Mächtig gewaltig

Michael Morgner

Was der angesehene Chemnitzer Künstler mit dem Sinfoniekonzert zu tun hat? Michael Morgner, das Mo von Clara Mosch seligen Angedenkens, feierte just am Donnerstag seinen 75. Geburtstag. Und war, zusammen mit seiner Frau, (wieder wie öfter) Gast beim Sinfoniekonzert. Generalintendant Christoph Dittrich gratulierte von der Bühne hinauf zum Rang und später, in der Pause, privatim mit einem Blumenstrauß. Zurück im Saal ließ er die Robert-Schumann-Philharmonie für den Jubilar den riesigen Helden-Strauss servieren. Kriegt nicht jeder. Ist sogar einmalig für Chemnitz. Aber Morgner hat’s verdient.*

Ein Glück, dass wir die Robert-Schumann-Philharmonie haben. Sonst würden wir Straussens Mammutwerk in der Region nie hören. Erinnert sich jemand, wann zuletzt eines der vier großen Orchester aus Dresden und Leipzig in Chemnitz war? Strauss verlangt ein großes Orchester, ein wirklich großes. Mehr als 100 Musiker. Da muss selbst die Robert-Schumann-Philharmonie aufstocken. Entscheidend aber, sie verfügt über Musiker, die dieses verrückte Werk vom Ende des 19. Jahrhunderts spielen können. Weil sie sich an großen Brocken nicht verschlucken, weil sie auch Mahler spielen, und Wagner, und Bruckner.

Da sitzt etwa eine Heidrun Sandmann am ersten Pult (Kollege Hartmut Schill hörte gelassen und gespannt aus der Morgner-Umgebung vom Rang her zu). Sie spielt die Pauline. Strauss, der (Maul-)Held hat seiner herrscherisch bruddeligen Gattin den Anti-Helden-Part zugedacht: ein Violinsolo „sehr kompliziert, ein wenig kokett, wechselt von einer Minute zur anderen“ (so der Komponist – eigentlich – über den Charakter seiner bajuwarischen Motzerfrau, wie er ihn hier komponiert habe…).

Aber da kann Strauss verlangen, was er will, und bösartig (wenn schon, dann schon) Meister-Leistungen von der Gegnerin verlangen. Heidrun Sandmann packt die Doppelgriffe genauso souverän wie das Gattinengeschimpfe in höchsten und tiefsten Tönen und die Zum-einen-Ohr-rein-zum-andren-raus-Tiraden-Läufe. Tja, Richard! Pech gehabt. Wenn Pauline die Violine spielt und eigentlich Heidrun heißt, haut sie Dir Held die Töne um die Ohren, dass es nur so fetzt.

Neben der großen gibt es da aber auch noch die „stillen“ Heldinnen. Die sind natürlich gar nicht still. Aber sie gehen beim Beifall ein bisschen unter, weil Pultheld Brogli-Sacher sie nicht extra aufstehen lässt. Ulrike Rusetzky etwa, die zweimal dieses absurde Sprünge-Solo flöten muss, oder Claudia Schöne, die des Helden Weltflucht mit ihrem Englischhorn beklagt.

Wenn dann am Schluss Friede, Freude und Eierkuchen herrschen und in Garmisch halbwegs Ruhe einkehrt, dann säuselt es, das bairische Weib, auf dem hohen Es und der Hornheld (Klasse, wie seine sieben (!)  Kollegen: Benedikt Euler) gibt leise seinen Senf dazu. Nicht ohne dann aber nochmal im Inneren hochzufahren und die Trompeten Sieg verkünden zu lassen. Damit auch niemand vergäße, wer wirklich der Sieger ist. In der Urfassung hatte Strauss den Einblick ins Heldenleben realistischer in einem Patt-Pianissimo enden lassen…

Gegenüber dem Straussschen Mordsgetöse im Schlachtenlärm, wo mit allen Mitteln gefochten wird, rhythmisch, harmonisch, durmollig, ist das 2. Klavierkonzert von Brahms reiner Wohlklang. Obwohl: Auch hier geht’s ordentlich zur Sache. Die andere Heldin des Abends, Martina Filjak, hatte in dem Riesenwerk, das eher eine Sinfonie für Orchester und Klavier ist, ordentlich in die Tasten zu hauen. Kein Wunder, dass dieses Klavierkonzert lange nur von Männern gespielt wurde (von Backhaus bis Zimerman), jetzt wagen sich auch Frauen dran, Hélène Grimaud etwa, oder eben die Filjak.

