Unter dem Beifall des Publikums verneigten sich dankbar am Ende auch Alexander Kuchinka und Jakob Brenner Hand in Hand. Der Textherr und der Notenchef gehörten auch zu den herausragenden Protagonisten der Aufführung: Kuchinka, der Österreicher aus Klagenfurt, der in der nächsten Spielzeit die Kinderoper „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ in Chemnitz inszenieren wird, spielt den Teufels-Knecht Ruprecht, Brenner die Robert-Schumann-Philharmonie, die nach dem Gedränge im Graben beim „Ring“ über Ostern gestern nun viel Platz hatte. Aber immerhin vier Hörner verlangt auch Suppé. Und noch eine kleine Orgel.
Die Geschichte ist einigermaßen verrückt. Erzählen wir sie mal so (Kuchinka und Carla Neppl, die Dramaturgin, die an der Neufassung maßgeblichen Anteil hat, mögen‘s verzeihen): Alle Welt will in die Hölle. Weil’s dort nicht so schlimmböse hergeht wie auf Erden. Dorthin fährt der Teufel, weil er immer dort sein will, wo es am bösesten zugeht – die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht, und zwar schon seit Jahrhunderten… Ohne den Diktator bricht unten das Chaos aus. Vor den Gittertoren zur Hölle bilden sich lange Schlangen. Der Portier ist total überfordert: darf er den Fake-Trump mit seiner kompletten Lebenslüge oder die blaue Frauke P., die wohl nur ein paar Steuer-Euros hinterzogen haben soll, aufnehmen? Der Boss muss wieder her. Also wird Knecht Ruprecht nach oben geschickt, um seinen Chef zu suchen. Dort trifft der fledermausgeflügelte Teufelsklumpfuß auf den blondgelockten, flügelchenschlagenden Engel Rupert, der schon seit Jahrhunderten nicht mehr weiß, ob es seinen Chef überhaupt noch gibt. Die beiden verbünden sich – suchen nach dem Höllenchef im Nonnenkloster, des 17. Jahrhunderts, in einer k.-und k.-Kaserne des 19. und einer Tanzschule, wo sich kaugummikauende egoistische Langweiler mehr für ihre Handys als um Haltung bemühen. Zwei Liebesgeschichten sind eingefügt (die beiden Paare kriegen sich), Teufelsbrut (die rotschwänzige Äbtissin) und der dickbäuchige Oberst-Teufel (Gerhard Ernst) werden enttarnt und dahin geschickt, wo sie hingehören, und der Teufels-Knecht will seinem „Lustig“-Engelfreund helfen, nicht auf Godot zu warten, sondern ihn zu suchen.
In einem (Nestroy hätte den Hut gezogen) Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Couplet nehmen Engel und Teufel auf die Schippe, was auf der Welt heute alles nicht in Ordnung scheint. Da reimt sich geil auf Detail („Der Teufel steckt im Detail“) – und Engel Matthias Winter und Teufel Kuchinka sind in ihrem Element – und setzen punktgenaue Treffer auf die Lachbauchnerven. Der Tanzstundenakt ist eh der spritzigste Teil des Abends: mit dem Tanzschulleiter Tilo Kühl-Schimmel („Haltung ist keine Sache des Rückgrates“), dem Generalintendanten Christoph Dittrich („Katastrophe, wie bring‘ ich das nur Frau Ludwig bei, dass Helene Fischer für den Opernball abgesagt hat“) – herrlich, dass er sich für diesen Spaß hergegeben hat, und wie er’s gemacht hat. Mitreißend die spanische Casting-Nummer von Franziska Krötenheerdt und das Tanzschülerquartett Krötenheerdt, Sylvia Rena-Ziegler, Reto Rosin, Andreas Beinhauer – swingschwungender Höhepunkt.
Aus Suppés Musik ist alles herauszuhören, was damals (1877/78) modern war, und was er liebte: Offenbach, Rossini, und – ja auch Verdi. Sylvia Rena Ziegler und der Obergefreitenchor, das war eine Belcanto-Glanznummer. Ovidiu Simbotin schluchzte herzzerreißend sein Violinsolo und die Philharmoniker zeigten ihrem Chef García Calvo (der im Publikum saß), dass sie nicht nur Wagner, sondern auch „leicht“ können, was manchmal gar nicht leichter ist. Perfekter Fachmann auch und gerade in diesem Genre: Jakob Brenner.
