„Schmerzlos ohne jedes Wehe“

1. Die OB war da. Barbara Ludwig kam mit ihrer Dresdner Ex-OB-Kollegin Helma Orosz. In der Tiefgarage viele Kennzeichen aus dem Umland und dem Erzgebirge. Trotz Fußball volle Ränge. Generalintendant Christoph Dittrich, der die Damen begleitete, musste sich keine Sorgen machen. Operette funktioniert in Chemnitz wie damals in Karl-Marx-Stadt. 1978 war der „Graf“ zum letzten Mal an gleicher Stelle aufgeführt worden – heute vor 25 Jahren erhielt die Stadt ihren Namen zurück.

2. I-Punkt wäre ein Sieg von Kloppos Borussen gewesen – noch nie habe ich während einer Vorstellung und unmittelbar danach so viele Blicke auf’s Handy gesehen. Schade, man kann nicht alles haben. Der Stimmung, die von Bühne herunter und Graben herauf strömte, tat das keinen Abbruch.

3. Christof Cremer hatte aus einem Halbrund auf dem Rund der Drehbühne ein wandelbar festliches Bühnenbild geschaffen, das alles hergab, Halle des „Grand Hotel“ genauso wie den Salon der Sängerinnen-Diva. Auf Facebook hatte im Vorfeld jemand gefürchtet, es würde die Sänger „erschlagen“. Hat es nicht. Es ist großartig.

4. Operette braucht schöne Kostüme – dem Einfallsreichtum von Christof Cremer schienen keine Grenzen gesetzt. Lehár und seine Librettisten gaben auch Steilvorlagen: Fasching, großer Empfang, Russische Fürsten, vielfältiges „Personal“ zu Diensten der hohen Gesellschaft – bunt, zum Hingucken, nicht nur der Schneiderinnen Herzen schlugen höher.

5. Operette braucht auch Ballett. Sabrina Sadowska, am Vorabend noch mit „Camino real“ zugange, ließ als Choreografin ihre Truppe natürlich auch den großen Glanz auftanzen, noch schöner war aber der Federwisch- und Hotelboy-Kampf mit der Drehtür im „Grand Hotel“. Gut gemacht.

6. An der Seite der hauseigenen Solistinnen sangen männliche Gäste die Haupt-Partien: Michael Heim (Graf) und Maraike Schröter (Angèle Didier) harmonierten stimmlich miteinander, ob (noch) getrennt („Sie geht links, er geht rechts, Mann und Frau, jeder möcht’s, ideal ist solche Ehe, schmerzlos ohne jedes Wehe!“) oder happyendlich vereint. Das Buffo-Paar (Christian Baumgärtel und Franziska Krötenheerdt) hat’s in der Operette immer leichter. Die beiden dürfen mehr schauspielern, kecker sein, ehe sie sich kriegen. Haben die beiden quietschlebendig mit tollen Stimmen auf die Bühne gebracht. – Eine Freude zum Zuschauen und Zuhören: Matthias Winter (Fürst Basil Basilowitsch). Komödiant durch und durch mit prächtiger Stimme. Und bei ihm verstand man auch noch jedes Wort. Wie auch bei Sylvia Schramm-Heilfort mit ihrer wunderbaren Typzeichnung der Wodkagräfin Stasa Kokozow.

7. Wirklich schade, dass Simon Zimmermann nach dieser Spielzeit Chemnitz verlässt. Er hat aus dem Chor eine stimmliche Einheit geschweißt, die nicht nur bei großer Oper hält, sondern auch in der Operette (und dort nicht nur in den Effekt-Finali) Bestwirkung erzielt. Dass es am Anfang mit dem Orchester ein paar Wackler im Zusammenklang gab – das gab sich schnell mit steigender Betriebstemperatur.

8. Herrscher über die Töne einmal mehr der unermüdliche Felix Bender. Immer lächelnd, immer präsent, den kleinsten Piccolo-Einsatz und den einsamen Schlag der großen Trommel anschnippend. Schwung, wo er gebraucht wird mit großer Geste fordernd, Pinanississimo verlangen, tief in den Knien, fast hinter dem Pult verschwindend. Dem Chor jede Silbe vor“betend“, den Protagonisten helfend, den höchsten Ton ohne Müh und Not zu erreichen – besonders herzlicher Beifall für ihn und die Robert-Schumann-Philharmonie.

9. Das ist in anderen Häusern (gerade auch großen in der Nähe) durchaus nicht selbstverständlich, dass die Musiker mit der leichten Muse genauso ernsthaft und akribisch umgehen wie bei der großen Oper. Die Robert-Schumann-Philharmonie schrubbt eine Operette nicht halt mal so runter. Vier wunderbare, astreine Hörner, die Harfe, Klarinetten- und Geigensolo – Lehárs Musik hat herrliche Klänge, wenn man sie schaffen will. Sie wollten. Danke.

10. Regisseur Ulrich Proschka wollte gar nicht erst irgendwelche affektierten Zeitbezüge konstruieren. Er gab Lehár, was Lehárs ist, und stellte die Sänger so, dass sie sich auch zum Publikum hin ohne Verrenkungen optimal stimmlich verkaufen konnten.

Fast drei Stunden leichte, nostalgische Operetten-Muse „schmerzlos ohne jedes Wehe“ – so viel Zeit muss mal sein in jeder Spielzeit. „Der Graf von Luxemburg“ war diesmal die letzte Premiere im Opernhaus. Nächste Spielzeit lässt er wieder die Champagner-Gläser klingeln. Und nimmt den Kampf um die Zuschauer auf gegen die (fast stets ausverkauften) Musical-Nachkommen. Keine Bange. In Chemnitz funktioniert Operette. Und in der Tiefgarage werden wieder viele Autos stehen von Rochlitz bis nach Annaberg.