Schon nach der ersten Kostprobe ihres schrägen Talents, der „Fledermaus“-Arie „Mein Herr Marquis“, prasselte spontaner Beifall. In der Oper wird ein falscher Ton mit Buhs quittiert – im Schauspielhaus galt am Samstag die Devise „Je falscher, desto schöner“. Katka Kurze spielte und sang um ihr Leben, so wie Foster Jenkins in den Kriegsjahren um ihren Traum, die Welt mit ihrer mächtig gewaltig schrägen Stimme zu beglücken. Uns fällt es schon schwer, ein Kinderlied bewusst falsch zu singen (Probieren Sie es mal!). Katka Kurze schmetterte auch die Koloraturen der „Königin der Nacht“ so engelhaft teuflisch falsch, dass es ein Genuss war. Gott, was muss die geprobt haben! Da zollt sogar der auf jeden sauberen Ton getrimmte Cello-Solist der Robert-Schumann-Philharmonie, Jakub Tylman, höchsten Beifall. Auf Facebook postete er spontan nach der Premiere: „alle Achtung für den Gesang… und für den Mut, sowas zu Hause zu üben“ Er weiß, wovon er schreibt: „bravo an unsere Nachbarin Katka Kurze!“
Schöner geht schief wirklich nicht. Dass sie selbst nicht lachen musste ob der musikalischen Seitensprünge und auch ihre Mitspieler nicht – wir haben uns dafür gebogen. Magda Decker als Hausmädchen Maria quirlte ihr Pseudo-Spanisch so gekonnt wie Katka Kurze ihren Mozart oder Strauß. „Multo roh“ sollte das Steak sein, das es dann nicht gab, weil niemand nix verstand… Nicht die fremd gehenden Sherry-im-Geist verbundenen St.Clair Bayfield (Philipp von Schön-Angerer) und seine Schnapsdrossel-Tussy Dorothy (Ulrike Euen), nicht der nach Schrilltönen improvisierende Pianist (Marko Bullack – nebenbei: besonderes Kompliment an die Einspielerin der verqueren Tastennoten, Lisa Rebol, und Sebastian Mansch, der für den synchronen Einsatz des Tons im asynchronen Gewürsche zuständig war).
Die Geschichte des ego-vernebelten Blicks auf die Realität fängt nicht mit Brexit-Boris oder Twitter-Trump an. Seit 2005 erleben wir eine erstaunliche Renaissance der Geschichte von Florence Foster Jenkins. Filme wurden gedreht (u.a. Xavier Giannolis von 2015 „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“ oder der im selben Jahr gedrehte Spielfilm von Stephen Frears mit Meryl Streep in der Hauptrolle), Theaterautoren griffen den facettenreichen Stoff auf. Im Chemnitzer Fritz-Theater war die Komödie von Peter Quilter (Premiere in London 2015) kurz nach dem Start der deutschen Film-Produktion „Die Florence Foster Jenkins Story“ (Regie: Ralf Pfleger) 2016 zu sehen.
Nun griff auch Herbert Olschok, langjähriger früherer Schauspielchef in Chemnitz, auf die Quilter-Fassung zurück. Am Schluss, in der kitschig-schönen Apotheose, kehrt die mit 76 Jahren, einen Monat und einen Tag nach der umjubelten Carnegie-Hall-Vorstellung gestorbene Jenkins noch einmal auf die irdische Bühne zurück und singt (fast) astrein, so, wie sie sich wohl immer gehört hat – ganz egal, wie das Publikum ihren Gesang goutierte. So schön die Bilder waren (dem Theaterfotografen lachte das Herz in der Linse) – nötig gewesen wäre diese dramaturgische Quintessenz nicht gewesen. Zu gut hatten Olschok und die Akteure die Divergenz zwischen Wollen und Können, Selbstwahrnehmung und Fremdempfinden gespielt, das Tragische hinter der Komödie.
Die Komik beherrscht Olschok perfekt – bis hin zum Klamauk (wenn etwa der abgesoffen geleckte Schauspielergatte St.Clair Bayfield – Schön-Angerer – das papierne Reinklassikvolks-Begehren der Mrs. Verindah-Gedge – perfekt altjüngferlich die junge Lauretta van de Merwe – auf Geheiß seiner nie was Böses wollenden Gattin verschlingt). Schön-Angerer darf auch in bestem Theo-Lingen- Näseln die Trauerrede am Weißpudelgeschmückten Sarg des ehemals schwarzen Kuschelvierbeiners halten. Dabei hat jeder (Olschok kann auch Spannung) einen ganz anderen als den Pudeltoten erwartet (verraten wir hier nicht, wen…). Olschok lässt aber auch weidlich unter anderen die Szene ausspielen, wie die Hauptfigur dereinst durch einen Taxi-Unfall zum hohen F fand und sich dafür mit einer Kiste Zigarren revanchierte.
Zwischen brüllendem Spontankomik-Gelächter klingen untergründig immer die leisen Töne mit an, die nachdenklichen, die in einer guten Komödie nie fehlen. In der Sprache – in der so vieles doppeldeutig ist, so wie Foster Jenkins im wahrsten Sinn des Wortes einzigartig. Was macht ein falsches Tönchen – wenn so viele andere auch falsch sind (wie das Publikum empfindet) oder so rein, wie die Sopranistin es innerlich hört und Olschok es vor ihrem jeweiligen Auftritt einspielen lässt. Wie gekonnt spielen sie die Dreifachbödigkeit des Wollens, Wirkens und des Seins – wenn etwa Katka Kurze verliebt dem nicht mehr wissenden, was mit ihm geschieht, Zyniker-Pianisten das Hemd korrekt knüpft und – huch! – fast zu tief in den Hosenbund schiebt, und der schließlich, Meister der korrekten für die Diva der falschen Töne ein eigenes (Liebes-)lied schreibt. Die elegant schlichte Bleibstatt im konservativen New Yorker Ritz-Carlton (Bühne: Alexander Martynow – eindrucksvoll auch der Einfall mit dem Carnegie-Hall-Aufrtitt) und die exaltierten, aufwändigen Kostüme markieren den Gegensatz der Welten.
Eine fulminante Komödie mit einer vor Schalk blitzenden und handwerklich blitzsauberen Regie und großartigen Schauspielern – allen voran Katka Kurze, die zu Recht mit Beifall überschüttet wurde. Ehrlichem. Das war bei der reichen, armen Florence Foster Jenkins nicht immer so…
Die nächsten Vorstellungen: 26. Oktober, 10., 16., 29. November