Wer ausgerechnet Schostakowitsch und Brahms gekoppelt hat und warum, bleibe dahingestellt, auch wenn Orchesterdirektor Raimund Kunze wie so oft bei ungewöhnlichen Programmkombinationen mit Sicherheit die Finger im Spiel hatte. GMD Guillermo García Calvo (der eben seinen Vertrag mit Chemnitz vorzeitig bis zur Spielzeit 2022/23 verlängert hat – wir freuen uns!), das Orchester, die Solisten, die Chöre vereinten eigentlich Unvereinbares zu einem großartigen Ganzen.
Vielleicht gibt es einen ganz einfachen Grund für die Zusammenstellung: Sowohl Schostakowitsch als auch Brahms bringen ein Kontrafagott auf die Bühne, das tiefste aller Holzblasinstrumente – im Cellokonzert bleibt der Spieler bei seiner „Familie“ sitzen, im Requiem verstärkt er die traurige Schwermut der Kontrabässe. Und beide Komponisten arbeiten, wo möglich, mit zwei Harfen, die – selten – unisono eingesetzt werden. Die Harfenistinnen haben nicht viel Arbeit – aber wenn, wie im Finale des Requiems, schaffen sie eine unnachahmlich himmlische Atmosphäre – „selig sind die Toten“.
Wenn wir Jesus Sirach aus dem Requiem mal missbrauchen dürfen: „Ich habe eine kleine Zeit/Mühe und Arbeit gehabt/und habe großen Trost funden“ – fast so dürfte es Thomas Bruder empfunden haben, nur dass die Zeit nicht klein und Mühe und Arbeit groß waren. Das Konzert lässt dem Solisten nicht die Herzen entgegen fliegen – so schwer er arbeiten muss. Doppelgriff-Passagen, mehrstimmige Pizzikati, Flageoletts, noch höher klingend als die höchsten Töne fast oben am Griffbrettende und kaum eine kurze Melodie, die träumen ließe.
Bruder weiß, da kann man die Hörer nicht mit Brillanz gewinnen oder gar mit Showeffekten. Da muss man schlichtweg mit nicht spürbarer Bewältigung aller technischen Schwierigkeiten eine Stimme, bisweilen die herausragende, in diesem grotesken Schostakowitsch-Kosmos sein. Was für eine Leistung, diese große Solopassage, begleitet nur von einem einzelnen Tamburin!
Da muss sich das Solocello aber auch mal durchsetzen gegen Überraschungseffekte, die die Hörer ablenkend faszinieren: Peitschenknall, hörnerschem Lokgeschnaufe, marschierende Kontrabasspizzikati. Da haut die große Trommel in die Kadenz – da braucht der Solist nicht nur Nerven, sondern auch viel Gespür für diese tiefgebrochene Musik eines Komponisten, der unter Stalin alles erlebt und erlitten hat, dem nichts Menschliches fremd ist (noch nicht mal die Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch Polizisten – in einem beliebten Lied aus Odessa, das Schostakowitsch in seine Oper „Die Nase“ und eben in dieses Cellokonzert eingebaut hat).
„…und habe Trost funden“ – ja, Thomas Bruder, das war ganz groß. Das Publikum, so sehr es mit dem Komponisten wahrscheinlich fremdelte, feierte Bruder zurecht. Noch und nochmal rief ihn der Beifall heraus – Bruder verzichtete auf eine Zugabe. Jetzt was Brillantes oder einen gefügigen Bach draufzusetzen, das wäre an diesem Abend falsch gewesen…
Steffen Walther ist mit seiner Kantorei der Chemnitzer Kreuzkirche der Garant für volle Kirchen oder Säle. Am Mittwoch vereinigten sich seine Sängerinnen und Sänger mit den Kollegen des Philharmonischen Chors Dresden (Einstudierung: Gunter Berger) zu einem mehr als hundertköpfigen Ensemble – im wahren Sinn des Wortes (Ensemble = französisch für Miteinander).
Sie schienen miteinander zu atmen, die Sängerinnen und Sänger dieses gewaltigen Chores, sangen lupenrein schwierige exponierte Stellen, glänzten gewaltig in mächtigen Tutti („Aber des Herrn Wort/bleibet in Ewigkeit“) und bauten kunstvoll unangestrengt die Fugen und die große Doppelfuge. So was zu proben, ist schon für den einzelnen Chor und die einzelnen Stimmgruppen schwierig. Dann aber im Zusammenklang der unterschiedlichen Chöre so perfekt rüberzukommen – das war „grandios“, wie ein begeisterter Besucher kurz nach der Aufführung seinen Freunden simste.
Brahms hat für sein Requiem nicht – wie etwa Verdi oder Mozart – den lateinischen Text der katholischen Trauermesse gewählt, sondern Worte aus der Bibel. Mehr als 3000 Jahre sind manche Verse alt (wie etwa der Psalm von König David im 3. Teil) – und sind doch so wahr und ergreifend. Erst recht, wenn sie so eindringlich gesungen werden, so gleichzeitig dramatisch und markant wie von Tómas Tómason, dem Isländer, der seine beiden Partien auswendig (!) sang – so musikalisch einfühlend und so text-sicher und text-schön, dass man hätte meinen können, Deutsch sei seine Mutterspreche.
Nur einmal (im 5. Teil) setzt Brahms die Sopran-Solistin ein. Aber dieser Teil zählt zum Berührendsten, was er in diesem Requiem komponiert hat. Seine Mutter war eben gestorben – seine ganze Liebe, seine Trauer, seinen Schmerz fasste Brahms hier in Töne. Lydia Teuscher mit ihrem warmen Sopran auch in der Tiefe hat diese Stimmung zwischen Trauer, Trost und Hoffnung auf das Wiedersehen im Jenseits rührend wiedergegeben.
Guillermo García Calvo, der Spanier, der wohl nicht einfach so ausgewählt worden war, das Gedenkkonzert an die große Montserrat Caballé in Barcelona zu dirigieren, hat auch seinen Brahms verinnerlicht. Mit der Robert-Schumann-Philharmonie lässt er trauern, Gottes Ewigkeit glanzvoll erahnen, dem Tod die Angst und der Hölle den Sieg rauben.
Ein wunderbares Konzert am Abend eines tristneblichen Buß- und Bettages – der endete in Bravi und standing ovations für die Mitwirkenden. Auch Thomas Bruder wird es gefreut haben…