Das war‘s: das Aus für den KPMG-Quatsch!

Ben Van Cauwenbergh, Chef des Aalto-Ballett-Theaters Essen (von ihm stammen Konzeption, Choreografie und Regie des Abends) hat mitgekriegt, worum es in Chemnitz geht. Und der Belgier weiß auch, wie man mit Emotionen spielt – Freddie Mercury, dem Frontmann von Queen, nicht unähnlich. „We are the champions”, seinen Welt-Hit, singt Freddie am Schluss – hineingeschnitten in das Video werden in Chemnitz Bilder aus den Proben im Ballettsaal. Und live unter dem Video tanzt die Compagnie zusammen mit den Elèven der Opernballettschule in unschuldigem Weiß (auch Christiane Devos, zuständig für die Kostüme, versteht was von Symbolen) ihren Triumph aus: Ja, sie sind die Champions. Nicht die Erbsenverzähler der KPMG aus Leipzig.

Und das wird auch morgen so sein. Und übermorgen. Die nächsten vier Abende sind schon (fast) ausverkauft. Alle 20 Aufführungen bis zum Ende der Saison werden ausverkauft sein. Da muss man nicht Wahrsager sein. Mehr als 700 begeisterte Zuschauer jedes Mal im Publikum – macht bei 20 Aufführungen schon 14.000 Menschen, die wie eine „Eins” hinter ihrem Ballett stehen. 14.000! Und die meisten davon Wähler, auch bei der OB-Wahl. (Kann ja sein, dass die Kandidaten auch noch in eine Vorstellung kommen, wenn sie die Premiere schon versäumt haben…)

Stolze Väter auf dem Weg zur Premierenfeier: „Meine Tochter war dabei. Und sogar bei der Premiere!”. 20 Vorstellungen in kurzen Abständen – das schaffen Kinder nicht. Da muss es Wechsel geben, andere Besetzungen. Geprobt haben sie wie die Verrückten. Am Ende, während der Ferien (!) jeden Tag. Theater nur was für Etablierte? Nur was für Geldsäcke? So wie die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie in die Schulen gehen, so wie das Schauspiel die Schultheaterwochen – deutschlandweit einmalig – auf die Bühne stellt, so zeigen die Ballettprofis, wie Kinder Kultur lernen können. Ballett ist Kultur. Die Kinder auf der Bühne und im Parkett haben ihre helle Freude. Kann jemand so verrückt sein, das abschaffen zu wollen?

Bernhard Helmich, ab Montag „nur” noch für die künstlerische Seite der Produktionen zuständig, ist glücklich. Er weiß, dass er zum Spielzeitende noch einmal einen finanziellen Kracher ins Haus geholt hat. Einen warmen Geldregen. Aber nicht nur das. Die Produktion ist auch künstlerisch erste Sahne. Um nicht zu sagen A-Klasse. Champions (-League), hätte Freddie Mercury gesagt, hätte er das noch erleben dürfen.

Die Schlange vor dem Getränke-Tresen in der Pause war außergewöhnlich lang. In Chemnitz immer Zeichen dafür, dass viele da waren, die nicht so oft da sind und nicht wissen, dass man für die Pause die Getränke vorbestellen kann. Genau so soll es sein: Das Ballett lockt Leute ins Theater, Junge, Alte, Arme, Reiche, Geheimratseckler und Handschwieler, die miteinander etwas erleben und Miteinander erleben. Wer schafft das sonst noch (außer dem CFC?)

„Mein Wunsch ist, mehrere Generationen mit der ‚Tanzhommage an Queen’ im Theater zu unterhalten und ihnen allen Spaß zu machen”, sagt Ben Van Cauwenbergh. Das ist ihm gelungen. Ohne Abstriche.

Der Abend hat Spaß gemacht. Allen. So oft werden Queen und Freddie Mercury nur an den astronomischen Verkaufszahlen ihrer Hits gemessen. Und an dem Lungenentzündungsende des AIDS-kranken Freddie Mercury. Wie viel Spaß die Musiker am Leben hatten, wie sehr sie den Staubsaugeralltag auf die Schippe nahmen, wie sehr sie das Sein suchten, das Liebe fordert, von wem auch immer für wen auch immer, schwul oder nicht – wie habe ich bei Radio Ga Ga daran gedacht, dass Freddy Mercury facebook & Co. nicht mehr erlebt hat, das heutige „Hintergrundrauschen” – das war wunderbar auf die Bühne gebracht. Hammermäßig, würde das heute heißen.

Dmitrij Simkin ist für Bühne und Videoprojektionen verantwortlich. Wurscht, ob er das auch schon für Wiesbaden (2004) und Aalto, Essen (ab 2009) gemacht hat – er hat die Chemnitzer Bühne genutzt at its best. Ob in der Staubsofaszene, dem Itzibitzi-Bikini-Shot, dem Flashlight oder dem Abtauchen im Untergrund, oder dem – was für ein Bild – Sterbeverschwinden im vertikal versenkten Leichentuch – das war einfach großartig.

Aber – Queen hin oder her, jede Nummer zum Mitsingen (der Großteil des Premierenpublikums ist alt genug, die 40 Jahre Queen zu kennen und sich an die ersten Liebe[leie]n zu erinnern) , viele zum Mitklatschen (eifrig befolgt) – die Compagnie war der Superstar. Alle. Jeder einzelne. Jede einzelne. Jedes Kind, Junge oder Mädchen. Niemand sei hervorgehoben. Queen auf Spitze. Rock ‘n Roll wie auf der Party, Trauer wie bei der Pietà von Michelangelo, Spaß im Baby Doll wie Freddie im Original – ob Interpretation eines Videos (immerhin war Queen in der Steinzeit Erfinder von etwas, was heute YouTube heißt) oder körperliches Austanzen von Inhalten, Texten (gute Idee, Christiane Schiemann, die Texte auf Deutsch nicht nur zu übersetzen, sondern auch ins Programmheft zu drucken!) – cool!

Am Schluss stand das halbe Publikum. Klatschte sich mit den seriösen Sitzenbleibern die Finger heiß. „Das will ich unbedingt nochmal sehen”, vor mir, neben mir, hinter mir. Und niemand dachte an die KPMG. Niemand daran, dass sie empfohlen hat, das Ballett zu erden.

Was für eine KPMG-Dummheit. Chemnitz liebt seine Compagnie. Das war kein Tanz auf dem Vulkan. Das war Emotion pur. Am Schluss lag Freddie da, gulliver-mäßig, riesig, top. Er wird nie vergessen. Er ist eben groß. Das Chemnitzer Ballett auch.

Groß: Freddie M. Und das Chemnitzer Ballett

Die nächsten Vorstellungen hier.