50 Minuten höchste Konzentration, ein irres Erinnerungs- und Einfühlungsvermögen (tausende von Noten auswendig!), physische Kraft – und feines psychologisches Gespür, wenn die Stimmung wechselt – Martina Filjak kann auf allen Klavieren spielen. Am Mittwoch noch in Grün, am Donnerstag in glänzender Goldrobe, brilliert sie nach Belieben und ist noch viel anziehender in den wunderbaren lyrischen Stellen. Und bei allem denkt sie musikalisch mit, weiß genau, wann sie zur musikalischen Zwiesprache mit dem Orchester einen Akkord verklingen lassen oder hämmern muss. Lässt die Klarinette leben – und vor allem das Cello bei seinem Solo im dritten Satz. Wunderbar der leider hinter dem Flügel(deckel) versteckte Thomas Bruder. So leicht, so sicher phrasierend, so romantisch schwelgend, ohne dass auch nur ein Tropfen Kitsch getrieft hätte…

Der Schweizer Dirigent Roman Brogli-Sacher hatte es nicht so mit großen romantischen Linien. Er setzte eher Blöcke gegeneinander. Und die herrlichen Melodien, die jeder im Ohr hat, der das Konzert ein bisschen kennt, kamen eher beiläufig daher. Wenig Empathie. Eher Taugenichts als Blaue Blume. Und so ließ man sich lieber mitreißen von der Solistin und den Solisten im Orchester als vom Werk selbst.

Langer Beifall für die Heldinnen und das Orchester. Und zurecht (neben gefühltem sechsundzwanzigmaligem jovial dankbarem Händedruck des Dirigenten) zweimal Blumen für Heidrun Sandmann, einmal von der Solistin und einmal von den Kollegen. Mit Küsschen vom Pultnachbarn Ovidiu Simbotin und anerkennendem Lächeln von Hartmut Schill droben auf dem Rang.

*Michael Morgner hat für den Verein „Kunst für Chemnitz“ das Logo kreiert. Er ist einer der Väter des Vereins, der nach der Wende, wenn schon nicht in Nachfolge von Clara Mosch und der Galerie oben, vom HeckArt aus (in dem Morgner ein Zimmer gestaltet hat) kulturelle Impulse in die Stadt geben wollte. Alle sollten dabei sein – die bildenden Künstler, die Theater (Stiska machte von Anfang an mit), die Kunstsammlungen. Die Künstler gestalteten Plakate für Theaterpremieren (und waren dadurch selber in der ganzen Stadt vertreten), das Jubiläum mit dem unvergesslichen Morgner-Film fand im Opernhaus statt. Schnee von gestern. Großartiges Signal von Christoph Dittrich, Morgner in so außergewöhnlichen Rahmen zu ehren. In den Kunstsammlungen wird Dagmar Ranft-Schinke (zusammen mit ihrem damaligen Mann Thomas das -ra der Clara Mosch) zu ihrem 73. am 10. April mit einer Ausstellung geehrt. OB Barbara Ludwig schenkte der Heym-Preisträgerin Ioanna Bator am Dienstag einen „Pegasus“, den Ranft-Schinke geschaffen hat. Am Sonntag wird im Morgner-Archiv eine Ausstellung des Clara-Mosch-Haus- und Hof-Fotografen Ralf-Rainer Walle eröffnet. Es sieht so aus, als fänden sich die Künste in der Stadt wieder zusammen. Das könnte ein Meilenstein für den Weg zur Kulturhauptstadt sein…