Weltklasse: Balletttrilogie „Wellen. Flimmern“

Choreografen von Welt lassen nach Chemnitz blicken

Wie sieht unser Leben im Jahr 3022 aus? Monoton und militärisch, gleichzeitig vorwärtsdrängend und Aufbruch forschend ­– wenn man Erion Kruja glaubt. Seine Choreografie „The Perfect Land 3022“ ist Teil des aktuellen dreiteiligen Ballettabends „Wellen. Flimmern.“ Es ist ein Wagnis von Ballettdirektorin Sabrina Sadowska. Sie holte drei Koryphäen der Choreografie ans Chemnitzer Theater. Martin Harriague, Andonis Foniadakis und Erion Kruja folgten ihrer Einladung. Das ist nicht selbstverständlich. Alle drei haben ausgezeichneten Leumund. Ein jeweils etwa 30-minütiges Stück für einen vermeintlich kleinen Standort wie Chemnitz entwickeln? Nicht normal. Schlussendlich haben die Herren zugesagt. Weil Chemnitz eben nicht kleintänzerisch daherkommt, sondern große Ballettperformance hat.

Den stetigen Aufbruch wagen. Dem Drängen nach Neuem nachgeben. Gleichzeitig wie im Trance marschieren: Was Erion Kruja im letzten Teil des Ballettabends aufs bereits geflashte Publikum jagt, lässt sich gar nicht genau definieren. Sind es Roboter? Oder Androiden? Oder seelenlose Menschen im Gleichschaltmodus? Mechanischen und archaisch lässt Kruja Bewegungen entstehen, die monoton und doch harmonisch sind, die kollektiv scheinen, aber Individualität in der Gruppe abbilden.

„How The Body Works The Dark“ kommt zum Start der Trilogie mit der Stimme von Choreograf Martin Harriague ins Bewusstsein der Zuschauerinnen und Zuschauer. Es ist die Untertage-Novelle „Die Bergwerke von Falun“ von E.T.A Hoffmann, mit der er die Tiefe als geheimnisvollen und gefährlichen, fantasievollen und melancholischen Ort beschreibt: „Ungewöhnlich ist, dass er uns mit drei Tänzerinnen und drei Tänzern in die Tiefe führt, in die Dunkelheit eines Stollens, der wahrscheinlich auch so in einsamer Verlassenheit sich unter der heutigen Stadt Chemnitz befinden könnte“, schreibt Boris Michael Gruhl in seiner Rezension für den Branchenblog tanznetz.de. Das sei zunächst die reine Melancholie in schwarz. Tanz im Staub. Und dann: „…gesprochene Texte, in denen es auch darum geht, wie Körper sich die Dunkelheit erarbeiten.“

Gruhl geht auch auf den zweiten Teil des Ballettabends ein. „Letzte Chance, letzter Tanz, letzte Minute… Nach der atemlosen Hoffnungslosigkeit des tanzenden Widerstandes die zärtliche Zerbrechlichkeit dieser Kunst absoluter, körperlichen Authentizität“, schreibt der Fachkritiker in seinem Text. Choreograf Andonis Foniadakis erlaubt seinen Tänzerinnen und Tänzern keinen Moment des Versteckens hinter schönen Formen von Bewegung, Posen oder Schrittfolgen. Keine Zeit. Überall Risse. Auch im Podium, auf dem getanzt wird.

Keine Zeit? Zählt diesmal nicht. Alle drei Miniaturen – Großereignisse gleichzeitig, sind Pflicht für Fans des innovativen Tanzes. Weltklasse. Mitten in Chemnitz.

Peggy Fritzsche
Foto Beitragsbild „The Perfect Land 3022“ von Erion Kruja (UA) – auf dem Foto: Ensemble © Ida Zenna