Philharmonie: International wieder Punkte für Chemnitz gesammelt

Der Ruf des Chemnitzer Stadtorchesters (das später in Robert-Schumann-Philharmonie umbenannt wurde) war schon immer gewaltig. Auch zu den Zeiten des jungen Richard Strauss. Der hatte zu der Zeit, als er sich an die sinfonische Dichtung „Tod und Verklärung“ machte (1888) einen kompetenten, väterlichen Mentor. Der Mann kannte Liszt gut, seine Mutter hatte Wagner gefördert, er selbst eine Wagner-Nichte geheiratet, er komponierte, auch Opern. Richard Strauss – gerade fertig mit „Tod und Verklärung“  (1890) – hat eine davon im selben Jahr selbst uraufgeführt: „Wem die Krone?“, hieß das Ding.

Ist vergessen. Zu Recht wahrscheinlich. Nicht vergessen sind einige Verse, obzwar im Stil eines „Muuu-/sikmachers und Poet dazu“ geschustert – etwa so: „In der ärmlich kleinen Kammer, /Matt vom Lichtstumpf nur erhellt, /Liegt der Kranke auf dem Lager. –/Eben hat er mit dem Tod/Wild verzweifelnd noch gerungen./Nun sank er erschöpft in Schlaf,…“. Mit diesen Zeilen unter der Überschrift: „Tod und Verklärung“ fängt die Partitur einer der wichtigsten sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss an. Er hatte das Gedicht persönlich der Partitur vorangestellt. Der „Dichter“ heißt Alexander Ritter.

Dieser Alexander Ritter war auch Dirigent und Komponist. Er wollte unbedingt nach Chemnitz, weil das Stadtorchester deutschlandweit einen guten Ruf hatte. 1870 bewarb er sich zum ersten Mal. Unter einer ganzen Latte von Bewerbungen wurde er letztendlich zweiter hinter Karl Müller-Berghaus. Doch 1873 schaffte er es. Ritter wurde Stadtmusikdirektor von Chemnitz, von den Musikern einstimmig gewählt. Super-Eröffnungskonzert mit Mozart, Beethoven, Mendelssohn und eigenen Kompositionen. Doch dann gab’s Krach. Nach sechs Wochen war Sense. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall hat er Strauss von Chemnitz und seinem Orchester erzählt, das Strauss natürlich kannte, wie jeder große Musiker der Zeit. Von Sarasate bis Schönberg. Alle waren sie hier…

Strauss war später öfter selbst in Chemnitz. 1925 etwa, längst überall anerkannt,  hat er seinen „Rosenkavalier“ in Chemnitz selbst dirigiert. Und nun, gestern, also sein Jugendwerk „Tod und Verklärung“ in der Stadthalle. Am Pult nicht Strauss oder Ritter, sondern Frank Beermann. Er hat’s ganz anders gemacht als etwa Karajan, dessen Aufnahme mit den Berlinern immer wieder herangezogen wird. Karajan hat Karajan gespielt, Beermann spielte Strauss. Karajan ließ keinen Effekt aus, ließ die Hörner hörnern und die Posaunen posaunen und die Harfen harfenen, was das Zeug hält, dass es/er nur so glänzte. Was bin ich für ein toller Hecht… Beermann spürte leise und sensibel allen Tricks nach, die der junge Strauss hier ausprobierte. Da war jede Synkope der Herzrhythmusstörung des Sterbenden zu hören, die Verklärung schlug den Todgeweihten (und das Publikum) nicht schon beim ersten Auftauchen des Motivs tot, die ersten Geigen schwelgten nach dem Aufstieg in höchste Höhen nicht in schwülstigem Vibrato, sondern ließen in der dünn gewordenen Luft den Sterbenden noch ruhig atmen. Und dann dieser so natürlich daherkommende Schluss, nicht ein im Super-fünf p-Pianissimo ins Nichts Dahindämmern, sondern de

Aus dem Gästebuch der Robert-Schumann-Philharmonie: Richard Strauss (1916)

r matte verklärende Goldschimmer durch die paradiesische C-dur-Sehnsuchts-Pforte gegenüber dem düsteren c-moll des Wälzens auf dem Sterbebett zu Beginn…

