Schubert als Alibi. Und Augustusburgforelle

Aber der Reihe nach:

Enthüllung 1 (durch Frank Beermann): Schubert war nicht der in sich verschlossene Notenkritzler aus dem Kämmerlein. Kammer ist zwar richtig. Aber damals sprach man vom Salon. Und in diesen Salons trafen sich Vordenker des Vormärz, junge Hitzköpfe, denen die k&k-NSA mehr als einmal nachspionierte. Mittendrin Schubert. Angeblich seinetwegen traf man sich, deshalb Schubertiade. (Alibi. So wie die Playboy-Leser der ersten Ausgabe angeblich nicht wegen des ausklappbaren Faltnackedeis den Playboy kauften, sondern wegen des grandiosen Norman-Mailer-Interviews). Diskutiert wurde nicht nur über die neue Kammermusik (die gespielt wurde), sondern auch über neue Gedanken, die dem alten Kaiser und seinen Geheimdienstlern gar nicht gefallen hätten, wären sie nach draußen gedrungen. Was leider manchmal geschah. Bei einer der Razzien wurde denn auch Schuberts Freund Senn verhaftet. Der „harmlose“ Musiker kam davon.

Moment musical 1: Wie harmlos kam das Streichtrio B-Dur (das fertige, Schubert hatte vorher mehrere Entwürfe und Fragmente geschrieben) rüber! Benjamin Fuhrmann, Violine, Albrecht Kunath, Viola, Jakub Tylman, Cello (sein Auftritt1) machten, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten. Aber sie spielten mit höchster Präzision die gar nicht harmlose, sondern an der Zeitengrenze knirschende  Balance aus zwischen „Adieu, du warst schön, du alte Klassik-Zeit“ (Schubert zieht den Hut vor Mozart und Haydn) und der noch dunkel verschleierten Zukunft, die Freiheit verheißt (Schubert zeigt sich als skeptischer Moll-Romantiker)  – feine Abstimmung zwischen den Instrumenten, höchst präzise Absprache der Einwürfe. Und, das hat Spaß gemacht, einem – schnell zurückgenommenen – Sforzato von Jakub Tylman. Hieß: So brav wie früher geht’s nicht mehr weiter. Hopp jetzt.


Enthüllung 2 und Moment musical 2 (durch Jakub Tylman und Daniel Heide, Klavier): Schubert ist nicht nur der brave, schlecht bezahlte Vorschullehrer und musikalisch halt ein Autodidakt. Nö, Schubert war auf der Höhe der Zeit. Ein Moderner in Wien, der Stadt der Alten (wie Beethoven und Schubert-Lehrer Salieri). Er probierte nicht nur harmonisch Neues, sondern auch neue Instrumente. Die Arpeggione zum Beispiel. Das ist eine Art Kreuzung zwischen Gitarre und Cello. Äußere Form wie eine Gitarre, Decke aber gewölbt. Das war der Gag: Sie sollte mit dem Bogen gestrichen werden können. Gute Idee eigentlich des Herrn Staufer, des Geigenbauers. Sechs Saiten, da lässt sich doch was zaubern. Und leichter zu spielen ist das auch. (Nicht umsonst hat der Kontrabass des klassischen Orchesters fünf Saiten). Die Arpeggione hat sich nicht durchgesetzt. Wohl aber die dafür geschriebene Sonate von Schubert. Tylman spielte die Cello-Fassung. Gott, was heißt spielte! Das war schon Zauberei, was er da (auswendig!! – extra für diesen Abend einstudiert) auf den Saiten zauberte – auf vier Saiten statt den sechs der Arpeggione. Heißt: Du kannst bei zwei Quinten Unterschied nicht einfach nur zwei Saiten höher spielen, sondern Du musst springen: wupp, zehn Töne freihändig in die Höhe. Und den Ton treffen. Hundertstel Millimeter genau, sonst hört jeder den Misston. Und Schubert hat keine Höhenangst: er führt die Linien hinauf bis die Finger fast im Kolophonium am Griffbrettgipfel kleben bleiben. Da waren selbst Cello-Kollege Thomas Bruder und GMD Frank Beermann, der einst Cello studiert hat, hin und weg. Eine grandiose Solo-Leistung von Jakub Tylman, der sich bei den anderen Programmteilen so dienend in die Gruppe einreihte. Nicht böse sein, die anderen, auch Daniel Heide nicht: Tylman mit seiner Arpeggione-Sonate war der Star des Abends.

