Überragend

Kaum hatte in diesem Krieg zwischen Solocello und großem Orchester der David, das einsame Cello, obsiegt und Tylman den letzten Ton gespielt, trampelten ihm seine Kolleginnen und Kollegen begeisterten Beifall und der ganze gut besetzte Saal der Stadthalle war aus dem Häuschen. Jakub Tylman und die Robert-Schumann-Philharmonie hatten eine phänomenale Aufführung des Cello-Konzerts von Witold Lutosławski geschafft.

Mstislav Rostropowitsch (1913 – 1994), wohl der größte Cellist des 20. Jahrhunderts, hatte dem Komponisten, der ihm das Konzert widmen wollte, keine Vorgaben gemacht. Er würde schon hinkriegen, was der Komponist an Musik schriebe. Und Rostropowitsch sollte es büßen. Nach Jahrzehnten voller Erfolge auf den Konzertpodien der ganzen Welt musste er, wie er später in einem englischen Interview gestand, ein neues „fingering“ lernen, die Finger ganz anders setzen, als ein Leben lang gewohnt. Denn Lutosławski hatte gar Vierteltöne vorgeschrieben. Die könne man zwar mit Geige oder Bratsche gar nicht spielen, aber auf dem Cello sollte das möglich sein…

Das Konzert hält für den Solisten alle technischen Schwierigkeiten parat – für die Grifffinger der linken Hand wie für die Bogenhand. Schnelle Wechsel mit festem Fingeraufsatz und Saitenstreicheln für Flageolets sind möglichweise noch nicht mal das Schlimmste angesichts irrwitziger Läufe und verrückter Doppel- und Mehrfachgriffe. Und dann sollte der Solist auch noch Schauspieler sein – der Komponist wollte das so. Die Instrumente sollten nicht nur miteinander wetteifern („concertare“), sondern sich auch ins Wort fallen, einander übertönen und stören, wenn’s sein muss. Einander hinterherjagen und sich einfangen (was im Übrigen zu einer traumhaften Cantilene von Solist und Orchesterstreichern führt).

Mit ein paar blanken Tönen auf der leeren D-Saite fängt das Konzert an – „irritiert“ blickt sich der Solist um: „Ey, wollt Ihr nicht endlich mitmachen?“, scheint er zu fragen. Doch die Kontrahenten lassen sich Zeit – fast fünf Minuten zwingen sie den Einzelkämpfer sich auszutoben im wahrsten Sinn des Wortes. Dann aber hauen sie drauf – mit Tönen-Waffen, die nicht alle ausgeschmiedet sind, die bisweilen wie aus Wut über das Schlachtfeld gefetzt werden. Nur der Schlachtenlenker, der Dirigent, weiß, wie die Chose zu laufen hat. Und zählt mit der Linken schon mal, wann der nächste Krach oder die nächste Gefechtspause einzusetzen hat. „Aleatorik“ nennen die Musikwissenschaftler dieses Spiel von Ordnung und Zufall, das Lutosławski von Kollegen wie John Cage oder Stockhausen übernommen hat.

Aufregung genug in der Musik, da muss der Solist nicht auch noch den wilden Mann spielen. Jakub Tylman formte auch die schwierigsten Passagen ganz unaufgeregt, mit viel Ton, wo angesagt, aber auch mit kratzbürstigen Abstrich-Reissern, wenn sich das Cello wieder mal durchsetzen sollte. Einfach phänomenal. Begeisternd. Und dann setzt Tylman, als ob das alles nichts gewesen wäre, noch einen drauf und spielt als Zugabe eines aus den rührenden „Momenti“ von Øistein Sommerfeldt – als Reverenz an den Dirigenten. Wie Sommerfeldt stammt Eivind Gullberg Jensen aus Norwegen. Tylman weiß, dass, bei allem eigenen Können, das Konzert des großen Polen nur dann perfekt wird, wenn die Kollegen im Orchester und vor allem der Dirigent optimal mitspielen.

Jensen gelang das fabelhaft. Wie gut der Brüche beherrschen und Effekte herauskitzeln kann, hatte er schon in der deutschen Erstaufführung von Anna Clynes erst vor drei Jahren uraufgeführtem Stück „This Midnight Hour“ (Diese Mitternachtsstunde) bewiesen. Malen wir nicht schreibend unzulänglich nach, was wir gehört und vor dem geistigen Auge gesehen haben – die tonmalende Umsetzung etwa des Jiménez-Aphorismus von „¡Die Musik;/ – eine nackte Frau, /verrückt hetzend durch die Nacht!“… Oder die Baudelaireschen „Abendklänge“, denen wir gelauscht haben. Modern, schräg, dann wieder Romantik pur – Filmmusik vom Besten. Und das ist keine Spur abwertend gemeint. Tolle Orchesterleistung auch hier, das Holz, die Hörner…

Zweite Hälfte Brahms, die Vierte. Von den Konzertplanern wohl als „versöhnlich“ gedacht. Brauchte es nicht. Hat aber große Freude gemacht. Jensen dirigiert auswendig. Holt höchst beweglich mit dem ganzen Körper jede Phrase des musikalischen Reichtums dieser Sinfonie heraus. „Traurige Symphonie“ nannte Brahms sie selbst. O nein! Das ist Musik, in die man sich hineinlegen kann. Empathie pur. Und die Robert-Schumann-Philharmonie spielt auch so. Sie beherrscht auch den Schumann-Freund Brahms. Viel Beifall auch für das Bekannte aus der Romantik.

Was für ein gelungener Auftakt für die Reihe der Sinfoniekonzerte 2018/19! Großes Versprechen für die weiteren Abende…