Super-Leistung auch der Solisten und der herausragenden Stimmgruppen, denen Beermann – jetzt mit großer Geste – Sonderbeifall zollen ließ. Strauss hätte seine Freude daran gehabt. Da sind wir uns sicher. Und vielleicht hätte er wieder ins Gästebuch des Orchesters geschrieben, was er schon 1916 dort vermerkt hat: „Die vorzügliche städtische Kapelle zu Chemnitz hat mir heute durch die ausgezeichnete Wiedergabe … eine große Freude bereitet. Ich danke ihr aufs wärmste für die Hingabe an das Werk und die Erfüllung meiner Intention“. Damals war „Salome“ gemeint. Die Kapelle, die nun Robert-Schumann-Philharmonie heißt, ist heute mindestens so gut, wahrscheinlich besser. Das hat sie mit „Tod und Verklärung“ wieder gezeigt.

Und das weiß man auch in der internationalen Musikszene. Nicht umsonst wurde Chemnitz die Ehre erwiesen, zusammen mit der Tonhalle Düsseldorf und dem Rotterdams Philharmonisch Orkest Hugo Wolfs  Orchesterlieder nach Texten von Mörike (und je einem von Paul Heyse und Emmanuel von Geibel) zusammen mit dem Film „Irrsal – Triptychon einer verbotenen Liebe“ aus der Taufe zu heben.

„Haben Sie das verstanden?“, fragte eine Besucherin – obwohl beeindruckt – am Ende beim Rausgehen. (Sie ist geblieben wie die meisten. Ein paar wenige sind raus…) Ob’s hier um Verstehen geht? Muss ich wissen, dass Mörike und Wolf, der eine Pfarrer, der andere Syphilitiker, sich nach Liebe sehnten, aber mit Frauen nicht klar kamen? Muss ich verstehen, warum Clara Pons (die Regisseurin war hier in Chemnitz) und Bariton und Hauptdarsteller Dietrich Henschel die Herzzerrissenheit zwischen zwei Lieben (hier: Himmels-Gott und Menschen-Weib) in einem Priester kämpfen ließen, obwohl in den Gedichten von einem Priester nicht ein Mal die Rede ist? Muss ich verstehen, warum der Priester katholisch ist (Mörike war protestantischer Geistlicher, hätte durchaus auch die Menschenfrau lieben können…)? Muss ich verstehen, dass für Mörike“ Irrsal“ noch „tohu“ bedeutet wie in „Tohuwabohu“, was aus der Schöpfungsgeschichte stammt (die Erde war „wüst und leer“ – hebräisch: „tohu wa bohu“), also Chaos?

Wahrscheinlich halten wir’s besser mit Faust: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen“. Ich will gar nicht verstehen, warum Mörike-Gedichte illustriert werden müssen (optisch… – auch Musik illustriert, und nicht nur – auch hier – in Leitmotiven), ich will nicht verstehen, warum ein Pfarrer die Kniebeuge mit links macht (vor Gott mit rechts, vor dem Adel mit links…) und die Kommunion, die Hostie, noch auf die Zunge gelegt wird, ich will nicht verstehen, warum Dietrich Henschel bei einzelnen Liedern steht, bei anderen aufrecht sitzt, sich schließlich auf dem Stuhl krümmt…

Der dreigeteilte Film, die sonderbar halbdunkle Atmosphäre im Saal, ein auf der Leinwand stummer und vor dem Orchester singend gleichermaßen beeindruckend Leidender Dietrich Henschel, eine Musik, die einfach da war wie das Film-Blätterrauschen aus den Lautsprechern, Töne, Akkorde, Rhythmen, Streichquartett, Tutti, die vergessen ließen, dass sich  da plötzlich zweimal Strawinsky in die Orchestrierung des Komponisten mischte – warum erjagen?

Hört man, wenn Beifall nicht nur dankt, sondern von Herzen kommt für eine wunderbare Erfahrung? Am Donnerstag dachte ich, ja. Der (lang anhaltende) Beifall kam von Herzen. 

 

Das schrieb die Freie Presse über die Mittwoch-Aufführung

Weitere Infos zum Film „IRRSAL – Triptychon einer verbotenen Liebe“