„Vorüber! Ach vorüber!“

Und dass sie daran Recht tun, zeigte sich wieder gestern, Montagabend, bei der inzwischen Kult gewordenen hemdärmeligen „Spielzeit im Kraftwerk“. Die vier jungen Musiker Kyoungjie Kim, Hyunjee Chun, Geigen, Deborah Krupa, Bratsche, Friedemann Herfurth, Cello, die seit Januar den stolzen Namen der Dirigentenlegende Rudolf Kempe in ihrer Biografie aufführen dürfen, spielten Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ kraftvoll und technisch perfekt – der Beifall wollte am Schluss kein Ende nehmen.

Es ist mittlerweile Tradition, dass sich die Akademisten, die sich vorher oft nicht kennen, nicht nur im Orchester bewähren, sondern auch als Kammermusiker. Die Vier des diesjährigen Jahrgangs hatten sich nicht einen Haydn oder Mozart ausgewählt, sondern Schuberts „Tod und das Mädchen“. „Ich hab‘ sie gewarnt“, sagte der erfahrene Schill, „aber sie wollten das unbedingt“.

Gewarnt? Musiker spielen zwar oft zart auf den Saiten, aber zartbesaitet sind sie nicht. Quartettmusiker sprechen rotzig davon, ob sie sich das „tote Mädchen“ auf die Pulte legen sollen. Hinter dem flotten Spruch verbirgt sich aber der Respekt selbst von Kammermusikgrößen vor diesem Schubert-Werk mit seinem wild gerittenen Schlusssatz, vor allem aber vor dem zweiten, dem Variations-Satz über das Thema, das Schubert aus seinem Kunstlied „Der Tod und das Mädchen“ entnommen hat.

Matthias Claudius hat die wenigen Verse dazu geschrieben, von dem „wilden Knochenmann“, der sich an das „schön und zart Gebild“ des jungen, reizenden Mädchens heranmacht. „Geh, wilder Knochenmann, ich bin noch jung“, schleudert das Mädchen ihm entgegen.

Ob die jungen Musiker das Gedicht gelesen haben? Sie spielten den Trotz, die Abwehr, die falsch triefende Anmache des wilden Knochenmanns und die Furcht des Mädchens expressiv – voller Kraft, die Bögen wie Waffen führend („rühre mich nicht an!“), Kyoungjie Kim kletterte in höchste Jung-Mädchen-Höhen auf der E-Saite der Geige, Friedemann Herfurth ließ drunten auf der C-Saite mit vollem Ton die Gefahr brodeln, während 2. Geige (Hyunjee Chun) und Bratsche (Deborah Krupa) die falsche Schmeichlerei des Knochenmanns im Thema flüsterten. Und dann der letzte Satz: dieser wilde Ritt, schnell genommen, ohne Furcht vor den gemeinsamen schnellen Passagen, Paroli dem Knochenmann!

Schuberts Quartett ist eines der schönsten, aber im Zusammenspiel musikalisch auch eines der schwierigsten Werke der Kammermusik-Literatur. Desto herzlicher der Applaus des Kaßberg-Publikums dafür, wie die jungen Musiker diese hochdelikate Aufgabe gelöst haben. Sie werden noch daran schleifen, immer und immer wieder, wie die ganz Großen der Musik. Und sie werden uns am 8. Juni, 18 Uhr, in der Jakobi-Kirche, beim traditionellen Akademisten-Konzert zeigen, wie weit sie noch nach vorn stoßen können.  Wir freuen uns darauf.

Wir freuen uns aber auch, dass es diese unkomplizierte, aber im Programm hochkomplexe Reihe der „Spielzeit im Kraftwerk“ gibt, die einmal im Monat am Montag solche Erlebnisse schafft. Erfunden hat sie Jakub Tylman, Solo-Cellist der Robert.-Schumann-Philharmonie. Und er treibt sie auch immer weiter voran – organisatorisch wie mit hohem musikalischem Anspruch und tausend Ideen. (Am 18. Juni spielt as amerikanische Cello-Duo Nezdahova-Placzek. Vormerken!). Auch er war am Montag da, wenn auch als Zuhörer mit seinem kleinen Sohn, der bestimmt stolz darauf war, dass sein Vater von der Hausherrin so gelobt und von den Zuhörern mit so viel Beifall bedacht wurde.