Das ist Chemnitz! Tausende harren aus im Regenguss. Petrus liebt den vierten Satz aus Beethovens Neunter. „Alle Menschen werden Brüder“

Die OB Barbara Ludwig (nebenbei auch Aufsichtsratsvorsitzende der Theater) war mit dem Fahrrad gekommen. GMD Guillermo García Calvo hatte einen weiteren Weg. Aber das ließ er sich nicht nehmen. Obwohl er gerade erst Geburtstag gefeiert hatte, obwohl er eben zum zweite Mal Vater geworden war, und obwohl er die Neunte  noch nie dirigiert hatte.

Calvo klatschte mit Recht den Zuhörern Beifall, so etwas hatte er noch nie erlebt. „Seine Chemnitzer“ harrten aus, obwohl im zweiten Satz unterbrochen werden musste. Regenponchos waren angesagt, verteilt von Mitarbeitern des Theaters, welchen Rang oder welche Stellung sie haben. Und das Publikum blieb da. Friedliebende Menschen, die ein Zeichen setzen wollten.

Und sie können auf Unterstützung von überall her rechnen. Kaum ein namhaftes Theater zwischen Berlin und Nürnberg, das nicht Chormitglieder nach Chemnitz entsandt hatte. Sie standen, oben auf dem Opernhaus-Balkon, in Regenponchos, wurscht, dass die Noten nass wurden. Und sangen mit den Chemnitzer Chören mit einer Begeisterung Schillers Ode in Beethovens Neunter, wie sie wohl kaum einer der Anwesenden je gehört hat. Und dann hörte der Regen gerade rechtzeitig auf. Petrus liebt den vierten Satz, sollte der Generalintendant später sagen.

Nur einer war traurig. Karl Hans Möller, ehemals Chefdramaturg der Theater Chemnitz, jetzt in Düsseldorf daheim. „Wenn wir nicht gerade heute – zu gleicher Zeit – in der Tonhalle mit der „Schöpfung“ von Haydn den 200. Geburtstag unseres Musikvereins zu Düsseldorf feiern würden, wäre ich mit sicherlich vielen Mitsängern auf der Bühne des Operplatzes der Partnerstadt Chemnitz, um mit Beethovens IX. ein extrem lautes und doch wohlklingendes „WIR SIND MEHR“ zu singen.“

Mehr. Quantität sagt nicht alle. Manchmal aber viel. 2.300 Teilnehmer für die Contra-Chemnitzer, deren Gebrüll extrem leise bisweilen vom Nischel herüberschallte, mehr als 5.000 auf und um den Theaterplatz.

Und mit der Qualität hatten die Chemnitzer Theater noch nie Probleme. Das Figurentheater holte Stefan Heym in die Aktualität, die Schauspieler schwitterten, und Seraina Leuenberger  holte Charlie Chaplins „Großen Diktator“ auf die Bühne, dass es einem vor lauter Weitsicht dieses großartigen Komikers und Menschen die Nackenhaare stellte. Nur das Ballett durfte nicht auftreten. Patrick Wurzel, künstlerischer Betriebsdirektor, sorgte sich wegen der Nässe um die Kolleginnen und Kollegen. Es sollte alles heil und stark bleiben.

„Gehen Sie mit dieser Stärkung nach Hause“, rief der Generalintendant den Menschen zu, die klatschnass und stehend mit dem Beifall nicht aufhören wollten. „Wir machen weiter“, versprach er. Nicht nur in seinem Namen. Sondern auch im Namen aller Mitarbeiter der Theater, die in fünf Tagen dieses demokratische Super-Event abseits von links oder rechts auf die Bühne gebracht hatten. „Ganz starke Leistung vom Theater! so proud!“, postete ein Teilnehmer nach dem Konzert auf Facebook. Recht hat er.

Das Fernsehen kümmert sich um Maaßen, den Präsidenten des Verfassungsschutzes, und zeigte in den Spätnachrichten von ARD, mdr bis ZDF, ein paar Sekunden von der Demo der Rechten. Keine Sekunde von dem, wie Chemnitz wirklich ist.

Wir haben’s erlebt. Und werden’s im Herzen bewahren. Kultur ist auch politisch. Und die Chemnitzer Theater haben wieder einmal bewiesen, was für ein Juwel sie für Chemnitz und das Ansehen der Stadt in der ganzen Welt sind.