Die Matinee mit den Akademisten, die gern ein bisschen besser hätte besucht sein können, ist jedes Jahr ein besonderes Schmankerl im Chemnitzer Konzertleben. Hartmut Schill, der sich mit seinen Mentoren-Kollegen engagiert um die jungen Kollegen kümmert, schafft es immer, aus den Instrumentalisten auch rauszukitzeln, was sie denn so antreibt. Und da bleibt selbst Hartmut Schill mal der Mund offen stehen… Ups!
Ungeniert erzählte etwa die Bratschistin Anežka Ferencová dem geigenden Konzertmeister, dass sie zwar auch mit der Geige angefangen habe. Mit 18 habe sie sich dann aber zur Bratsche entschlossen. Da gäb’s die eine (selbstbewusst sonore) Stimme und nicht den ewigen Streit, ob erste oder zweite Geige, der ihr gehörig auf den Zeiger gegangen sei… Und so zog die junge Frau aus der Musikstadt Prag ein paar Kilometer Moldau/Elbe-aufwärts und studiert nun in Dresden Viola.
Ein kleines Eigentor hat sie denn doch geschossen. Hartmut Schill hatte angeregt, dass die Musiker jeweils ein Stück aus ihrer Heimat als Geschenk für das Publikum mitbrächten, das sie dann im Quartett servieren sollten. Und Anežka Ferencová hatte eine („echt böhmischer Klang“ – Schill) Bearbeitung einer fast gregorianischen Melodie aus dem 12. Jahrhundert von Josef Suk mitgebracht. Der war nicht nur Dvořáks Schwiegersohn, sondern auch ein berühmter (nö, nicht Bratscher) Geiger…
Die Koreanerin Byung-Hye Yu bekannte dagegen ungeniert, dass sie lieber Geige gelernt hätte. Mutter Pianistin, Schwester Geigerin – da blieb aus Familienraison schließlich das Cello. Da könnte man ja schön Trios spielen… Heute liebt die in Dresden studierende junge Frau ihr Instrument. Sie ist in Deutschland geboren, in Korea aufgewachsen, jetzt wieder in Deutschland… Aber ob sie da bleiben will? Weiß sie noch nicht. Die Sprache jedenfalls beherrscht sie so gut wie ihr Instrument.
Byung-Hye Yu bescherte das Publikum vorweihnachtlich mit einem koreanischen Volkslied. Ursprünglich sangen das ihre Landsleute zur Begleitung einer Art Volksharfe – jetzt hörten wir die melancholische Melodie in eher westeuropäischer Harmonik vom Akademisten-Quartett.
„Gott sei Dank musste ich nicht jodeln“, bekannte hinterher der Vater von Maria Holzer-Graf, der Vater der zweiten Geigerin. Sie studiert in Leipzig. Die Eltern der Musikerin waren aus dem Salzkammergut zur Matinee gekommen. Maria hatte einen Ländler aus ihrer Heimat mitgebracht, einen fast derben bäuerlichen Tanz („dafür braucht ihr nicht extra stimmen“, meinte sie locker zu den Kollegen). Fehlte nur noch der Jodler dazu, lockte Hartmut Schill. Das sei denn doch eher was für ihre Eltern, meinte verschmitzt die Geigerin, die locker auch in Salzburger Mundart parlierte. Aber der Vater hatte ja „auch keine Lederhose“ dabei. Und die ebenfalls musizierende Mutter bekannte, dass sie Jodler eher für „männliches Imponiergehabe“ halte.
Ein solches liegt dem Geiger Alexander Lesch (studiert ebenfalls in Leipzig) überhaupt nicht, aber auf den Mund gefallen ist er auch nicht. Der junge Mann aus Halle gestand zwar zu, dass der Ausschnitt aus Händels „Feuerwerkmusik“ nicht in Sachsen-Anhalts „heimlicher Hauptstadt“ Halle (Lesch) entstanden sei. Aber wäre Händel nicht (in Halle) geboren worden, gäbs keine Feuerwerkmusik. Unbestreitbar…
A propos jung: Alexander Lesch ist 21. Was Mendelssohn da mit 18 Jahren komponiert habe, sei von einer solchen Tiefe, dass dieses a-moll-Quartett allen vieren tiefsten Respekt abgenötigt hätte. So kam’s zu dem Mendelssohn-Kompromiss, obwohl die vier eigentlich ganz unterschiedliche Vorlieben hätten, so Lesch.
Dem Publikum konnte es recht sein. Sowohl der zweite (Adagio-)Satz des Quartetts wie auch der abschließende erste mit seinem getragenen Beginn und den fugierten Sechzehntel-Fluchten passte von der Stimmung her zum Totensonntag. Und bewies, dass die jungen Akademisten nicht nur technisch gut sind, sondern sich auch bereits wunderbar einfühlen können in die Klangwelt eines der schönsten (und „schwierigen“ – Schill) Streichquartette der Kammermusik-Literatur.
Möglicherweise werden wir es komplett hören, wenn die Akademisten im Frühjahr oder Frühsommer ihr traditionelles Konzert in der Jakobi-Kirche geben. Oder bei einer „Spielzeit im Kraftwerk“. Wir freuen uns schon drauf.
Vorerst aber herrscht der Arbeitsalltag – üben, proben, Aufführungen auf der Bühne und im Graben. Die „Jungprofis“ eingereiht unter die erfahrenen Profis der Robert-Schumann-Philharmonie. „Sie spielen nicht nur mit, sie gehören dazu“, sagte Hartmut Schill, und: „Es ist eine gegenseitige Bereicherung für beide“.
Dass das möglich ist, dafür bedankte er sich bei den Mitgliedern des Theaterfördervereins. Der Verein finanziert die Akademisten seit vielen Jahren – neben seinen anderen selbst gestellten Aufgaben wie etwa Schauspielstudio und Nachtschicht.
Und wenn dann noch ein „bisschen Geld“ da ist, dann wird ab und an auch ein Instrument angeschafft für die Philharmonie, eine Harfe etwa, oder ein Euphonium. Oder wie jüngst ein E-Bass. Dafür dankte am Rand der Matinee Orchesterdirektor Raimund Kunze Johannes Schulze, dem Vorsitzenden des Fördervereins, besonders. Kunze war noch ganz begeistert vom ersten Einsatz des Instruments – am Samstag, am Abend vorher, im Musical „Chess“. Und auch heute Abend werde der E-Bass da für den nötigen Tiefen-Wumm sorgen…