Nazideppen

Darf man denn das? Die todernste Geschichte um den Widerstand einer fiktiven Posener Schauspieltruppe gegen den Nazi-Einmarsch in Polen in eine Komödie zum Todlachen umswitchen? Schon Lubitsch kriegte für seinen Film zunächst Prügel. Ganz im Gegensatz übrigens zu Charly Chaplin, dem man seine Hitler-Satire „Der große Diktator“ sofort abnahm. Sie war zwei Jahre vor Lubitsch, unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen, entstanden.

Ja, natürlich darf man lachen, auch über Böses. Auslachen ist auch Lachen. Sonst gäb’s keine Satire. Und wenn’s Erdogan tausendmal nicht gefällt und Böhmermann sich in den Bildern vergreift. Und auch über Petry und die Gefolgschaft ihre dummen braunen Schafherden müsste man eigentlich lachen, wenn das Lachen nicht im Hals stecken bliebe, weil zumindest die Älteren wissen, wie millionenmörderisch Dummheit werden kann.

Um all das kümmerte sich Hofmann wenig. Er habe eine „politisch akzentuierte Version“ geschrieben und ihr den Titel aus der polnischen Nationalhymne gegeben, um „dem polnischen Widerstand gegen die Nazis seine Reverenz zu erweisen – im sechzigsten Jahr nach dem deutschen Überfall auf Polen“, versichert er, als ihm die Rechte für den Stoff kurzerhand entzogen worden waren. Lubitschs dollaräugige Hollywood-Erben hatten lieber eine Boulevard-Komödie haben wollen. Die schrieb auch einer. Titel wieder „To be or not to be“. Blah. Not. Flop. Seit 2011 darf Hofmann wieder gespielt werden.

Das Schauspiel Chemnitz griff jetzt zu. Und verschaffte dem Chemnitzer Premierenpublikum am Samstagabend einen Abend mit Tränen in den Augen (vor Lachen) und fröhlichem Lächeln bei der Heimfahrt. Herbert Olschok hat das fertiggekriegt. Sein „The King’s Speech“ ist uns noch in guter Erinnerung – und wir erinnern uns auch an seine Zeit als Chemnitzer Schauspieldirektor (dass sie nicht nachdenken müssen und (wie wir in der Pause) doch danebenliegen – Junge, wie die Zeit vergeht: war er von 1994 – 2000!).

Olschok schuf – ein, zwei Längen noch raus – eine nahezu perfekte Komödie. Natürlich knallen da die Türen, natürlich rennen running Gags um die Wette („Heil’tler“… bis zu dem unnachahmlichen Hitlerschen „Ich heil mich selbst“ am Schluss), natürlich ist die Pistole im richtigen Moment nur mit Schreckschuss-Patronen und im falschen (oder umgekehrt) mit richtigen Patronen geladen – und Murphys Gesetz („Anything that can go wrong will go wrong“) feiert genauso fröhliche Urständ‘ wie das schon seit Horaz geläufige „Dummheit siegt“ (oder auch nicht).

Aber Olschok nimmt auch seine eigene Branche auf die Hörner: So selbstbespiegelnd doof kann ein eingebildeter Hamlet eigentlich gar nicht sein. Und doch: Wenn wir hören „Sein oder nicht. Sein ist die Frage…“, dann kommt uns auch in den Sinn, wie in der DDR zwischen den Zeilen gehört wurde. Und wie aus für die Zensur unbedenklichen „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ (Schiller, Don Carlos I,10) auf der Bühne „Sire, geben Sie Gedanken. – Freiheit!“ wurde, wie Hartwig Albiro gern erzählt. Und wenn auch die Posener Schauspieler auf der Komödiantenbühne zu eher hingezogenen, widerwilligen Widerstandskämpfern werden, kommt uns in den Sinn, dass an einem 7. Oktober in Karl-Marx-Stadt von derselben Bühne aus eine Lunte gezündet wurde, die die SED-Oberen nicht mehr austreten konnten.

Ob Theater die Welt verändern kann? Könnte auch ein Thema dieser Komödie sein. Aber das will Olschok nicht. Ihm reicht’s, wenn die Schauspieler die Nazi-Dummköpfe vera….en und die Leute unten im Saal ihren Spaß daran haben. Und den haben sie. Ohne Ende. Jede Minute.

Olschok, der nicht nur Schauspieler präzise zu führen weiß, kann wuchern. Er hat ein höchst verlässliches Team um sich. Alexander Martynow hat eine Bühne auf die Drehbühne gebaut, die multifunktionaler und passender kaum sein kann. Da sind nicht nur Kulissen. Die Bühne spielt mit. Wenn die Darsteller mit einem Bein auf der drehenden Bühne stehen, mit dem anderen auf vorgeblich festem Grund, dann reißt sie der Strudel der Geschehnisse zwischen shakespearescher Bühnenfiktion und Widerstands-Realität in einen kaum beherrschbaren Spagat. Und wenn die Bilder im richtigen Moment von der Wand knallen, der – Jeanne d’Arc dreht sich im Grab rum – „Bannerträger“ Adolf Hitler als weißer Ritter St. Georg von Hubert Lanzinger (Original etwa 1933) oder der „Heil’tler“ verehrte Lieblingsschäferhund des Führers, dann sind das die nötigen Paukenschläge in der Bühnensinfoniegroteske.