Die erfahrenste Operettenfrau unter den Darstellern ist Kammersängerin Dagmar Schellenberger, die unzählige Male in aller Welt Straußens Rosalinde gesungen hat und auch jahrelang Intendantin der Seefestspiele Bad Mörbisch war. Sie spielt die Teufelstochter-Äbtissin. „Diese Stiftsvorsteherin Aglaja ist ein echter Satansbraten, der das Vermögen ihrer Schutzbefohlenen in den Besitz des bankrotten Klosters bringen will und ein Kind mit dem Pförtner hat. Böse, bigott und bizarr. Ich freue mich riesig“, bekannte sie vor der Premiere in einem Interview mit der Neuen Musikzeitung. So hat sie auch gespielt.
„Mit einer verantwortungsbewussten Gestaltung agieren wir historisch informiert im Sinn der sich zu Lebzeiten Franz von Suppés erst herausbildenden Gattung, die wir heute generell Operette nennen… Die Inspiration des Textbuchs von „Der Teufel auf Erden“ durch Heinrich Heines „Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem“ und Wilhelm Hauffs „Mitteilungen aus den Memoiren des Satans“, eine Satire über die Harmlosigkeit des Teufels angesichts der biedermeierlichen Niedertracht, sind unverkennbar. Das ist genau das, was wir wir heute als „intelligente Unterhaltung“ verstehen. Deshalb freue ich mich so, bei dieser für Franz von Suppé so wichtigen Produktion dabei sein zu können.“ Auch das Zitat stammt von Dagmar Schellenberger, die übrigens künftig auch die Rolle des Intendanten übernehmen wird.
Hinrich Horstkotte, erfahrener Regisseur, der weiß, das beste Sänger nicht auch die besten Schau-Spieler sein müssen, hat mit Sabrina Sadowska an seiner Seite Teufels, Nonnen- und Obergefreitenchöre perfekt bewegt (Sonderlob für die von Stefan Bilz einstudierten Chöre, die – ständig in Bewegung – trotzdem fast immer auf dem Schlag da waren), aber auch die Einzelnen, im Zusammenfügen von Kleingruppen und ausgefuchsten Bewegungen, spürbar zur Leichtigkeit geführt. Die ist bei Kindern eh da: Das Publikum war begeistert, wie die kleinen Engelchen (Annabell Enzmann, Charlotte Kieschkat) und die Teufelchen Valentin Herzog und Pascal Johann Unterschütz in den Umbaupausen (einmal zur eingefügten „Frau Meisterin“-Ouvertüre von Suppé) selbstbewusst und gelenkig Sadowskas Intentionen folgten, als täten sie sonst nichts anderes. Horstkotte scheute sich zum Glück nicht, Klischees zu verwenden (Rosin etwa kommt wie der „arme Wandergesell“) oder Kisch as Kitsch can zu zelebrieren (die Nönnchen Krötenheerdt und Ziegler kniend in Unschuldsweiß, die Köpfchen seitgeneigt wie beim heiligen Aloysius in der Dorfkirche).
Unschlagbar die Unmengen an passenden Kostümen und das lichtunterstützte (Holger Reinke), schnell umbaubare, aber wirksame Bühnenambiente von Hölle, Kloster, Kaserne, Tanzssaal, die Horstkotte selbst entworfen hat. Viel zu schauen.
Und ganz viel, zu viel, gesprochene Sprache zu hören. Der Text kann sicher noch deutlich gestrafft werden. Der lastet noch. Dafür sind die fragmentarischen Übertitel noch ein bisschen sparsam f+ür dieses Spektakel.
In Chemnitz kam – am langen Beifall gemessen – die Premiere gut an. Die Wiederentdeckung wird in die nächste Spielzeit übernommen und geht später nach Wien, wo Suppés „Teufel“ im damaligen Carlstheater 1878 Premiere feierte. Der Klagenfurter Kuchinka, der seine Schmäh-Wiener bestens kennt, darf auch bei seinem Heimspiel auf Erfolg setzen…
Die nächsten Aufführungen in Chemnitz: 4., 7., 24. Mai 2019