Sängerwettstreit: Gewonnen hat Chemnitz

17 Jahre ist es her, da wurden die Chemnitzer (!) mit einer früheren Heinicke-Inszenierung nach Venedig eingeladen, den Tannhäuser zu geben, nach Venedig, wo Wagner 1883 starb. Und wo man den „Deutschen” und seine Musik zu schätzen weiß. Und fachkundig ist. Vor 102 Jahren bereits wurde der „Tannhäuser” in Chemnitz gespielt und gesungen. Tannhäuser und Chemnitz – das ist eine ganz besondere Liaison.

Neben mir: zwei Männer aus Bayreuth. Tannhäuser-Fans. Extra durch das Sch…wetter hergefahren. Und später zurück. (Macht zusammen einen strammen 8-Stunden-Tag). „In Chemnitz kann ich Wagner erleben”, sagte der Ältere. „Ich will nicht Müll auf der Bühne wie auf dem grünen Hügel”. Eine Gruppe extravaganter Engländer nippt in der zweiten Pause einen Rosé-Sekt vom Foyer-Stand des Schlosses Wackerbarth: Sie prosten darauf, dass es sich gelohnt habe, nach Chemnitz zu reisen.

Viele L-Kennzeichen in der Tiefgarage, die, 20 Minuten vor Beginn rammelvoll, die, die zu späten kommen, mit Parkplatzsuche und einem Abendkleid-Marsch durch den Regen bestraft. Einige DD. Reichlich MEK, V. Auch einige Z, die mit „ihrer” Aufführung vergleichen. „Man merkt eben doch den Unterschied…”

Unter den Zuhörern/-schauern die beiden Intendanten, der „Noch” Bernhard Helmich, der „Schon” Christoph Dittrich. Beiden sieht man die Freude über den Erfolg an. Niemand da vom Gesellschafter des Theaters, der Stadt. Die OB-Kandidaten auch nicht. Verständlich. Ja? Nicht? Wahlkampf geht vor.

Bernhard Helmich, Frank Beermann und Michael Heinicke hatten die Wagner-Tage ins Programm gezaubert, „ein Traum für uns alle”, schrieb Carla Neppl, die Dramaturgin einmal dazu. Unmittelbar nach dem 200. Geburtstag von Richard Wagner, überall sonst Wagner-Pause, alle sind müde vom Festtag-Feiern, der Ring in Halle und Leipzig verlangt nicht noch einen in Chemnitz (wo eh der erste sächsische „Ring” nach der Wende aufgeführt wurde, nicht bei Sempers oder von den in den Graben gezwungenen Gewandhäuslern). Dreimal Wagner (Tannhäuser, Parsifal, Tristan) und einmal Wagners Intimfeind Meyerbeer mit Vasco de Gama lockten die Gäste an. Alles (fast) ausverkauft.

Die Theaterleute haben geschuftet ohne Ende. Eine Wiederaufnahme: alles doppelt so schwierig wie ein Neuanfang oder eine Repertoire-Vorstellung. Kulissen, Klamotten, Bewegungen – alles noch halb da, physikalisch und in den Köpfen, aber nicht mehr so rischdsch. Hut ab. Vor allem auch den Mannen aus der Technik.

Das Orchester, eben zurückgekehrt von der nerven- und kräfteraubenden Werbetour für Chemnitz duch Spanien hat für die vier Tage Millionen Noten einzustudieren. Aber sie sind voll da, die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie. Es zupft und ruppelt ein bisschen am Anfang im Zusammenspiel, aber schnell sind die Pizzicati auf dem Schlag, und der Einsatz vom Holz stottert nicht mehr. Frank Beermann holt noch mehr Dynamik aus dem Blech und hat Zeit für ein anerkennendes Lächeln. Panta rhei, alles läuft. Die Philharmonie war noch besser als in der ersten Runde 2009/2010. Überhaupt: Die Musiker geben alles, scheint es. Schmeißen sich rein. Sie kämpfen um Ruhm und Status eines der besten deutschen Orchester. Wie die Fußballkollegen aus Dortmund und München (obwohl deren Kassen vollsind). Das Champions-League-Finale haben sie natürlich gesehen und verinnerlicht. Eine Parsifal-Probe wurde nach vorn gezogen dafür…

Chor und Extra-Chor bekamen Sonderapplaus vom Publikum. „Landgraf Hermann, heil!” – jeder kennt’s, jeder hat’s im Ohr. Perfekt, wie die gut choreographierten Chorszenen der Musik keinen Abbruch taten. Ganz im Gegenteil. Zweimal mit zwei Fingern auf die Augen gedeutet, und Beermann hatte die Sänger da, wo er wollte. Glanzpunkte der (Minne-)Sänger-Oper.

Astrid Weber, die Venus mit dem Schlitz im weißen, langen Kleid und einer nackten Schulter, die Elisabeth mit züchtig schlitzlosem weißem, langen Kleid und beide Schultern bedeckt, spielte die reine Verführung, die verzweifelte Keuschheit und die todgeweihte Herzzerissene der mittelalterlichen Macho-Ritter-Welt mit ungeheurer Intensität und Variabilität. Und sie sang, wie wir’s erwartet haben – präsent vom ersten bis zum letzten Ton, über das volle Tutti-Orchester und die Chöre hinweg und pianoweinend. Gut, dass wir sie in Chemnitz oft erleben dürfen.

Die Minnesänger strengten sich an wie bei einem richtigen „Sängerkrieg”. Matthias Winter als Biterolf großartig. Edward Randall als Walther von der Vogelweide (seine Rolle hatte 1915 schon der große Richard Tauber auf der Chemnitz Bühne unter den strengen Augen und Ohren seines Intendantenvaters gesungen) – klasse. Riemer, Gäbler – alle gut. Räsänen, der Landgraf, ein Muster an Beherrschtheit und Kraft in Stimme und Spiel. Verwunderte Blicke über die Stimmqualität des Hirtenjungen. Nur bei den Nicht-Chemnitzern. Die Chemnitzer kennen „ihre” Jana Büchner…

Und die Protagonisten des Wettstreits um die Sänger-Krone und Elisabethens Herz? Eindeutiger Punktsieger Heiko Trinsinger als Wolfram von Eschenbach. Geschmeidig in Höhen und Tiefen – und beim fast italienischen Belcanto. Angestachelt vom Kontrahenten ging Jon Ketilsson, der Heinrich Tannhäuser, bis an die Grenzen seiner Stimmbänder. Diese verfluchten Tannhäuser-Höhen, kein Ausruhen in Tenor-Normal-Höhenlage, allen Paroli bieten müssen, der Geliebten, dem Wettbewerber, den gräflichen und Pilger-Chören – für jeden Sänger ein Ritt auf der Rasierklinge. Im 2. Akt nahm er sich deutlich zurück, im dritten war er wieder ganz da. Aber als er sich beifallumtost an die Brust klopfte, das spürte jeder im Publikum, dass er sich freute, dass es geschafft war. Trotzdem: Punktsieger an diesem Abend: Heiko Trinsinger.

Aber der eigentliche Sieger stand eh schon lange fest: Chemnitz hat wieder einmal bewiesen, wie wichtig und bedeutend es für die und in der deutsche(n) Opernlandschaft ist. Bei Wagner. Aber nicht nur bei dem Jubiläumsgiganten. Auch bei Meyerbeer, dem (Wagner schnaubte vor Wut) zu Lebzeiten Erfolgreicheren. Wir werden es heute Abend (hoffentlich, nein sicher) erleben.