Das Leben. Ein Spiel?

Frisch, der Feinere, vielleicht auch der Intellektuellere unter den beiden Schweizer Dramatikern, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die deutsche Dramen-Landschaft geformt haben, hat immer betont, sein Stück sei ein Spiel. Und nichts als das. Und wenn ein Regisseur das anders sah, weil er etwa Ungereimtheiten in diesem Spiel entdeckte wie etwa der berühmte Noelte, der 1968 die Uraufführung am Zürcher Schauspielhaus machen sollte, dann flog er. Dem Zufall des (Glücks-)Spiels greift man nicht in die Weichen.

Was hätte Dürrenmatt („Der Besuch der alten Dame“), der andere Schweizer, die dramatischere Rampensau, aus dieser Tragikomödie gemacht… In „Die Ehe des Herrn Mississippi“ spielt auch eine Erweckung durch das „Kapital“ von Karl Marx eine gewichtige  Rolle. Bei Frisch ist der – einzig die Biografie verändernde – Eintritt Kürmanns in die KP eher ein – schlechter – Spielzug, weil er lieber die Welt als sich selbst ändern will. Bei Dürrenmatt kriecht der Großsprech-WeltausdenAngelnheber aus Angst vor den Panzern drunten auf der Straße unter den Tisch im Salon. Frischs Kürmann (Andreas Manz-Kozár, sprachlich und darstellerisch großartig wandlungsfähig) sinniert und schreit. Und kann die ewig Zigaretten rauchende Wiederholungstäterin Antoinette, seine zweite Frau, mit der ihn ein Zufall in die Ehe gespült hat, weder halten, noch loslassen. Bis sie (Andrea Zwicky), die erschossen Wiederauferstandene, ihm – ihre Biografie in der Tat ändernde –den Laufpass gibt.

Das nun wieder ist eine der Spitzfindigkeiten von Max Frisch. Nicht, dass sie ständig rauchen muss (wir hoffen, dass Andrea Zwicky – großartige, allen Facetten ihrer Figur(en) gerecht werdende Schauspielerin – im Privatleben nicht Nichtraucherin ist), sondern dass sie „Elsässerin“ ist. Und eine Frau aus dem Elsass (eben nicht der gerade Schweizer Preuße Kürmann) fällt die Entscheidung. Das geht eigentlich gar nicht. Frisch kannte das Lied sehr gut, mit dem die Elsässer sich selbst nationalhymnenverdächtig charakterisieren: „Der Hans im Schnokeloch (Schnakenloch – im Rheintal gibt’s Steckmücken ohne Ende)/ hett  (hat) alles, was er will/ …un (und) was er hett, das will er nicht/
un was er will , das hett er nicht“. Frisch-Komik. Seine Schweizer Landsleute haben den Gedankensalto verstanden. Eigentlich müsste Antoinette die unentschlossene  Kürfrau sein…

Die erste, beileibe nicht die letzte Zigarette. Alles wieder auf Null! Andrea Zwicky und Andreas Manz-Kozár

Wer immer nur auf die Vergangenheit schaut, wird nichts ändern, und wenn er’s tausendmal versucht. Die in Spielleiterin (Magda Decker) und Spielleiter (Christian Ruth) aufgeteilte Moderatorenfigur Frischs machen (Tablet-bewehrt) gute neutrale Schiedsrichter-Miene zum erfolglosen Wiederholungsspiel (und geben auch die Komparsenfiguren punktgenau treffend). Alles dreht sich im Kreis – deutet schon das minimalistische Holzrund auf der Bühne an  und die roten (Gedankengefängnis-)Türen im Hintergrund, die Dich nicht raus- und eine echte Veränderung nicht zulassen, weil auf der Rückseite, im „freien“ Draußen Spiegel angebracht sind, in denen Du wieder nichts anderes erkennst als den, der Du wirklich bist (Bühne und Kostüme: exzellent mitgedacht von Pia Wessels).

Am Ende steht Kürmann da, bedröppelt, und weiß, dass er nichts weiß, außer, dass er nur noch sieben Jahre zu leben hat. Jetzt, nicht im Aufwärmen alter Vergangenheiten,  müsste er Zukunft spielen, sie sich zumindest vorstellen. Was macht ein Mensch, wenn er weiß, dass er noch sieben Jahre zu leben hat… Mindestens so interessante Frage, wie die potenzielle Änderung der eigenen Biografie. Könnte Teil II der Geschichte sein. Doch die hat Frisch nie geschrieben.

Und so bleibt der arme Kürmann ziel- und planlos, trotz aller Pseudo-Veränderungschancen des bisherigen Lebens, im Allein. Kathrin Brune, die die Figuren geschickt durch die ständigen Wiederholungen, den auf Null (oder zwei oder zehn Uhr setzenden) Neuanfang führt, ohne dass sie ermüden, verlässt in der letzten Szene die Spielebene – die Protagonisten spielen nicht mehr nur, sie empfinden Empathie zu einander, die Trennung ist nicht einfach Biografie-Fakt, sie tun uns leid, diese Antoinette, die Liebeshungrige, die vor sich selbst und ihrer Erotikhörigkeit nie Ruhe finden wird, und der Verhaltensforscher, der mal die Chance bekam, sein Verhalten als erstes ehrlich zu erforschen, und dem es nicht gelang… Aus dem Theaterspiel wird Ernst des Lebens.

Eine sehr durchdachte Aufführung, in der das Lachen nicht zu kurz kommt (Frisch bezeichnete das Spiel als „Komödie“). Das Premieren-Publikum im ausverkauften Chemnitzer Schauspielhaus dankte mit lang anhaltendem, herzlichen Beifall.

Die nächsten Vorstellungen: 16. Februar, 5., 14. und 24. März