Das kleine Wunder vom Kassberg

Jakub Tylman spielt (gestern, Montag) das zweite Cello, so wie früher schon jeder große Cellist, auch Rostropowitsch, auch Casals, sich an ein berühmtes Quartett hängte, um den wunderbaren Schubert einmal zu spielen. Ehre, wem Ehre gebührt: Jakub Tylman ist der Initiator der „Spielzeit“ im Kraftwerk. Er hat sich zum Robert-Schumann-Quartett gesellt, zu den Konzertmeistern Hartmut Schill, 1.Violine. Matthias Worm, Bratsche, zu Ovidiu Simbotin, 2.Violine, Tilman Trüdinger, Cello.

Die fünf haben Schuberts Quintett auch letztes Jahr öffentlich gespielt: während der Schubertiade, im Rathaus. Unter dem Diktat von angedrohten Sparzwängen. Unter den Augen und Ohren ihres GMD, der in das Konzert einführte. Begleitet von Hartwig Albiro, der aus Härtlings Schubert-Roman las. Sie trugen Frack, und sie musizierten wunderbar.

Aber jetzt spielen sie noch schöner. Irgendwie befreiter. Ohne Zwänge. Sie wagen was. Sie tasten sich nicht vorsichtig aneinander bei den offenen, heiklen Oktavenläufen – sie spielen drauf los, und es gelingt prächtig. Lupenreines Zusammenspiel zwischen erster und zweiter Violine, zwischen Bratsche und zweitem Cello. Sie hauen rein, dass Bogenhaare fliegen, wo Schubert Kraft verlangt, und sie kriegen (2. Satz, Schlusston) eine an- und abschwellende Dynamik im Piano hin.

Dieser Satz, einer der schönsten der Musikliteratur überhaupt, ist auch bei YouTube ein Renner. Mehrfach Sekundenangaben, wo der der Satz beginnt. Diesen traumhaft schönen Satz mag die Welt, nicht nur die musikalische. Aber da sitzen dann fünf Musiker, die die Einfachheit beherrschen müssen. Und das ist verteufelt schwer. Da müssen die Mittelstimmen (2.Violine, Bratsche, Cello) singen, als ob sie eine Stimme hätten, jeden Ton gestalten, dass Wohlklang entsteht. Alles, damit Violine 1 und Cello 2 mit ihrem Pizzikato-Abenteuer glänzen können. Ganz tief und ganz oben. Auf Bruchteile von Sekunden genau muss das passen, klingen soll es außerdem – auch im Doppelgriff auf hohen Saiten, wo das Klangvolumen viel, viel enger ist.

Wenn das so gut gemacht ist wie am Montag, wenn das klappt, dann kommen in den weiteren Sätzen auch die amüsanten Volksmelodien (was haben die Straußens nicht alles von Schubert gelernt…), die dissonanten Reibungen und die schnellen, parallelen Unisono-Läufe locker, flockig, wie aus dem Handgelenk. Und dann sprechen sie miteinander, Bratsche und Cello, nicken einander zu. Herrlich.

„Das war ein wunderbares Konzert“, sagte die Rosenkönigin Ute Kiehn am Schluss. Sie ist Chefin des Kraftwerks und nicht unbeteiligt am Erfolg der Reihe… „Leider ‚war‘ es, leider ist es vorbei“, ergänzte sie und überreichte je eine Rose an die Musiker, die mit Schuberts musikalischen Blumen so viel Freude in einen stinknormalen Arbeitstag gezaubert hatten. Und wieder brandete heißer Beifall auf. Wunderbarer Abendauftakt, das kleine Wunder vom Kassberg…