Enthüllung 3: Schubert war kein armer, geiziger Kleingeist, wie er zu den Wiener-Schmäh-Grundlern gepasst hätte: seinem Vater etwa, oder seinen Lehrern. Er hatte ein großes Herz, trug mit Fassung, dass seine einzig Geliebte einen Bäcker heiratete, weil das doch die sicherere Partie war, aber auch, dass sein Bruder Ferdinand Musik des Bruders klaute und sie für seine ausgab (Messe in F) und auch noch das Klavier von dem begabteren Bruder abverlangte. Vom Bruder weiß heute niemand mehr was… Gute Auswahl der Texte aus der Schubert-Biografie von Peter Härtling. Da wurde ein scheinbar Kleiner nicht nur erwachsen, sondern ein Großer. Gut gelesen, Bilder schaffend von Hartwig Albiro, dem großen alten Mann und Ehrenmitglied der Chemnitzer Theater.

Enthüllung 4: Albiro las auch die „Forelle“, das Gedicht von Christian Friedrich Daniel Schubart: „In einem Bächlein helle, / da schoss in froher Eil’/ die launige Forelle/ vorüber wie ein Pfeil… Gute Einstimmung auf Schuberts Vertonung (als Lied und als Streichquintett). Aber die Gedanken so manches Zuhörers glitten ab. Ausgerechnet das Lied vom munteren Bächlein auf Schloss Augustusburg… Wo es zwar alles gab (weil Kurfürst August alles in sein Protz-Jagdschloss hineinpumpte), nur kein Wasser. Keinen Tropfen. Da halfen auch Pumpen nicht. Neun Jahre schließlich dauerte es (von 1568 – 1577), einen Brunnen in den Felsen zu schlagen. Erst mussten Bergleute ran, dann gefangene Wilderer. Viele verreckten grausam, ehe auf fast 131 Meter Tiefe Wasser gefunden wurde… Ausgerechnet hier die launige Forelle im munteren Bächlein…

Moment musical 3: Das Forellen-Quintett ist eines der bekanntesten Schubert-Werke. Zum Mitsummen für jeden. Aber in den Details so schlüpfrig wie die Forelle, die nicht gefangen werden will und sich zwischen den Fischerhänden durchschlängelt. Wahnwitzige Klavierpassagen (Daniel Heide), sprudelnd über hartem Cello-Bass-Gestein (Tylman und Holger Schultchen) kommen nur manchmal in leichterem Wasser zur Ruhe, wenn Geige (Heidrun Sandmann) und Bratsche (Ulla Walenta) mit einander „singen“ dürfen, ehe dann wieder Bratsche und Cello miteinander kämpfen und die Geige die Schaumkronen übers aufgewühlte Wasser wirft. Keine Programmmusik – noch nicht. Aber ein weiter musikalischer Schritt in die Zukunft, weg von der Klassik. Schubert, der erzählt, und immer nochmal erzählt, wie die muntere Forelle immer und immer weiterschwimmt, bis das Publikum gar nicht mehr weiß, wann jetzt wirklich Schluss ist und der Dieb die Forelle an der Angel hat – und niemand sich blamieren will mit zu frühem Beifall bei einem Pseudoschluss. Aber dann prasselt er, der Beifall: Viele Male müssen die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie raus und sich verbeugen, lachend, sie wissen, sie haben ihre Sache bestens gemacht…

Enthüllung 5: Und hinter ihnen schaut der Kurfürst herunter aufs klatschende Publikum – aus dem Altarbild von Lucas Cranach dem Jüngeren. Beifall für andere und dann noch für ein Wasserstück auf seiner Burg, das hätte ihm bestimmt nicht gefallen. Uns hat nicht gefallen, dass ausgerechnet zu diesem wunderbaren Konzert mit der Restaurierung des Bildes begonnen wurde – bisschen stillos von der Schlossverwaltung, auch wenn wenigstens dafür gesorgt wurde, dass die Verhüllung zusammengerollt wurde und durch das Stahlgerüst hindurch das wunderbare Cranach-Bild enthüllt wahrnehmbar war.

Wunderbar auch der Abend draußen: Blauer Himmel kündigte sich an, der Mond schaute dick auf die Schubert-Freunde, die sich auf den Heimweg machten. Heute Abend sehen wir sie wieder, im Opernhaus. Heute enthüllt Beermann mit der Robert-Schumann-Philharmonie die Geheimnisse der Sinfonien 3 und 4. Und macht die Hörer zu noch besseren Schubert-Kennern… „Sie werden am Ende alle Schubert-Experten sein“, hatte der GMD am ersten Abend versprochen. Das Schubert-Sommer-Märchen spinnt sich weiter. Und wir lassen uns gern einwickeln…