Gottlob kann man Gottlob keinen Vorwurf machen. Mist zu kommentieren ist … Da hatte es Beermann leichter. Locker, flockig, wenn auch nicht vom Hocker, so immerhin ohne Mikrophon („das ist vielleicht für Predigten geeignet…“) kommentierte mit „gestützter Stimme“ der GMD, welch tolles Ding er und die Robert-Schumann-Philharmonie sich mit diesem Chemnitzer Schubert-Sommer-Märchen vorgenommen haben.
Nach dem Beethoven-Zyklus vor zwei Jahren nun also Schubert. Den großen Unbekannten. Den so richtig niemand auf der Rechnung hat. Außer ein paar Liedern und den großen Sinfonien (Unvollendete, „große“ C-Dur-Sinfonie) kenne kaum jemand den Komponisten, der (gestorben mit 31) noch nicht einmal so alt wurde wie Mozart (35). Der kein prekariatsverdächtiger Einzelgänger gewesen sei, sondern ein Mensch, der mitten in der Gesellschaft gestanden sei.
Man spürt es: Beermann, groß im Finden und Polieren vergessener und verstaubter Juwelen, hat mit Schubert einen neuen Edelstein entdeckt, den er dem Publikum nahebringen will. Er tut es mit Humor („Schubert war zweiter Geiger im häuslichen Streichquartett, ehe er sich zum Bratscher hocharbeitete…“ Lachen und Beifall in Orchester und Publikum, selbst Chefbratscher Matthias Worm schmunzelte leicht), mit der Begeisterung eines Konvertiten („auch ich habe beim Einstieg in die Noten viel Neues entdeckt“) und mit subkutan verabreichter Didaktik-Spritze („wir wollen ja hier kein Musikkolleg abhalten“). Aber jedem Zuhörer wurde klar, dass man Beethoven-Sinfonien nicht chronologisch aufführen muss (Meister ist Meister), während bei Schubert deutlich eine Entwicklung zu spüren sei, „nicht nur für Fachleute“.
Nun also die Sinfonien 1 und 2 zum Auftakt. Als der „Autodidakt“ Schubert 1813 mit 16 Jahren (da hatte Mozart schon Opern komponiert, und Köchel zählte bis dahin schon 135 Werke) seine erste Sinfonie (man erzählt sich, im Morgenmantel in einer kalten Dachbude daheim) niederschrieb, da hatte Beethoven schon die siebte fertig. Beethoven wurde zum Vollender der Klassik. Schubert zum Bannerträger einer neuen Zeit: politisch des Vormärz, epochengeschichtlich der Romantik. Statt heroischer „Eroica“ die „muntere Forelle“. Statt Schiller („Freude schöner Götterfunken“) Novalis und andere Blaue-Blumen-Sucher. (Von diesem Novalis, dem Freiberger Studenten von Hardenberg, hat Schubert einige Lieder vertont…)
Schubert ist schon als junger Mann kein Dramatiker, er ist eher Novellenschreiber wie Novalis oder Eichendorf. Gewiss, es kann dramatisch zugehen (die Streicher, vor allem die zweiten Geigen – ob Schubert wirklich zweiter Geiger war? – müssen wirklich schuften, Millionen schnelle Achtel und Sechzehntel hinter sich bringen), aber Schubert nimmt sich auch die Zeit, episch breit zu erzählen (die Kopfsätze sind außergewöhnlich lang) und hat dazwischen immer noch Zeit für lyrische Sehnsüchte (wie die Variationen in der 2. Sinfonie über einer einfachen Liedmelodie, die Eichendorfs Taugenichts hätte violinierend singen können, wäre er da schon geboren gewesen, beantwortet durch die Bassmacht der Natur, des romantischen Wälderrauschens der Holz- und das postillonhohe Blech der Trompeten und Hörner).
Spielfreude pur. Beermann nahm beide Sinfonien, der Akustik der Markuskirche angemessen, schnell, aber nicht rasend (wie andere, Maazel etwa, die schon vier oder fünf Minuten früher fertig sind, aber vielleicht weniger von deutscher Romantik verstehen als Beermann). Das Orchester war trotz der langen Saison auf den Punkt topfit, hatte entzückenden Spielwitz, verstand sich blind in Kombinationen (auch wenn sich die hinteren Pulte der Geigen mit Sicherheit nicht hörten) und ließ sich auch durch die mächtige Kulisse des Blechs nicht aus der Fassung bringen.
Portugal-Stimmung und Jubel beim Publikum. Fortsetzung folgt am Freitag, versprach Beermann („da sind Sie ja alle wieder da…“). Die Sinfonien 3 und 4 werden mit Sicherheit nicht Algerienzittern, und Beermann wird nicht Torwart, Libero und Viererkette spielen müssen. Sein Team steht. Halbfinale dann am Sonntag im Straßenbahndepot. Und – wie auch immer die Rasenkollegen vorlegen – glänzendes Finale am nächsten Mittwoch mit der ohrwurmigen „Unvollendeten“ und der strahlenden C-Dur-Sinfonie. (Sondertraining für die Standardsituation zu Beginn ist für die Hörner schon angesetzt).