Und ehe nun die Meckerer aus den Ecken mosern und beckmessern, dass doch wohl eher eine richtige Oper den Auftakt in einem seriösen Haus bilden müsste, nehmt’s einfach hin: mir und den meisten anderen, die ein ebenso einfaches Gemüt haben wie ich, hat es prächtig gefallen. Lest einfach nicht weiter. Wir treffen uns dann wieder beim „Rosenkavalier“, bei Verdi, Wagner und Donizetti.
Klar, große Kunst ist das Musical nicht. Aber große Kunst ist es, dieses verrückte Stück so perfekt auf die Bühne zu bringen, wie wir es am Samstag erlebt haben. Ralph Morgenstern moserte auch, „so’n Schwachsinn“ oder „bei dieser Szene könnt‘ ich kotzen“ – sprach’s, und lachte sich bei der Affenszene einen Affen und irrte und wirrte durch die Komödie seiner LP-Sammlung, weil Vinyl direkt in die Beine geht und Lachen der beste Champagner ist, „wenn ich mich trüb fühle“. Scheiß auf die Dekadenz der 20er Jahre, als „Gay wedding noch was ganz anderes bedeutete als heute“, als „die Verrückten noch auf die Bühne gingen. Fernsehen gab’s noch nicht…“ Und was machen wir? Wir kramen den alten Elton John wieder aus dem Schrank.
Nichts hat sich geändert, das Leben ist und bleibt ein stolperiger Weg. Und wenn wir schon nicht mehr auf dem Vulkan tanzen, dann lassen wir uns Flügel wachsen und schweben propellerig in die Flitterwochen nach Rio. Davon halten uns noch nicht mal die Chinesen ab mit ihrem fehl am platzenden Zwischenspiel oder der spanische IschbinebrecherderHerzen-Italiener Aldolpho, der – den prohibitionverachtenden Autoren sei Dank – das „l“ im Namen hat, weil es wie bei Alohol besser über die Zunge geht, wenn die Anstandsdame unanständiges russisches Eiswässerchen kostet und es Mrs. Tottendale (Mele Neugebauer) in herrlich eingeübtem Sprühregen in die Visage der Seriosität nebelt.
Der Inhalt ist wurscht. Wir holpern und stolpern immer, so klug (scheißend) wir selbst happy endend sind. Nur auf der Bühne, da darf nichts daneben gehen. Wer sich und seine Zuschauer auf die Schippe nimmt, darf nicht stolpern. Und so rollschuhte der zahnweiße („an 4. Stelle der Inhaltsstoffe: Koks“) Bräutigam perfekt in höchsten Tönen durch die Wohnung, der Gangster-Patissier wandt sich aus der Waschmaschine und das rotschwarze Nichtmehranstands-Paar verschwand vor vor Jugend geschütztem Tun samt Lotterlakenbett hinter der Schrankwand.
Die Autoren dieses Musicals mit Hindernissen haben in der Privat-Aufführung in Toronto (1998) und am Broadway (2006) mit Begeisterung selbst ihren eigenen intelligenten Quatsch mitgespielt und zum Erfolg hochgetanzt. Die Theaterakademie August Everding (von der die Produktion nach Chemnitz übernommen wurde – Tom Bitterlich hat keine schlechte Wahl getroffen, der Weggang sei ihm verziehen) hat mit Stefan Hubers Inszenierung eher noch einen draufgewirbelt. Was für klasse Sprüche und Dialoge im Deutsch von Roman Hinze, welch herrliche ganz und gar unverstolperte Stepp- und Ensemble-Tanzeilagen (Choreografie: Denis M. Rudisch. Einstudierung und Dance Captain: Timo Radünz, der selbst, wie einst die Autoren, mitspielt), welche Präzision in Wort und umfallenden Stöcken („hat sie jetzt ‚nicht‘ oder ‚Nichte‘ gesagt…“?)!
Wir haben den Tim von „Tim und Sruppi“ gesehen, die Marx-Brothers, Buster Keaton und einen Hauch Chaplin, ein bisschen „Manche mögen’s heiß“-Marilyn und viele andere Anspielungen aus der durch die Jahrzehnte zerkratzten und gezuckelten Vinyl- und Zelluloid-Welt. Wir haben (geklaute oder nicht, was soll die Frage?) Musiknummern gehört, die über die Ohren sofort in die ruhig gestellten Füße charlestonierten, und heiße Revue-Stars, die putzmunter im Kühlschrank Erfrischung suchten.
Morgenstern, ja. Den müssenwollendürfen wir hervorheben. Magnet, ja, weil fernsehbekannt. Aber was hat dieser Mann selbst in Pantoffeln und grobgestrickter Hausjacke unter lauter jungem Gemüse (nicht böse nehmen, bitte!) für eine Bühnenpräsenz! Und diese Jungen: Die beschwipste (gerade mal 25jährige) Anstandsdame Sampaguita Mönck, das perfekt Doofchen albernde Schmollmündchen Kitty (Cassandra Schütt), Aldolpho (Till Kleine-Möller) oder Katrin Merkl mit ihrem süßen Frangkreisch-Akzent – alle haben uns (Sch… auf den alltäglichen Wahnsinn) ungetrübte Freude gemacht. Und den stürmischen Beifall mehr als verdient. Ebenso wie der Mann mit den roten Schuhen: Jakob Brenner, der vom Klavier aus das ad-hoc-zusammengestellte Drowsy Jazz Orchestra (mit einigen Philharmonikern auf Bigband-Abwegen) zu immer neuen unverstolperten Klängen führte.
Aldolpho, der Brecher der Herzen und Versteher aller Frauen, entpuppte sich als Hausmeister auch als begeisterten Versteher aller Musicals. Aller großen. Auch den „König der Löwen“ hat er gesehen, und „Lehs Mieseraples“. Aber nicht „The drowsy Chaperon“, die deutsche Welt-„Hochzeit mit Hindernissen“. Geht ja nicht, spielt er ja selbst.
Aber wir haben’s gesehen. Und einen Riesenspaß gehabt. Zwei Stunden (wie heißt’s im Programmheft?:) „gehobenes Amüsement“. Lasst’s uns, Ihr Wagner-, Verdi- und Strauss-Freunde. Wir brauchen auch nicht unbedngt schweitzerische „Operetten“. Aber solche Musical-Hochzeit: Da darf selbst das verliebte Opern-Herz ein bisschen fröhlich stolpern.