Männergeschichten

Ob Udo Lindenberg nach Chemnitz kommt, ist offen. Er hat noch nicht ja gesagt, aber die Einladung des Theaters auch noch nicht abgelehnt. Die große Lindenberg-Fangruppe in Chemnitz würde das ganze Opernhaus füllen und zum Wackeln bringen, hat Sebastian Thieswald (der umtriebige ehemalige SenVital-Chef) versprochen. So weit war es am Samstagabend bei der Premiere noch nicht. Aber der Udo-Teil fand einhellige Zustimmung beim Publikum, auch bei denen, die lieber große Oper als kleine Udo-Geschichten mögen.

Udo und Adele, die Pop-, Soul- und Jazz-Röhre aus London, so sollte es ursprünglich sein. Was Männer denken, wie Frauen fühlen. Das hätten wir uns gut vorstellen können. Grandiose Idee von Reiner Feistel. Doch sie zerplatzte wie eine Seifenblase im Rechteurwald zwischen Sängerin, Management, Schallplattenfirma, Komponisten und Textern. So kam’s, wie’s kommen musste. Der Udo-Teil – ja, den würden wir noch dreimal anschauen. Die Mädchen waren die Dummen. Der zweite Teil des Ballettabends, der Mädchen-Teil, zündete nicht so richtig.    

Die Damen konnten nichts dafür. Sie tanzten sich die Seele aus dem Leib und wirbelten sich noch mehr Hornhaut auf Ballen und Fersen. Sie waren frühlingshaft rührend (Alanna Saskia Pfeiffer) oder sommergewittrig wild wie Helena Gläser. Half alles wenig. Die Musik von Max Richter und Andreas „Scotty“ Böttcher ist für sich gut, ist klasse. Richter hat’s sogar zur Deutschen Grammophon geschafft. Das ist CD-Adel. Aber diese Musik zaubert keine „Geschichten aus dem Hut“ (so der Titel des Abends).

Max Richter hat Vivaldi „recomposed“, also neu komponiert. Die vier Jahreszeiten (die langsamen Sätze daraus) werden lauter, elektronisch knallig. Aber sie erzählen nichts. Nigel Kennedy oder David Garret (beide haben Vivaldi mehrfach „neu“ gemacht) haben in ihren Fingerspitzen mehr dramatisches Talent als sämtliche Gitarrenriffs und Orgelgedröhn in Richters Version erzählen können. So tanzten die Damen Geschichten, die niemand verstand, bewegten sich im kargen schwarz-weiß von Bühne und Video (Feistel, Raj Ullrich (!), Michael Keil), im virtuellen Gitter, vor Stroboskop-Lampe und Riesenlichtwerfer, in Kleidern, die vielleicht zwischen den 50er und den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bewundernde Pfiffe der Teens provoziert hätten, ließen Ringellöckchen fliegen und die Füße auch mal Charleston drehen. Alles schön anzusehen. Aber der Beifall war enden wollend.

Ganz anders im und nach dem Udo-Teil. Udos Geschichten (und die Musik, zu der viele Kollegen beigetragen haben) zündeten Funke um Funken. Die Männer der Ballettkompanie und  Mu-Yi Chen (nette Idee, den Mann mit dem Hut von einer Frau tanzen zu lassen. Warum auch nicht? Im Schauspiel sehen wir als Richard III auch eine Frau) erzählten im Tanz die teils verrückten Geschichten, die alle Udo Lindenberg aufgeschrieben hat. Die CD von 2008 „Stark wie zwei“ ist eine seiner besten. Elf von 14 Nummern hatte Feistel ausgesucht – und maßgeschneiderte Bewegungen für seine Tänzer geschneidert. Ob zu zweit (liegt nahe bei dem Titel) oder im Ensemble, das passte alles. Alles schön anzusehen. Wie später bei den Damen. Nur dass hier der Beifall prasselte.

Das schönste Kompliment für Reiner Feistel und die Herren seiner Kompanie hörte ich beim Rausgehen in die Pause. „Wenn ich abends total fertig nach Hause komme“, sagte eine Dame zu ihrem Partner, „lege ich mir Udo auf, mache die Augen zu. Und automatisch stelle ich mir Bewegungen vor. Und sie sind – unglaublich – genau so, wie ich sie eben gesehen habe. Das war faszinierend.“

Fände Udo sicher auch. Nur muss er erstmal kommen…