Orff-Oper: Ein Mondsspektakel

Orffs Oper „Der Mond“ wird oft zusammen mit seiner anderen Oper „Die Kluge“ aufgeführt. Die Chemnitzer Theatermacher haben sich das geschenkt und damit dem Publikum einen Riesen-Gefallen getan. Zwei Opern an einem Abend, das ist nicht so richtig familientauglich. Nicht nur wegen der verschiedenen Stoffe. Teuer ist es, und hie wie dort müssen Abstriche gemacht werden. Dagegen in Chemnitz: Volle Konzentration auf den „Mond“, eine Stunde zwanzig, ein richtiges Spektakel, Farbenräusche, der Griff hinein ins volle Fantasieleben – so gefällt es Groß und Klein. Zu Recht Beifall von beiden.

Und so tapst denn auch Obelix durch die wiedererweckte aufrührerische Unterwelt. Petrus, der Römer, der hier eher ein germanischer Blitzgott ist, muss sich Sorgen machen, ob der Aufruhr da unten nicht die Ruhe da oben störe, und (unter)irdische Missklänge die Engelharmonie mit Krachfetzbumtönen unterminierten. Und an allem ist der Mond schuld. So hängt Petrus den gelbfahlrunden Unruhestifter am Himmel auf. Und es ist Ordnung auf der Welt – oben und unten und ganz drunten, wo sich auch Obelix wieder in den friedlichen Schlafwams kuschelt (hellblau, wie es sich für die Männer ziemt…). Friede, Freude, Eierkuchen – „der Mond ist aufgegangen…“

Kluge Regie-Idee (Regie: Holger Potocki), die einfache Weise von Johann Abraham Peter Schulz (hat übrigens auch „Ihr Kinderlein kommet“ komponiert) zu dem Matthias Claudius-Text quasi als Vorspiel aus dem Off singen zu lassen, unbegleitet, schlicht. Heißt: Noch ist alles okay im Welttheater. Dann erst legt die Orffsche Klangmaschinerie los, schafft die dramaturgisch notwendige Unordnung. Trotz des eindrucksvollen Schlussbildes: nach dem Orff-Bombasmus am Schluss nochmal die einfache Weise von Claudius/Schulz zum Zeichen, dass alles wieder in Ordnung ist, hätte mir gefallen…

Orff kann auch die leisen Töne. Aber selbst an seinem berühmtesten Werk, den „Carmina burana“,  liebt das Publikum die lauten wie den Eingangschor „O fortuna“, der es sogar in die Fernsehwerbung geschafft hat.  Die leisen Teile sind (fast) nicht bekannt. Auch im „Mond“ sind die eindrucksvollsten Stellen die, wo es richtig fetzt. Mit Rührtrommel und Röhrenglocken, mit Triangel und Tamtam, mit Cymbel und Zither. Fünf Schlagzeuger fordert der Komponist, die mit noch viel mehr „Instrumenten“ Wind machen und es donnern und blitzen lassen.

Orff zitiert, schmunzelnd Chaos malend, „Rheingold“ und Burschenlieder, Bach und Volkslieder. Da passt es, wenn es auch auf der Bühne drunter und drüber geht. In vielerlei (Un-)Gestalten ist in der Chemnitzer Aufführung dafür maßgeblich der Chor (samt Kinderchor) zuständig. Für fast jeden Auftritt andere Klamotten, Bühne füllend, oben und unten (Bühne: Jens Büttner), ständig in Bewegung – und trotzdem haargenau in Einsatz und Diktion. Sonderlob durch das Publikum.  Es zahlt sich aus, dass Chorchef Simon Zimmermann hier auch als assistierender Kapellmeister agiert und jede Note der Oper kennt, nicht nur die Chorstellen.

Chef am Pult ist Arnaud Arbet, der neue 2. Kapellmeister der Robert-Schumann-Philharmonie. Er beherrschte das Orffsche Orchesterchaos souverän. Und spannungsvoll. Zu keinem Moment hatte man den Eindrick, dass etwa die Streicher bei den langweiligen, ewigen Rhythmus-Begleitungen zu Gefiepse oder Getriller von Blech und Holz an Präzision verlören, dass die Schlagzeuger nicht ihren Spaß, und die Bläser im richtigen Moment nicht die passgenauen Einwurf-Puste hätten.

Mit den Solisten geht Orff nicht gerade pfleglich um. Der Vater (André Riemer) muss sich in den höchsten Tönen quälen, und Petrus (Kouta Räsänen) ganz tief in den Stimmenkeller steigen. Hut ab, wie die beiden das gemacht haben. Die vier Burschen (in welcher Verkleidung auch immer, etwas makaber als sargerstandene, mit Leichenhemd und Leichenkissen ausstaffierte Komödianten) sorgten für die  munteren Quartette, mit den Orff große Oper simuliert (Kindschuh, Winter, Randall, Mäthger), alle vier stimmlich und spielwitzig gut drauf. Super-Typen der Bauer (Martin Gäbler), der Wirt mit seinen einnehmenden Pfoten (Frank Höhnerbach, wieder mal auf der von ihm geliebten Opernbühne) und der Schultheiß (Roland Glass). Gerlinde Tschersich spielte nicht nur die Traum-Mutter, sondern führte auch die Figur des Vaters (schöner Einfall). Und das Kind? Keine Frage, Jonathan Kindschuh hat schon vor dem letzten Satz „Ah, da hängt ja der Mond“ die Herzen des Publikums erobert.

Viel Beifall für eine bunte Theaterwelt, das „kleine Welttheater“ (Orff). Die Chemnitzer haben daraus in einem kunterbunten Ensemble-Event eine richtig schöne Famlienoper gemacht. Fröhliche Gesichter beim Rausgehen. Draußen war der (Halb-)Mond über einem warmen Pfingstsamstagabend aufgegangen. Er hing am richtigen Platz. Alles war in Ordnung.

Die nächsten Aufführungen: heute, Montag, 15 Uhr (beeilen, reicht noch!), 11., 14., 15. Juni
Theaterankündigung zum Stück