Wer auch immer die Musik rausgesucht hat, verdient eigenes Lob. Wagners Walkürenritt, mal echt, mal verhammondorgelnd – s’ist Krieg, Kanonen kosten Geld, die Les Préludes-Fanfare von Schwiegervater Franz Liszt – nicht ganz zeitgerecht, diente als Erkennungsmelodie für Wehrmachtsmeldungen erst ab dem Russlandfeldzug, Händels Feuerwerksmusik – das hamlet‘sche königlich dänische shakespeareenglische Leitmotiv, der zitternde 3. Mann – die Hymne aller Gestapos, Stasis und KGBs der Erde, oder Zarah Leander – des Gröfaz liebste schwedarische Filmschauspielerin und Sängerin – jede Note passte besser als die Faust auf’s Auge. Und Joachim Herzog hatte einen genauen Plan, welche Kostüme genau zur Atmosphäre jetzt und, wuschdiwupp umgezogen, zur nächsten gehörten…

Vor allem aber konnte sich Olschok auf wunderbare Schauspieler verlassen. Er verlangte viel von ihnen – sie durften komödiantisch die Sau rauslassen, herrlich etwa Martin Valdeig als stets „Heil’tler“ brüllender, Tür aufreißend und zuschlagender Adjutant Schulz, der immer die A…-Karte zieht und tränenden Auges sich abkehrt von der vorgeblichen Macht. Ein Haken unter dieses Kreuz!  Aber sie durften auch in den „ernsten“ Szenen rührend komische Größe zeigen wie etwa Maria (Katka Kurze), wenn sie ihr Ärmchen zum Heil’tlerchen-Grüßchen in die Luft schweben lässt, Augäpfelchen himmelwärts, ganz die Unschuld, das Luder, das den – ich bin der Hamlet-Gott, Ihr sollt keine anderen neben mir haben – Göttergatten hintergeht mit dem Sein-oder-Nichtsein-Schwänzer, sonst aber gut ausgestatteten Andrzej Stasnik (Jan Gerrit Brüggemann), dem perfekten Rosenkavalierverführer und Widerständler im Gestapo- und SS-Dreck und London (sprich:„Landen“)-erjagenden, schmucken Leutnant über den Wolken, wo die Freiheit vor solchen Idioten grenzenlos ist.

Sie passten die Sprache an, wo immer Rs zu rollen waren – grrroßartig der Gröfaz von Bronski René Schmidt, der mal schnell seine Dramaturgen-Robe an Kollegin Kathrin Brune abgegeben und den Rosenkranz kniefällig wie den Brustraus-Gröfaz spielte. Für die polnischen Untertöne sorgte „Regisseur“ Bogdan Koca. Was für eine tolle Idee, den Gastregisseur, den wir so oft schon in Chemnitz erlebt haben, als Posener Regisseur doppelbödig seine Lebensrolle spielen zu lassen, damit er merke, wie hart das Leben oben auf den Brettern ist („die Luft ist raus, wir machen Pause…“).

Vor allen anderen aber zu nennen ist Christian Ruth als Josef Tura – als eingebildete Bühnenschmierant (Hamlet) und dann, wenn’s wirklich um Sein oder Nichtsein geht, als falscher Verkörperer des akademischen Gestaposchweins Siletzky ein Top-Mime. Herrlich, wie er seinen Schmidtchen-Schleicher-Buckel krümmt und die Geschichte vom Treffen auf dem Obersalzberg erzählt, rechts ein Schäferhund, links ein Schäferhund und in der Mitte Eva Braun… Da fallen nicht nur dem Gruppenführer die Augen aus den Höhlen. Da ist auch das Publikum hin und weg.

Wir müssten eigentlich alle hervorheben, alle in ihren Doppelrollen würdigen, Wolfgang Adam (Kasparek), den Grinberg von Michel Diercks, die harrschherrschende Souffleuse und das treudeutsch blonde Magdalenchen der großartigen Christine Gabsch, Philipp Otto als dreiste SS-Parteibuchgröße und die anderen. Was für eine Ensembleleistung!

Nein. Ein politisches Stück ist „Noch ist Polen nicht verloren“ nicht – trotz des schlimmen Hintergrundes. Und sehr zum Nachdenken verführt es auch nicht. Aber diese Chemnitzer Produktion zwingt, ob Du’s willst oder nicht, zum Lachen. Und zum Auslachen. Das Stück wird ein Renner. Und wird jeden Abend wieder zeigen: In welchem Gewand sie auch immer daherkommen – Nazis sind Deppen. Auf der Bühne siegen die Guten. Draußen hoffentlich auch.