Schwaben aus dem Häusle: Chemnitzer „Walküre“ in Ludwigsburg frenetisch gefeiert

Bravi ohne Ende schon nach dem ersten Akt. Nach dem zweiten ging der Wahnsinn weiter. Und am Ende stand das Publikum in der dick besetzten Konzerthalle und klatschte frenetischen Beifall für die Akteure aus Chemnitz und deren ausgesuchte Gäste. Die Walküren in ihren roten Roben wussten kaum, was ihnen geschah. Und die Orchestermusiker, denen Wagner nahezu Unspielbares auf die Pulte gelegt hat, freuten sich wie selten bei einem Applaus. Sie strahlten übers ganze Gesicht.

Patrick Wurzel, Direktor Künstlerische Planung und Betriebsdirektor der Oper Chemnitz, noch ganz aufgeregt und glücklich erregt über den großen Erfolg, erzählte um Mitternacht im Hotel, wie leicht es gefallen sei, die Top-Solisten, die teilweise noch nie zusammen gesungen hatten, zu engagieren. „Als die Entscheidung gefallen war, dass wir das in Ludwigsburg machen können, habe ich ganze vier Minuten und 20 E-Mails gebraucht“, schwärmte er, „dann hatte ich die Crew zusammen“. Das will was heißen, auch wenn der rührige Organisator da vielleicht ein bisschen übertrieben hat. Aber Top-Stars der internationalen (Bayreuth-erfahrenen) Solisten wie Klaus Florian Vogt (ein wunderbarer Siegmund – was für ein ergreifend lyrischer “Wonnemond”), Astrid Kessler (die in ihrer Schwachheit über sich hinauswachsende Sieglinde) und Catherine Foster (eine Brünnhilde, wie man sie sich nicht besser wünschen kann) gemeinsam mit der Robert-Schumann-Philharmonie auf die Ludwigsburger Bühne zu locken, ist nicht gerade Gang und Gäbe.

Er hat es geschafft. Ratzfatz, wie es in Sachsen heißt. Hoppela hopp, wie die Schwaben sagen würden. Und sie Sängerinnen und Sänger verstanden sich prächtig – auf Anhieb. Und genossen ihren Erfolg. Noch am Nächsten Morgen redete Brünnhilde Catherine Foster, die ihre Partie in- und auswendig beherrscht und komplett ohne Blick in die Noten gesungen hatte,  beim Frühstück im Hotel glücklich wie ein Buch…

Guillermo García Calvo, der Chemnitzer GMD, hat sie zu Höchstleistungen und tollem Erfolg animiert. Nicht nur die Superstars, sondern auch den göttlichen Wotan Aris Agiris in seinem Machtstrunz und dem Kneifen vor der imposanten Hausherrscherin Fricka  (Monika Bohinec) und dem „bösen“ Hunding Magnus Piontek, besser den je. Vergessen wir die „Walküren“ nicht – fast alle in Rot, darunter Franziska Krötenheerdt und Sylvia Rena Ziegler und Caroline Wenborne aus Wien, die kurzfristig für die erkrankte Regine Sturm eingesprungen war. Was für eine Pracht, auch in den Stimmen. Die Acht und ihre Chefin Brünnhilde zu hören – da weiß jeder, warum Wagner in der „Walküre“ keinen Chor braucht,,,

García Calvo, bekennender Wagner Fan, holte aus Sängern und Orchester, wenn das geht, noch mehr raus, als wenn er im Graben steht. Er kennt jede Stimme haargenau, weiß, welcher er wie den Einsatz geben muss von den acht Damen vor dem Publikum in seinem Rücken – obwohl die ihn in den Video-Geräten an den Brüstungen genau sehen können. Die unmittelbare Nähe holte noch mehr aus den Noten heraus, als es die Graben-Trennung je vermag. Die Robert-Schumann-Philharmonie in Großbesetzung (mehr, als in den Orchestergraben passen würden, fast 100 Musiker) schienen von dieser unmittelbaren Ansprache angetan und lieferten einen bisweilen atemberaubenden, in Herzschlag-Dynamik bestechenden Wagner ab. Der Konzert-Saal, mit seiner tollen Akustik, hat (mecker, mecker, treetz – siehe Elbphilharmonie) auch einen kleinen Nachteil. Er ist ziemlich „trocken“ – heißt, es verschwindet nichts in einem Nachhall. Desto größer das Kompliment an die Bläser, die Blech-Garde und die Hölzer, für eine fantastische Leistung. Von den Streichern gar nicht zu sprechen – was Wagner denen zumutet nach mehr als drei Stunden und übertönt vom Blech ist kompositorische Frechheit. Aber es klingt – zum Niederknien schön.

So empfanden es auch die Schwaben in Ludwigsburg. Skeptisch, was ihnen das geboten werden würde, sagten uns Tisch-Nachbarn in der Pause, seien sie gekommen. Am Ende waren sie überzeugt davon, eines dr besten Wagner-Orchester Deutschlands, einen tollen Wagner-Dirigenten und Top-Wagnersänger gehört zu haben. Sie waren – nach viereinhalb Stunden – schlichtweg aus dem Häusle. Ganz ohne „Ha noi“ und Haar in der Suppe.

Das fand auch Generalintendant Christoph Dittrich erwartungsgemäß nicht, der mit Verwaltungschef Hergen Gräper extra zu diesem sensationellen Erfolg angereist war. „Leider gibt es keinen vierten Akt“, bemerkte er lakonisch (aber glücklich) nach der schwäbischen Beifall-Orgie am Schluss. In der Nähe von Stuttgart und gar nicht so weit weg von Bayreuth waren auch viele, die nicht nur Wagnerianer mit Herz und Ohr sind, sondern auch viel von diesem Giganten der Musik verstehen. Chemnitz hat sich auch für sie präsentiert at its best. Glückwunsch an die komplette Chemnitzer Oper!

Nach diesem Superabend erstaunt es nicht, dass schon Gespräche für eine erneute Einladung der Chemnitzer im kommenden Jahr nach Ludwigsburg laufen. Was gespielt werden soll, darf noch nicht verraten werden. Es wird mit Sicherheit wieder ein Erfolg.

Damit rechnete übrigens auch der Deutschlandfunk. Die Kultur-Redakteure hatten den richtigen Riecher. Mehr als drei Stunden Chemnitzer Wagner aus Ludwigsburg zur besten Sendezeit? Sie können es miterleben und nachhören: 25. Mai 2019, wird das Konzert auf Deutschlandrundfunk Kultur übertragen.

Konzertante Aufführungen haben ihren Reiz – szenische fordern auch noch die Augen und regen die Fantasie auf ganz andere Art und Weise zusätzlich an. Die „Walküre“ gibt es in Chemnitz auf der Bühne in dieser Spielzeit noch zweimal zu erleben; am 19.4. und 1.06.2019. 

Begeisterung auch im Netz: https://onlinemerker.com/ludwigsburg-forum-schlosspark-gastspiel-theater-chemnitz-die-wakuere-konzertant-mit-vogt-foster-kessler-bohinec-argiris-piontek/

https://www.swp.de/suedwesten/staedte/ludwigsburg/wagner-fans-verfallen-in-euphorie-30199190.html