Harfe krank, Cello singt

Locker, leger, zwanglos – aber hohe Qualität: das sind die Markenzeichen der Kammermusik-Reihe im Chemnitzer Soziokulturzentrum „Kraftwerk“. Alles traf auch am Montagabend zu. Und doch war alles anders.

Selbst sehr musikalisch Interessierte hören die Bach’schen Solosuiten für Cello kaum. Allenfalls Teile. Und die nur, wenn nach wilden Kaskaden-Konzerten Ruhe einkehren soll, und der Solocellist das beifallswütende Publikum mit einem kleinen Bach sedieren will. Gern wird dafür die Prélude aus der ersten Suite gespielt – die hat auch Jakub Tylman drauf. Auswendig… Tausendmal gespielt. Wahrscheinlich schon zum Examen in der Musikhochschule.

Cello-Könige wie dereinst Pablo Casals halten die (schweren) Solosuiten für den Inbegriff nicht nur Bach’scher Musik. Dem „normalen“ Publikum fehlt aber meist der Nerv, Solocello über Minuten oder Stunden anzuhören und sich hineinzuvertiefen in die großartigen Strukturen, die Bach hier konstruiert hat, und die nicht im ersten Moment erhörbar sind…

Respekt hat auch Jakub Tylman vor dieser Musik. Er zögerte lange, ehe er im Programm neben der ersten auch noch die dritte Suite ankündigte. „Vielleicht noch was Kleines“, hatte er auf Facebook zunächst als Zugabe zur ersten Suite angekündigt. Aber dann hat es ihn wohl doch gereizt, sich auch noch die dritte Suite aufzupacken.

Und so kamen gestern Abend Montagsmenschen wie Du und Ich in den Genuss, einen Bach zu entdecken, den wahrscheinlich 90 Prozent von uns so noch nicht aufgenommen hatten. Jakub Tylman wusste das, oder ahnte es zumindest. Zwei lange Solosuiten mit jeweils sieben Sätzen – da darf die Konzentration nicht einen Moment abschlaffen, sonst schliefe das Publikum.

Und so kümmerte sich Tylman um jedes Motiv, um jede Strukturverbandelung. Er ließ sein Instrument singen, aber er gab auch Stoff, wo möglich. Er schonte sich keine Sekunde – hätte er ja tun können, als „Einspringer“. Das aber wäre nicht Jakub Tylman. Er jagte die beiden Courantes in atemberaubendem Tempo über die Seiten. Er hielt die Spannung vom ersten bis zum letzten Ton – da wird der Aufstrich zur Prélude der dritten Suite schon selbst zum Erlebnis. Und gebrochene Schlussakkorde, die verschwinden im Hauch des höchsten Tones.

Das waren nicht zwei Cellosuiten, schön gespielt, na ja… Das war ein Erlebnis, voller interessanter Wendungen. Drauf gepfiffen, was Barockpouristen sagen – auch mal ein Vibrato an der richtigen Stelle. Toll.

Das Publikum spürte, dass es etwas Besonderes erlebt hatte. Bravo-Rufe (erstmals bei der Kammermusikreihe der Spielzeit…), reicher, warmer, kräftiger Beifall. Jakub Tylman hat für die von ihm gegründete Reihe wieder Freunde gewonnen. Das wird sich zeigen am 18. April, 18 Uhr… Da ist die nächste „Spielzeit“. Da werden wohl die Stühle wieder mal nicht reichen.