Beethoven 250: I „Trotziger Optimismus“

Die Stadthalle, gefühlt zu einem Drittel (höchstens) besetzt, wirkt leer. Sie sei „ausverkauft“, wird gemeldet. Ganze Reihen unbesetzt. Riesige Abstände zwischen den Gästen, viel mehr als die 1,50 Meter. Muss das so sein? In Salzburg haben wir im August auch leere coronagesperrte Plätze gesehen. Aber Felsenreitschule und Großes Festspielhaus wirkten bei den beiden Opern (Così fan tutte, Elektra)  gut besetzt. Mit viel mehr Leuten. Auf Pausen und Catering dagegen wurde verzichtet. Anders in Chemnitz. Anderes „feeling“ im Foyer, anderes Klangbild im Saal.

Das Orchester tritt mit Mund-Nase-Maske auf. Kleine Besetzung. Jeder hat sein eigenes Pult. Keine 20 Streicher. Die Stunde der Bläser. Die Trompeten thronend hoch in der Mitte nutzen das schmetternd. Aber die Klarinette kommt wunderbar zur Geltung. Und die vier Hörner und die Oboen im Haydn-Menuett – schön. Dabei haben die Streicher, grade bei Haydn (Sinfonie 39 g-Moll), den García Calvo recht schnell nimmt, mit ihren Fingern ordentlich zu wuseln. Calvo weiß, was er vor allem den Geigen da zumutet, und gönnt ihnen einen Extra-Applaus.

Die Klavierkonzerte dagegen nimmt der GMD der Robert-Schumann-Philharmonie relativ langsam, als wolle er nach Corona jeden einzelnen Ton auskosten und jede musikalische Phrase genießen. Kein Vergleich zu Calvo-Vorgänger Beermanns „Jagden“ etwa beim Sinfonienzyklus 2012. Der alte Streit um die Metronomangabe, und was richtig sei, berührt García Calvo nicht. Er sieht in den Klavierkonzerten Beethovens eine „Botschaft von Vertrauen in die Menschlichkeit“.

Im langsamen Satz des 4. Klavierkonzertes spürt García Calvo „Einsamkeit“. Und daran, was er da spürt, lässt er das Publikum den Abend über teilhaben. Ganz fein reagiert und agiert er mit leichten Rubati (Gas geben) und Riterdandi (bremsen), das Orchester soll bisweilen nur hauchen, damit der Solist seine Tasten streicheln kann. Was Herbert Schuch denn auch zärtlich tut. So riecht denn das blaue-Blume-Largo des ersten Klavierkonzertes wie ein fiktives Schubert-Lied auf eine Novalis-Träumerei.

Schuch kann auch hart – werden wir noch erleben. An diesem Abend fasziniert uns seine Zartheit. Wie er den Beginn des 4. Konzertes zelebriert – die Finge langsam absenkt (wie wir dermaleinst den Tonarm bei einer wertvollen LP noch händisch aufgesetzt haben), wie die Finger dann in den Tasten versinken und Töne erzeugen, die unten singen, oder Glocken spielen lassen ganz oben. Nicht umsonst folgt ausgerechnet an diesem Abend („ich habe auch einen langen Abend hinter mir. Aber das gönne ich Ihnen und mir“ – Schuch) der traumhafte zweite Satz der „Pathétique“, romantisches Fühlen pur.

Schuch lebt Beethoven/Schuchsche Kadenzen aus (lange – wie aus einer anderen Welt, etwa im 1. Satz des 1. Konzertes), und er spielt Glasperlenläufe vom Feinsten. Alles richtig an diesem ersten Sinfoniekonzert-Abend in Corona-Zeiten.

Wir sind gespannt auf das farbige 3. Klavierkonzert heute Abend, und vor allem auf das 5. am Sonntagfrüh. Das letzte Solokonzert, das der schon ertaubende Beethoven wohl auch in „trotzigem Optimismus“ geschrieben, wenn auch nicht mehr selbst uraufgeführt hat.

Gut, dass die Theater den Zyklus nachholen. Hat Beethoven zu seinem Geburtstag verdient. Wie ein Anderer die Blumen vom Orchestervorstand zu seinem „Runden“: Dieter Gerhardt Worm, Ex-GMD und Namensbeschaffer der Philharmonie, war Ende August 90 geworden. Da gratulieren auch wir ganz herzlich.