Zorro: Nur die Liebe ist stärker

Seit Christoph Dittrich Intendant und Carsten Knödler Schauspieldirektor ist, zieht die Chemnitzer Schauspieltruppe zu ihrer letzten Premiere vor der Sommerpause hinaus zum Küchwald zum Sommerspektakel. Wenn’s nicht gerade regnet oder Katzen hagelt, haben die Schauspieler ihren Spaß daran und das Publikum von Kindergartenkids bis Uropas ihr helles Vergnügen. Das Wetter hielt, die Sonne lachte sogar zwischenzeitlich um die Wette mit dem Intendanten und dem Schauspieldirektor, die sich an strategisch richtiger Stelle im Halbrund der Traversen der Küchwaldbühne platziert hatten. Aber auch viele andere Theaterleute ließen sich diesen Spaß nicht entgehen – das Sommertheater wird langsam zu einem Familienfest der Theatermacher und -freunde.

Den schwierigsten Job in einer solchen Atmosphäre hat die Regisseurin. Silke Johanna Fischer macht sonst gern und erfolgreich Denktheater: In Chemnitz etwa „Die Erben des Galilei“ (Martin Bauch, Siegerstück 2014 des Chemnitzer Theaterpreises) oder „Leben Gundlings Friedrich von Preußen“ (Heiner Müller). Im Küchwald darf sie nicht zu viel sinnen – warum etwa Don Diego ein Doppelleben führt (hat der Schwerreiche seinen Reichtum ergaunert, und will er das als Zorro im Kampf für die Armen wieder gut machen?), ob Korruption und Kapitalismus ein Herz und eine Seele sind, oder mexikanische Provinzcapitanos zwangsläufig kleine Erdogans werden?

Zu viel erzählen geht auch nicht, wie verwickelt auch die Story sein mag, die Thorsten Duit aus den Zorro-Groschenheften von Johnston McCully für das Theater zusammengeschrieben hat. Klein und Groß wollen Action erleben. Sehtheater. Schau-Spiel. Silke Johanna Fischer und ihr Team gaben dem Affen Zucker. Und bald geht’s sicher auch noch schneller Schlag auf Schlag.

Da knallt eine Rauschkugel durch die Mauer der Pinte, und die zarte Wirtin stemmt das Mauerstück – stark wie weiland 2014 Pippi Langstrumpf – zurück, da fliegt dem falschen Ständchensänger, dem die Gedanken fliehen, schon mal die Gitarre aus der Tiefe zu wie dem Bösewicht die Knallkörper aus der Höhe, da quiekt die geklaute Sau Angela im Käfig, der (Pleite?-)Geier auf dem Dorfdach wird von einem Fehlschuss zerfleddert, den Bösen bannt ein Brennkreis (Gruß, Ringherr!), Peitschen knallen, Degen klingen, Pferde krabbeln den Steg hoch. Gut und Böse kullert und klettert, tanzt und trickst, säuft und säuselt. Und am Schluss haben sich alle lieb, jedes Töpfchen hat sein Deckelchen gefunden, die Bösen sind bestraft, die Gerechtigkeit hat gesiegt. Und alle, selbst die kleinsten Zuschauer, wollen Zorro sein, mindestens ein bisschen.

Herrlich, wenn Schauspieler Schau spielen dürfen und ihren Spaß daran haben. Da steigt Susanne Stein (Mutter Theresa; mit „Th“ schreibt das Programmheft vor…) schon mal auf den Gaul und hetzt, atemraubend, das Blondhaar längst von der Kuttenkapuze befreit, über die breitwandige Dorfbühnenlandschaft. Jan Gerrit Brüggemann ist als Don Diego ein Was-kostet-die-Welt?-Dandy, der sich alles, nur die Liebe nicht, kaufen kann, die er als reitender, prügelnder, siegender Zorro (wie Robin Hood vor einem Jahr im Küchwald) nur fangen muss, wenn ihm die Herzen der Damen zufliegen. Marko Bullack und Ulrike Euen sind die mexikanischen Dorfbarone, die schon mal ihre Tochter verscherbeln würden für einen Steueraufschub. Diese Tochter, Maria, aber hat ihren eigenen Kopf, und Muskeln, und Gelenkigkeit. Stella Goritzki klettert, reitet, ficht – und küsst wie der Teufel, als sie ihren Zorro endlich hat.

Überhaupt die Frauen. Sie schnattern. Aber sie kämpfen, als die Männer schon lang den … – Kopf eingezogen haben. Allen voran Wirtin Ana (herrlich burschikos Lysann Schläfke) und Bauernmädchen Anita (Anna Bertram). Zurecht für beide mehrfach Beifall auf offener Szene. Gegen sie haben die Bösen auf Dauer keine Chance: Der Capitano, präpotent und Sadist pur, korrupt bis in die Spitzen seiner Stiefelzehen und den wohlig gestreichelten uniformten Siegerbauch (Paraderolle für Dominik Förtsch) und sein Handlanger Gonzales, der dumm, aber schnapsbedrosselt alle Geheimnisse verrät (Martin Valdeig). Der Halbböse, der Richter, mit Holz vor der Birne und einem Holzhammer auf dem stets geschlossenen Paragrafen-Buch (Recht ist, was der Stärkere will) findet schließlich doch noch den Weg zur gerechten Bestrafung (Christian Ruth). Der Bauer (Christopher Schulzer) muss schlotterig die geknechtete Armut verkörpern. Und dann ist da noch Miguel. Herrlich, wie der Schauspielbuffo (gibt’s nicht, aber macht nix) Philipp von Schön-Angerer das hanssachssche Liebesklimperlied singt, wie er, bisschen deppert, aber lieb, schließlich das Herz seiner Ana erobert…

Die vielen Statisten – alle köstlich wie die Protagonisten gewandet von Barbara Blascke, die auch das Bühnenbild gestaltet hat (zu dem, Kompliment, wieder die Bauunternehmung Hüttner helfend beigetragen hat). Clauß Großer hat seine „Lehrlinge“ nicht nur fechten, sondern auch tanzen gelehrt, und die „Horsemaster“ Ines Voigtländer und Sabrina Bartel dafür gesorgt, dass auch die Vierbeiner Ayla und Grandiosa ihre Helden und den Beifall für sie trugen und ertrugen.

Der Ton muss noch zu Ehren kommen (Sebastian Mansch) – jeder Faustschlag ein Wadong, jede Ohrfeige ein Klängbäng, und jeder Tritt in die Manneskraft ein Quietschkling bis in die Ohren. Auf die gab’s reichlich Muchacho-Töne von Steffan Claußner – bis von der Schausteller- auf die Schauspieler-Bühne „My boy lollipop“ heraufkitschte. Aber da war die mexikanische Paella mit angebissener Thüringer schon gegessen oder im Orkus verschwunden. Und Zorro im festen Griff der geliebten Maria.

Heute Abend (17 Uhr) kämpft er wieder um sie und mit der wieselnden Küchwald-Umwelt. Das Wetter soll halten. Gestern hat das Publikum eine Riesenfreude gehabt. Hingehen! Lohnt sich.

Die nächsten Aufführungen: Heute, Sonntag, 17 Uhr, Mittwoch und Donnerstag, 10 Uhr. Und noch viele weitere. Die finden Sie hier. Übrigens: Tickets gibt’s direkt vor Ort. Und hungern und dürsten muss, dank dem Küchwaldbühnenverein, auch im Chemnitzer mexikanischen Dorf niemand. Auch wenn wir Tequila nicht entdeckt haben.