. Dachte es, schrieb ihr als faschistisch verschrienes -dafür in Riesenauflagen gedrucktes- Plädoyer vom dressierten Mann, hängte den Ärztinnen-Kittel an den Nagel und wurde Mitglied in der Giordano-Bruno-Stiftung. Giordano Bruno war im 16. Jahrhundert hingerichtet worden, weil er das Weltall für ohne Ende erklärt hatte, aber auch ohne Anfang. Dann hätte es ja auch keine Schöpfung gegeben… Nun kommt wieder ein Papst ins Spiel. Johannes Paul II. erklärte im Jahr 2000 das damalige Urteil und die Hinrichtung Brunos für falsch. Prompt wurde 2004 die Giordano-Bruno-Stiftung gegründet, die sich als „Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung“ versteht. Gefundenes Fressen für Vilar. Und für von Düffel, der im selben Jahr Vilars Buch zur Komödie machte.

Von Düffel, Dramaturg, lange Jahre am Thalia-Theater in Hamburg, macht aus allem was. Sogar aus Thomas Manns Buddenbrooks-Wälzer ein Drama (in Hamburg). Oder aus der Nibelungen-Saga eine Komödie (in Worms). Am Rhein arbeitete er mit einem gewissen Dieter Wedel zusammen. Dem werden im Zeit-Magazin vom 4. Januar 2018 Gewalttaten gegen Frauen und Sexismus vorgeworfen. Er selbst weist alle Vorwürfe zurück, hatte sich schon Ende 2017 als Opfer der „#MeToo-Kampagne“ dargestellt. Als dressierter Mann, gewissermaßen.

Ganz und gar nicht dressiert scheint Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin und siebenfache Mutter. Herbert Olschok, früher Schauspieldirektor in Chemnitz, und Dramaturg René Schmidt haben sie in von Düffels Stück mal kurz hineingemogelt. Macht man heute. Aktueller Bezug und so.

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Genug der Vorrede.

Herbert Olschok (Regie) und Alexander Martynow (Bühne und Kostüme) verzichteten auf allen gedanklichen Schnickschnack und jede Klugscheißerei und ließen es einfach krachen. So wie es bei einer Boulevard-Komödie sein soll. Da wird kein Klischee ausgespart und kaum ein Gag, das Publikum hat im Minutentakt was zum Lachen.

Tiefsinn muss nicht sein, wenn Sie und ich nur über unsere allzu menschlichen Schwächen, Stärken und Selbsttäuschungen die Mundwinkel verziehen oder aus vollem Hals losprusten können. So wie Bastian (herrlich zwischen Nettaberdepp, Loser und stillem Triumphator Marko Bullack) den Wodka in Millionen Tröpfchen rausprustet, den ihm die Damen einflößen wollen, um ihm mit dem Alkohol eine Gehirnwäsche zu verpassen, wonach aller männliche Blödsinn auf der Toilette rausgek..zt werden kann. Man spürt, dass Bullack in seinem ersten Bühnenleben Tänzer war, nicht nur beim Sirtaki, der – warum auch immer – Anfang und Ende markiert.

Seraina Leuenberger als Helen macht nicht nur auf ihren 12cm-Plateau-High-Heels im roten Hoppla eine tolle Figur, sondern auch als halbviertelseriöse Bankerin und jungfräuliche Altweiberherrschaftsmagd in seriösem schwarzem Hosenanzug. Ulrike Euen (Helens Mutter) ist die selbst mit Servierschürze hinternwackelnde („Eins, zwei, Wiegeschritt“) Neureichgastgeberin der Mehrscheinalssein-Machtschule uralter Großbürgerbauart. Und die herrliche Christine Gabsch (Dr. Elisabeth Schröder-Röder, Bastians AufdieWeltBringerin, von Mutter will die Gendertante nichts wissen) kommt daher wie die zum Denkmal geschnitzte Erinnerung an eine Wirzeigen’sderWelt-EmanzenWG der 68er.

Bei solch vor Spielfreude sprudelnden Akteuren ist eh die halbe Miete für das Team drin. Aber auch sonst muss ja nicht alles platt daherkommen wie bei Millowitsch seligen Angedenkens, dessen Bühne vor wenigen Tagen Insolvenz angemeldet hat. Olschok weiß, wie man Zeichen setzt. Kleine, unscheinbare, die aber Wirkung erzielen und Geschichten erzählen. Das hat er schon damals beim (stummen) „Ballhaus“ bewiesen. Wieviel Kinder wird das Paar haben, und wie stelle ich das dar? Schön, die Idee mit den Bällen. Weil gar nichts seine Ordnung hat, weder die Vilarsche noch die Schwarzersche, und alle halb wie Clowns durchs Leben wimmern, hängt auch Picassos „Harlequin“ da, und dazu als Druck (Schein statt sein ist auch Macht, nicht wahr, Helen-Mutter Konstanze? – das Original hängt im Metropolitan-Museum in New York) und verkehrtrum, sprich seitenverkehrt. Und wie zeige ich, dass Helen nicht CEO in irgendeiner Fummelbude, sondern in einer seriösen Bank ist? Sie darf ihren Chef in Schwyzerdütsch nachäffen (Seraina Leuenberger in ihrer Basler Mundart – sie stammt vom Rheinknie, gopferteli gut). Und die Herbste ziehen durchs Land, und die Terrasse wird vollgeblättert und Helens Haar bekommt graue Strähnen – und alles bleibt wie’s ist oder genau umgekehrt.

Heute kann frau auch Bundeskanzlerin werden und mann Kindergärtner. Himbeertonis gibt’s immer. Männliche und weibliche. Und Hosen zeigen nicht mehr, wer die Macht anhat.

*) Und auch das passt wunderbar zum Stück. Das Korrekturprogramm mahnt mich mit Unterstrichelung, „Sie sollten den Ausdruck ersetzen“. „Weiber“ geht nicht mehr. Politisch unkorrekt. Dabei habe ich nur Schiller zitiert.

Viel Spaß bei den nächsten Vorstellungen, wenn Sie schnell sind und noch Karten kriegen: 2., 11., 17. Februar, 11. März 2018. Später sieht’s dann wieder besser aus mit freien Plätzen.