Kammermusik im Kraftwerk: Eine Idee setzt sich durch

Im Oktober 2013 war der frisch verheiratete und auf den Kassberg gezogene Jakub Tylman auf die Idee gekommen, ab und an mit Kollegen einen Abend in der Woche direkt in der Nachbarschaft anders einzuläuten als mit der Glotze. Tschaikowskys „Souvenir de Florence“ boten sie an beim ersten Mal: Und die Kaßberger (und viele andere Chemnitzer, Junge, Alte, ganz Kleine und Work-Liefe-Balancisten) kamen und hatten ihre Freude.

Dann die Grippe-Welle. Musiker können auch krank werden… Deswegen aufgeben absagen? Wo auch so viele Freunde aus Tschechien da sind? Nullnein. Ovidiu Simbotin, Geige, Hardy Wenzel, Bratsche, und Jakub Tylman, Cello, gewannen kurzfristig ihre Philharmoniker-Kollegin Sigrid Scommotau, die sich bestens in die „Stämmler“ einfügte. Und so „sind wir eben vier statt sechs“  (Jakub Tylman). Und sie spielten. Und wie. Fetzten den mehr als hundert Zuhörern Mozarts Dissonanzen-Quartett geradezu um die Ohren.

Es ist eines der schönsten und der eigen(willig)sten Mozart-Quartette. Die Zeitgenossen hielten es wegen der angeblichen Dissonanzen zu Beginn für nicht sauber in der Komponierkunst. Aber der Schlingel Mozart hat – wie in seinen manchmal frechen Zeilen an das Bäsle – gespielt: dort mit Worten, hie mit Tönen. Einfach mal einen Vorhalt verlängern, wo die anderen Stimmen schon beim Grundton sind: Ätsch, streckt der kleine Satyr in Mozart Salieri & Co. die Zunge raus. Und beweist dann, dass er besser als jeder andere aus der zartesten Melodie ein Gewürge, aus dem strahlendsten Dur (hier das glänzendste  C-dur sogar) ein Moll zaubern kann, das ans Herz geht oder zum leisen Schmunzeln verführt.

Das Quartett der Philharmoniker wusste, wo es spielte, im Kraftwerk. Sie pfiffen auf die „kalten“ Originalgetreuen, und rissen einen Mozart herunter, der lebendig und lebenslustig war wie der kleine tollkühne Salzburger in Wien und so melancholisch, wie wenn er wieder mal keine Kohle hatte. So musikantisch statt musikwissenschaftlich beckmesserisch hört man diesen Mozart selten. Derb bisweilen, nein, sogar grob, und dann wieder (2. Satz!) zart wie Lindts zum Hinschmelzen. Wie die Mozart-Kugeln, innen und außen…  Figaro lässt schon grüßen – das Quartett wird große Oper mit allen Leidenschaften und Liebesträumen. Das Dissonanzen-Quartett ist eines der schönsten Werke der musikalischen Literatur. (Und nebenbei: schwer wie S.., würde jeder Primarius sagen, wenn er die Sechzehntel im letzten Satz in dem Tempo runterfegen muss, wie ihn die Philharmoniker am Dienstag eintakteten). Beifall nach jedem Satz. Warum nicht? Spaß machen, Spaß haben – ohne Krawatte und Zwänge, das ist der Sinn der Reihe im Kraftwerk.

Was die wohl nach diesem furios-zarten Rundumschlag als Zugabe bringen würden?, hatte ich mich gefragt. Auf Haydn, ohne den die Mozart-Quartette so, wie sie sind, nicht denkbar wären, bin ich gekommen. Aber die Vier haben das i-Tüpfelchen getroffen: das zunächst bäuerisch derbe und dann wie der Mozart pianissimo-didim ausklingende Menuett aus Haydns Lerchenquartett war die perfekte Abrundung und Krönung. Wie sich da die tiefen Stimmen beeilen, den Geigen hinterherzukommen, um sie schließlich einzuholen (nicht zu überholen…), Mann, das war der perfekte Schluss.

Nächstes Mal soll es aber wieder Sextett sein. Wir freuen uns schon auf den 17. März, wenn es wieder „Spielzeit“ im Kraftwerk heißt. Dann wirklich mit dem Brahms-Sextett. Die Stühle werden dann nicht ausreichen. Bestimmt. Die Philharmonie draußen im Alltag, am Kassberg, kein Zwang, kostenlos (nur Spende – und da machen alle mit) zu Zeiten, da alle können  und wollen – klasse Idee. Kein Wunder, dass sie sich durchgesetzt hat.