Das erste Sinfoniekonzert der Robert-Schumann-Philharmonie in der neuen Spielzeit hatte es in sich. Gleich aus mehreren Gründen.
1. Das Chemnitzer Publikum liebt und schätzt seinen Felix Bender, ob er den „Grafen von Luxemburg“ dirigiert oder einen Verdi (Otello, Don Carlos). Würde es ihm auch den Schostakowitsch abkaufen? Tat es. Die neugierigen Chemnitzer kamen in Scharen zu dieser musikalischen Stalin-Abrechnung.
2. Beermann war Chef. Und er zeigte das gern. Bender war eher junger Kollege der Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie. Aber der Mann am Dirigentenpult muss sagen, wo’s langgeht. Würden sie ihm folgen? Taten sie. Bender hat’s musikalisch drauf: die „Stimmlosigkeit“ Schostakowitschs angesichts der Nachricht „Stalin ist tot“, die sich in aushauchenden Satzschlüssen manifestiert, und die in Musik gesetzten Gewaltausbrüche des Millionen-Mörders (2. Satz). Bender hat’s auch technisch drauf: Er ist sich nicht zu fein, aus dem Ganztakt-Schlagen mal rasch die Viertel zu dirigieren, um Übergänge perfekt zu machen. Und er gibt Einsätze über Einsätze, auch wenn sie selbstverständlich scheinen und den Profis ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und Bender weiß, dass zum Dirigieren auch die Show gehört: Er wippt zum Furiant (Dvořák) mit dem ganzen (sportlichen) Körper Wie ein Feldherr schlägt er den letzten Ton ab mit weitausholender Geste nach hinten – Sieg auf der ganzen Linie…
3. Bender ist ehrlich. Bleibt jungenhaft. Wird nicht überheblich. Bei der Einführung fehlt das Klavier. No problem. Bender singt hoppla hopp die Passage. Er weiß, wem er Erfolg oder Misserfolg verdankt. Geht am Schluss quer durchs Orchester, drückt den Stimmführern die Hand – auch dem Kontrabass, wo Beermann & Co. es gern mal mit Dankeshänden aus der Ferne hoheitsvoll genug sein lassen. An diesem Abend, wo so viel solistische Arbeit aus dem Orchester heraus verlangt wird, lässt Bender jede und jeden seinen persönlichen Beifall abholen. Und – spannende Frage – wird er, und wenn ja, wem, seine Blumen überreichen? Die Piccolo-Flötistin ist es… Zu Recht. Sie wird rot. Und das Publikum klatscht begeistert. Kleine Geste – große Wirkung. So gewinnt man Menschen. Und Konzertbesucher.
4. Die Solistin ist noch jünger als Bender. Erst 24. Hat eben den Master gemacht. Aber die zarte Hyeyoon Park hat es faustdick auf den Bogenhaaren. Die junge Dame (schick in langer, brauner Volant-Robe) zeigt, was sie will (Tempo letzter Satz). Wie sie die Holzbläser gleich zu Beginn des Dvořák-Konzertes empfand, frage ich sie, waren die nicht ein bisschen zu grob zu Ihnen? Oh, überhaupt nicht, sagt sie, ich kam prima mit ihnen zurecht. Na ja… Etwas deftig waren sie schon. Aber das gehört bei Dvořák offenbar dazu. Die berühmte Anne-Sophie Mutter hat einmal gesagt, das Dvořák-Konzert werde auch deswegen seltener gespielt als andere, weil es so unkonventionell orchestriert sei. Hat sie Recht, die grande dame. Das ist keine Mendelssohnsche deutsche Romantik. In der böhmischen Volksmusik geht’s schon mal etwas ruppiger zur Sache, die Hörner singen nicht von der blauen Blume. Die pusten Jagd auf das feine Rehwild Geige.
5. Bender wusste natürlich, dass die Verpflichtung der jungen Koreanerin (die schon mit 14 nach Deutschland zum Studieren kam) ein besonderer Wunsch des Generalintendanten war. Christoph Dittrich hatte sie in Köln mal mit dem Korngold-Konzert gehört und war hin und weg von der Kraft, die diese zarte Person auf ihre Geige überträgt. Hyeyoon Park kann mit ganz flachen Fingern der linken Hand auch die schnellsten Läufe dahinzaubern. Aber sie kann auch Abstrichakkorde hinknallen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Das Schönste aber ist die Tonfülle, die sie erzeugt – wunderbarer voller Glanz von der G-Saite. Traumhaft. Tolle Geige von dem Bonner Stefan-Peter Greiner, der heute in London arbeitet. Bender sorgte dafür, dass Orchester und Solistin sich nichts schenkten. Und der Intendant glücklich war ob des Beweises, dass seine Wahl erste Sahne war. A propos Sahne: Als Zugabe spielte Hyeyoon Park das Largo aus der C-dur-Sonate von Bach – dieses verflixte Stück, wo fast unsichtbare Bogenkapriolen die linke Hand am Klavier ersetzen müssen. Herrlich. Von dieser jungen Dame werden wir noch viel hören.
6. Talente entdecken – Originales wiederentdecken: beides eine schöne Chemnitzer Tradition (Meyerbeer, Nicolai). Den Hexensabbat der wilden „Nacht auf dem kahlen Berge“ haben wir schon oft gehört. Es gibt sie in vielen, vielen Bearbeitungen – von Mussorgsky selbst bis hin zur Stern Combo Meißen. Das Mussorgski-Original, das wir am Mittwoch hörten, ist so viel wilder, so viel großartiger – selbst Christoph Dittrich („ich habe diese Version vorher nie gehört…“) war über die Maße angetan. Gleich die ersten Takte – was für ein toller Auftakt in die neue Spielzeit, das chromatische Rauf und Runter, die Bläser-Krönung. Mehr von solchen Anfängen… (Es muss nicht immer Schumann sein, wie es vor Beermanns Zeiten jeweils zu Spielzeitbeginn als Verbeugung vor dem Namenspatron üblich war).
Hyeyoon Park hatte den Schostakowitsch im Publikum miterlebt. Sie rückte am Ende auf dem Sitz nach vorn, klatschte begeistert mit erhobenen Händen. Sie weiß, was die Robert-Schumann-Philharmonie an diesem Abend geleistet hat – mit ihr und ohne sie. Bender, die erste – das war ein toller Erfolg. Mitreißendes Programm, hinreißende Solistin. Zufriedenes Publikum. Glücklicher Intendant. Chemnitz at its best. So kann es weitergehen.