Manchmal geht der Zauber flöten

Schilhan und seine Ausstatterin (Alexia Redl) geben dem Affen Zucker, dass Schikaneder, Mozarts Spezi, Textdichter und Theaterchef, der Bühneneffekte schuf, die man in Wien noch nie gesehen hatte, seine wahre Freude daran gehabt hätte. Da explodiert der Motor eines Jeeps im Wald, die Schlange, die hier ein Gorilla ist, wird von den drei Feuerwehr(?)-Damen mit Pfefferspray zumindest kurzfristig (später springt er munter davon) erledigt,  aus den verbotenen Tempeltoren faucht gelbflammiges „Zurück“-Feuer, die drei Knaben fahren durch die Lüfte, standesgemäß kommt die Königin der Nacht aus dem nebelnden Dunkel der Tiefe hochgefahren – später bringt dieser Aufzug zwei Kästen Bier für Papageno, der eigentlich lieber Wein mag, den er besingt.

Als schönes Bildnis schwebt herzig Pamina im Riesenvideo zwischen den kahlen Baumstämmen. Sie darf dann realiter mit Papageno auf der weißen Couch vor dem Fernseher singen, wie Männer und Frauen Liebe fühlen – und für ihre schönste Arie („Ah, ich fühl’s“) wird sie später mit Blut (kommt woher?) an die Fliesenwand (wo sind wir da? In der Pathologie?) den Namen des vermeintlich umgekommenen Geliebten malen. Der Stuhl stammt aus Sarastros Tempel. Vorher waren es noch ein paar mehr, als Papageno zum ersten Mal seiner noch „alten“ Partnerin begegnet, mit der einmal viele Kinder haben wird. Die dürfen eigentlich erst im „zweyten Theil“ der Zauberflöte, in Peter von Winters „Labyrinth“ (weltweit übrigens erstaufgeführt in Chemnitz, noch vor Salzburg) körperlich auftauchen, bei Mozart wird nur von ihnen gesungen. Aber das passt hier alles: Und so schält sich Kind um Kind aus Papagenos Vogelcaravan heraus, eine komplette Rugby-Mannschaft, die auch gleich das passende Spielgerät findet: ein Ei von dem herzlieben Strauß, von dem sich Papageno gern begleiten lässt.

Die Chöre studierten mit Dovilė Šiupėnye, der litauischen Chorleiterin am Haus, nicht nur perfekt ihre Gesangsnummern ein, sie hatten (in 20er-Jahren-Klamotten) auch – mit leeren Tafeln, sogar ohne Piktogramme –  zu demonstrieren (Choreografie: Benjamin Rufin) oder, die Männer, abzustimmen mit regelkonformen Händvereinigungen, ob denn dieser Tamino ihrer würdig sei.

Angst und der Mut, sie zu überwinden, sind ein wichtiges Begriffspaar, das viel vom Zauberflötenzauber ausmacht. Aber da könnten dann die Tiere wirklich wild sein, die vom Flötenton zu Lämmern werden, die Prüfungen sollten nicht wie Spaziergänge durch Feuersglut und Wassermassen anmuten, und Papageno wirklich Schiss in der Büx haben. Aber bei so viel vordergründiger Farbe muss wohl auch der geheimnisvolle Zauber ein bisschen verhauchen.

Goldschatz des Abends war Guibee Yang als Pamina, nicht nur mit ihrer hellen Stimme im Duett mit Papageno etwa, oder in ihrer Arie „Ach ich fühl’s“, sondern auch als Schauspielerin – und mit ihrer Sprache. Die Koreanerin lebt schon lange in Deutschland – das hat man gehört. Da hatte es Tamino Siyabonga Maqungo, der Südafrikaner schon schwerer, verstanden zu werden. Auch wenn ihn Michael Schilhan (wie fast alle Solisten für jede größere Arie) an die Rampe nah zum Publikum schickte. Herrlich lyrisch Maqungos „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“. Magnus Piontek hat sich als Sarastro in seinen „heiligen Hallen“ sichtlich wohlgefühlt. Vanessa Waldhart schaffte ihre beiden Arien mit Bravour und großer Beweglichkeit, die Rachearie vielleicht sogar noch etwas reiner und perfekter als die im ersten Akt. Den Monostatos sollte Tommaso Randozzo nicht so furchtbar böse anlegen, wie er in den meisten Aufführungen zu erleben ist. Er gab eher den selbstverliebten, von sich überzeugten Verführer. Papageno ist eine Paraderolle für Andreas Beinhauer, munter flockig unbeschwert sein „Der Vogelhändler bin ich ja“ und sehnsüchtig verschmitzt „Ein Mädchen oder Weibchen…“ Mit Katharina Boschmann durfte er sich dann ganz viele Papagenos und dann weder ganz viele Papagenas wünschen, die ihren (Sänger-)Eltern in nichts nachstehen müssen. Edward Randall und Matthias Winter passten sich mit Stentorstimmen als Geharnischte perfekt einander an. Die drei Damen (Natalya Stepanska, Sylvia Rena Ziegler, Sophie Maeno) – einzeln bisweilen etwas schwer zu verstehen – beeindruckten in ihren Terzetten. Die drei Dresdner Kapellknaben (Hermann Seifert, Julian Wappler, Nicolaj Kruschwitz) haben sehr zarte Stimmen – aber sie haben sich verdient nach ihren Auftritten abgeklatscht. Ist ja auch nicht gerade Alltag, auf einer Opernbühne zu stehen und auf ein Orchester aus dem Graben zu hören.

Die Robert-Schumann-Philharmonie spielte (nach vier Wagner-Samstagen) am fünften Samstag 2019 vielleicht sogar erleichtert in kleiner Mozart-Besetzung diese ganz und gar nicht leichte Oper. Jakob Brenner wählte sehr flüssige Tempi, wo es angebracht war – es schien, als wolle er alle bei den vielen Ohrwürmern gewohnten sentimentalen Dehnungen vermeiden. Und er goutierte es ganz offenbar, dass die beiden Hörner etwa in striktem Tempo ihre begleitenden Akzente setzten. Die Sängerinnen und Sänger würden manchmal schon gern ein bisschen genießend auf einem Ton verweilen, es gab ab und zu ein bisschen Geholper zwischen oben und unten. Auch die Nervosität bei den Knaben wird sich legen. Premiere eben. Das wird.

Ein farbenprächtiges Spektakel für die ganze Familie, diese neue Chemnitzer „Zauberflöte“. Viele Rollen sind doppelt, der Papageno gleich dreifach besetzt. Ein Blick auf die jeweilige Besetzungsliste im Foyer bei den künftigen Vorstellungen empfiehlt sich. Sie finden statt am 8.2. und 8.3., jeweils 19 Uhr, und am 24.3. und 7.4. um 15 Uhr.