„YEAHHHHHH!!! Es hat so Spaß gemacht!“

1. Die Chemnitzer Theater haben mit der Erstaufführung des Musicals „Flashdance“ in Deutschland das Glück am Schopf gegriffen und als die Rechte zu haben waren, zugeschlagen. Guter Riecher. Die Geschichte von dem kleinen Stahlarbeitermädchen, das aus dem heißen, armseligen, hoffnungsverstaubten Dreck kommen und Tänzerin werden will, weil Tanz die schöne, saubere, glitzernde Welt ist/scheint, erlebt eine Wiederauferstehung in der ganzen Welt. Ein Vierteljahrhundert nach dem Oscar-prämierten Film, der 100 Millionen Dollar einspielte, kam die Geschichte 2008 als Musical in England auf die Bühne. Entzückte auf der Tournee durch britische Städte selbst (beifall-)geizige Schotten und landete mit Erfolg im Londoner Westend. Gegenwärtig tourt „Flashdance“ durch die USA, im Oktober etwa ins Spielerparadies Reno, ehe das Musical am Broadway heimisch wird (wenn die Produzenten ein genügend großes und freies Theater finden, was ihnen im Sommer 2013 noch nicht gelang). Vor zehn Monaten schwappte die Flashdance-Welle nach Europa zurück: deutschsprachige Erstaufführung in Luzern (mit Nadja Scheiwiller). Jetzt also die Erstaufführung in Deutschland. In Chemnitz. Dabei wird es nicht bleiben.

2. Das Chemnitzer Premierenpublikum steht zum Saisonauftakt eher auf „große Oper“. Vorher rümpften manche die Nase über die „Flashdance“-Wahl. Murmelten, im Foyer den Prosecco balancierend, was von „Ich wär‘ eigentlich, wenn schon laut, lieber zu Kraftklub auf den Hartmannplatz gegangen. Ist wenigstens authentisch. Und nicht so ‘ne Schmonzette. Oder zum Eröffnungsfest ins Schauspielhaus…“ Später deutsch-klatschten sie die Nummern mit, und (siehe oben) das Parkett stand einhellig jubelnd. Und auch der sächsischen Kultusministerin Brunhild Kurth scheint’s gefallen zu haben. Von der Stadtspitze haben wir zur Eröffnung der Spielzeit ihrer wichtigsten Kulturtochter übrigens niemanden gesehen…. Dafür viele junge Menschen. Manche im Look der 80er Jahre, als sie noch gar nicht geboren waren. In den folgenden Aufführungen werden sie den Ton bestimmen. Ohne vornehme Premieren-Zurückhaltung. Der Saal wird kochen. (Wie oben auf der Bühne der Stahl).

3.  Das Musical hat gegenüber dem Film gewonnen. Der Film war eine Tanzorgie (wie „Saturday Night Fever“). Handlung ziemlich wurscht und dünn. Jetzt geht’s. Die Geschichte von Jimmy und Gloria kommt (glaubwürdiger) hinzu, für’s happy-ending ist nicht Nick zuständig, der außer seinem Stahl auch sein Glück nicht mehr schmieden kann, das tun die Freundinnen aus Harrys Bar. Die weltberühmten Musiknummern sind besser und effektvoller zugeordnet („Gloria“ zu Glorias Koksstangentanz bei C.C. „What a feeling“ zu Alex‘ Schicksalsvortanzen am Ende. – Kurzer Abstecher, Frage an den Regisseur: Warum, zum Teufel, legt sie die Platte nicht auf das symbolträchtig traumtänzerische Gerät vorn auf der Bühne wie zu Beginn?). Die großen Nummern fehlen nicht („Manhunt“, „Maniac“), aber Robert Cary und Robbie Roth haben noch ein paar Nummern dazu geschrieben, die das Stück vom Dansical eher in Richtung Musical verschieben, was ihm gut tut.

4. Die Chemnitzer Aufführung ist Hammer. Lassen wir die nervösfalschen Töne und die Rückkopplung- und Mirkonochzu-Pannen am Anfang weg (das gibt sich alles), dann haben wir ein höchst professionelles Team auf der Bühne gesehen und (auch aus dem Graben) gehört. Götz Hellriegel (Inszenierung und Choreografie) verlangte von den Darstellern nicht zu viel, aber immerhin 150 Prozent. Sie kamen buchstäblich nicht zum Schnaufen – Quatsch, nicht aus dem boxenverstärkten Schnaufen heraus vor lauter ratzfatz-andere Klamotten, andere Rollen anziehen. Überlegt die Nutzung der Bühne zwischen großer und klein(kariert)er Welt (Bühne und Kostüme Dietlind Konold), beeindruckend die perfekt abgestimmten Ensembles und die schweißtreibend bändertestenden Soli mit halsbrecherischen Bodenturner-Aktionen. („Was ist Tanzen für dich? Sag’s mit einem Wort“, fragen die Aufnahmeformulare. Hannah antwortet „Schmerzen“, Alex „Leidenschaft“. Beides haben wir gesehen und gespürt). Und immer wieder die kleinen Gags wie Glorias Spagat-Au, oder die Straßenbahn- (oder Bus-)Szene. Die drei Glanzzicken oder die Straßentänzer – immer was los, immer was zu sehen. Beifall auf offener Szene. So soll Musical sein.

5. Musikalisch: Wo anfangen, wo aufhören? Tom Bitterlichs für das Musical eigens zusammengestellte Flashdance-Gruppe kam dem 8oer-Sound (damals erfand Giorgio Moroder, der Komponist des Titelsongs – eigentlich Hansjörg, er stammt aus Gröden -, den elektronischen Disco-Sound) nicht nur nahe, er selbst leitete vom Keyboard perfekt sich und seine Begeisterung und die Musiker und die Sänger. Nadja Scheiwiller beherrschte die Bühne mit Stimmbändern und Tanzgestalt, Nick (die einzige Klamottenpanne, sah aus wie der geborene Loser), der Managerfreund des kleinen St(r)ahlmädchens, wird von Philipp Dietrich gesungen und getanzt. Er ist uns allen in guter Erinnerung aus jungen Chemnitzer Zeiten – er ist noch viel besser geworden. Gloria (Ira Theofanidis) und Jimmy (Michael Heller, danke für den wunderbaren Flashdance-Blog im Vorfeld!) trieben die zweite Geschichte erstklassig voran. Die eigenen Leute (Kindschuh, Wenger, Schramm-Heilfort, Müller) herrlich in Strenge, Sauhundigkeit und Parodie. Kiki (Tamara Wörner), das kleine Stimmwunder, Tess (Anne-Mette Riis), das Flashdance-Musical-Ensemble – ja, wo anfangen, wo aufhören? Perfekte Performance.

Zur selben Zeit spielte die Robert-Schumann-Philharmonie in Bayreuth ein Sinfoniekonzert mit Schuberts 3. und Beethovens 6. Sinfonie. Erstaunlich und erfreulich, was die Chemnitzer Theaterleute schaffen, zuhause und draußen. Tobias Werner, kaufmännischer Chef des Theaters, dürfte sich nicht nur über den Besuch seiner Eltern aus Hamburg, die „Flashdance“ genossen, gefreut haben. Die Kasse klingelt. „Flashdance“ ist bis zum Jahresende fast ausverkauft…

Gelungener Spielzeitauftakt. „YEAHHHHHH!!! Es hat so Spaß gemacht!“