Nicht aus den Fugen

Angesichts der aktuellen Vorgänge in Rostock, wo der Intendant abgesägt und das Theater halb platt gemacht werden soll, schien der Titel „Ist die (Theater-)Welt aus den Fugen?“ gerechtfertigt. „Erschreckend“ nannte der renommierte Theaterkritiker Gunnar Decker (der Vater der Chemnitzer Schauspielerin Magda) die Ignoranz und Kenntnislosigkeit vieler Kulturpolitiker in Kommunen und Ländern. Aber sie sind es, die das Geld für die Theater bewilligen. Der Regisseur Michael Funke wies auf Frankfurt/Oder hin, wo das Kleist-Theater im Orkus verschwand. Schauspieler Philipp Otto, der Ost wie West kennt, hatte unsinnige Spardiktate auch In Hamburg erlebt. Herbert Olschok, nach Albiro bis 2000 Schauspielchef in Chemnitz, jetzt wieder zurückgekehrt mit dem Kammerspiel „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ und demnächst mit „The King’s Speech“ stimmte seinen Kollegen zu, lobte indes die Macher im Chemnitzer Schauspiel: „Ich habe hier richtig gute Stücke gesehen“.

Gut, dass das Publikum so engagiert mitging, und die Disputanten herunterholte, als sie zu abstrakt darüber philosophierten, wie denn Theater heute aussehen solle.  Ob Castorfs Zertrümmerungsästhetik noch en vogue sei oder ob ein volles Theater auch ein gutes Theater sei („Machen wir eben Zar und Zimmermann, dann ist die Bude voll“, erinnerte sich Olschok an Plauen). Eine Lanze auch für „alte“ Stücke brach Dramaturg René Schmidt. Er betreute als Dramaturg die aktuelle Inszenierung von Jean Anouilhs „Jeanne oder die Lerche“. Man müsse die aktuellen Bezüge (oder die ewig menschlichen) nur sehen wollen.

Das war wahrscheinlich so ein Punkt, an dem es Schauspieldirektor Carsten Knödler in den Fingern juckte, sich zu melden und zu verstärken, wie er hinterher gestand. Er macht ein Programm, in dem Altes und Neues, auch ästhetisch gesehen, angeboten wird. Mit manchen Überraschungen auch für die Macher, wenn etwa ein Shakespeare nicht so läuft wie erwartet. Es gibt keine Patentrezepte für gutes Theater und die Mischung (Decker) – „nur langweilen dürfen wir nie“ (Olschok). Knödler meldete sich nicht – die Akteure hauten sich Wege suchend die Argumente erfreulich und höchst interessant um die Ohren.

Guter Abend. Er zeigte, dass das Chemnitzer Theater lebt. Ein Theater braucht sein Publikum. Hätten die Rostocker nicht nur geredet und wären auch ins Theater gegangen, hätten Minister und OB nicht gewagt, Hand anzulegen. Und wenn Frankfurt Theaterstadt wäre, echte Theaterfreunde hätte, gäbe es das Kleist-Theater noch. Michael Funke weiß, wovon er spricht. Doppelt schwer wiegt sein Lob des Chemnitzer Publikums. Man konnte fast meinen, Chemnitz sei eine Theaterstadt. Ist es wohl auch. Hier steht das Publikum hinter seinem Theater. Mehr noch, es liebt es.