Das Walton-Konzert ist gespickt mit technischen Schwierigkeiten. Und die Brillanz kommt eher optisch zur Geltung – wenn die Finger in schnellen Läufen über alle Saiten eilen, wenn Doppel- und Dreifachgriffe auch noch mit eingefügten Trillern erschwert werden. So hatte es sich Jascha Heifetz, einst unumstrittener Superstar der Geigerzunft, wohl vorgestellt und vom Komponisten Virtuosität eingefordert. Muss ja nicht jeder spielen können…
Walton, Engländer, Jahrgang 1902, komponierte sein Violinkonzert kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Da war Walton schon amerikanischer Staatsbürger. Und der Krieg noch weit weg. Als das Konzert 1943 zum ersten Mal in England aufgeführt wurde (diese revidierte Fassung spielte Heidrun Sandmann) war der mörderische Donnerhall schon sehr viel deutlicher zu hören. Doch wer’s nicht weiß, hört in dem Konzert davon nichts. Ganz im Gegenteil. Neben aller Virtuosität träumt die Geige manchmal wunderschön vor sich her und der erste Satz endet in einem kaum hörbaren Pianississimo.
Wer sich solche Stücke auswählt, der will nicht glänzen auf Teufel komm raus. Heidrun Sandmann geht es darum, die teils versteckten Schönheiten des Konzerts herauszufiltern. Sie legt Wert auf viel Ton, klettert auf der tiefen G-Saite ganz hoch, um noch ein bisschen mehr Klangfülle hervorzuzaubern. Selbst in Stelen mit Dämpfer oder bei Flageoletts gelingen ihr bestechende Momente, auch ganz ganz oben am Ende des Griffbretts. Mit den technischen Schwierigkeiten, die Heifetz eingefordert hatte, protzt sie nicht. Sie spielt sie, als gäbe es sie nicht. Eindrucksvolle Leistung, zu Recht belohnt mit einem Drücker von Hartmut Schill, einem Blumenstrauß der Kollegen und einem nicht enden wollenden Beifall des Publikums. Der galt ihr, weniger dem reizvollen Werk, das Mitteleuropäer aber seltsam fremd bleibt.
Ganz anders Schostakowitschs 9. Sinfonie. Gastdirigent John Fiore, an vielen großen Opernhäusern der Welt zuhause, ließ sie eher fröhlich erklingen, so wie sich Schostakowitsch das wohl vorgestellt hat, als der schreckliche Krieg endlich vorbei war und dieses Gefühl die Erwartung der Stalin-Hörigen und Stalin-Verächter überlagerte. Beide Lager hatten von Schostakowitsch eine politische Aussage in der neuen Sinfonie erwartet: Er scherte sich nicht drum.
Die Neunte – Schostakowitsch hat schließlich 15 Sinfonien geschrieben, viele andere Komponisten fürchteten sich, nach der großen Beethoven-Sinfonie selbst eine Neunte zu schreiben – ist ein Werk, mit dem ein Orchester so richtig glänzen kann – die einzelnen Stimmgruppen (Blechbläser!) ebenso wie die SolistInnen im Orchester: von der Piccolo-Flöte über Fagott, Klarinette, Horn, erste Geige bis zu den Schlagwerkern. Wunderbare Einzelleistungen und ein glänzendes Ganzes, zu dem sich die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie da verwoben bis zum Schluss, der selbst für den Dirigenten immer wieder überraschend plötzlich kommt.
John Fiore hat auch mal als Assistent von Leonard Bernstein gearbeitet. Dessen „Candide“-Ouvertüre ist für ihn ein Heimspiel. Und für das Orchester ein Riesenvergnügen. Selten sieht man die Streicher sich miteinander so einhellig im Rhythmus bewegen (nicht nur die Bogenhände). Und die Mund- und Atem-Artisten bliesen sich wie vor Freude die Seele aus dem Leib. Herrlich!
Mutig, ein solches Programm in der Vorweihnachtszeit. Aber herrlich entspannend gegenüber dem ständigen Jingle Bell, das langsam Ohren-Katarrh erzeugt. Und eine fantastische (Wieder-)Entdeckung mit dem Walton-Konzert. Dank Heidrun Sandmann. Es gibt noch einiges an kaum bekannter Geigen-Literatur. Gern wieder!
Heute, Donnerstagabend, 19 Uhr, in der Chemnitzer Stadthalle, können Sie das Konzert noch einmal erleben