Kickboxen im Elfenwald

Mendelssohn-Bartholdys Sommernachtsmusik-Ohrwürmer schlichen sich wohlig in die Gehörgänge der Besucher. Wo bei anderen Uraufführungen Feistels die eklektizistische Auswahl von Klängen aus Musik-Jahrhunderten bis hin zur Minimal Music eher verstörten, wurde hier auch mit den Mendelssohn-Ergänzungen ein farbenfroh kuscheliger Klangteppich ausgebreitet, Debussys Faun durfte sich bei seinem kurzen, ausnahmsweise nächtlichen Besuch sogar über seine zwei nachmittäglichen Harfen freuen, für die sonst niemand Verwendung hatte. Frank Fellmann griff bei Bühne und Kostümen in die Vollen, Mathias Klemm zauberte mit dem Licht einen Traum, Sabrina Sadowska hatte die Eleven der Opernballettschule zu herzigem Gewimmel instruiert, und die ganze Company gab ihr Bestes. Kein Wunder, der Beifall des Publikums im vollbesetzten Opernhaus bei der Premiere gestern, Samstagabend, prasselte herzlich bis fanatisch. Viele Vorhänge.

Wenn Reiner Feistel ein Ballett denkt, hat er Bilder im Kopf – so scheint es. Keinen Roman, kein ganzes Drama. Einzelbilder, Episoden. Wie bei Mozarts Briefen (übrigens: heue, Sonntag-Nachmittag im Opernhaus), Lindenberg oder Hopper. Und er sieht Bewegungen. Sprechende Körper. Szenen, die am Ende buchstäblich zusammengerollt werden wie die Akteure aus dem Bild rollen. Das kommt ihm bei Shakespeares „Sommernachtstraum“ sehr entgegen. Da gibt’s keine Einheit von Raum und Zeit, alle Hierarchien geraten ins Wanken – in der Athenischen Herrscherwelt wie in Oberons Feen-Reich. Da wird der Wald ein Mysterium, Handwerker Schauspieler, da verliebt sich dank einer Traumblume die Elfenkönigin schon mal in einen Esel, und unter, dazwischen und drüber treibt Puck seinen Spuck.

In der Umsetzung ist das dann ein bisschen schwierig, wenn in der Exposition erstmal erklärt werden soll, wer wen liebt oder nicht. Wer wen zwingt, und wer gehorcht oder nicht. Da wirkt das Ganze trotz der Bilderwechsel dann noch ein bisschen langatmig, geht nicht richtig voran. Das sind die Momente, da man eher der Musik lauscht und den Tanz als Zuckerl mitnimmt.

Ganz anders im zweiten Akt, wenn richtig was los ist. Wenn Helena mit Hermia kickboxt oder mit Lysander kämpft. Wenn die Handwerker ihren Pyramus und Thisbe-Schwank auf die Bretter donnern, dass sogar die Mauer tanzt, wenn Puck sein neckisches Schwänzchen im Frack versteckt und alles Friede, Freude, Hochzeitsmarsch wird, dann nimmt der Abend begeisternde Fahrt auf.

Das geht dann so weit, dass alle Welt meint, das Stück sei zu Ende, der Beifall losbricht, Stefan Politzka dreimal den erhobenen Taktstock resignierend wieder senkt – so was gefällt Reiner Feistel. Denn er hat noch ein Bild im Kopf, er retardiert nochmal, schiebt noch einen kurzen Elgar rein, zu dessen Enigma-Musik sich alle in rätselhafter Harmonie verbinden. Und dann darf’s nochmal, blimmkling, ein Stückchen Mendelssohn sein. Und alle sind happy. Wirklich und endgültig. Und jetzt dürfen die Verzückten klatschen wie die Verrückten. Was sie dann auch tun.

Die Company kennt ihren Chef, wie Feistel seine Tänzerinnen und Tänzer. Die geben alles. In der Luft, im Miteinander, im Zusammenballen, am Boden. Im Springen und Im Liegestütz. In Kampf und Kosen. Einzelne hervorzuheben ist nicht ganz gerecht. Trotzdem: Raul Arcangelo quirlt als Puck von der ersten Sekunde an, wenn er, oben plutt, von unten aus dem Graben sich windet, bis zur letzten, wenn der schalkige Supervisor im Frack auf der Tafel thront, die anderen in Harmonie schmusen lässt, wenn Puck genüsslich seine Trauben pickt – er wird schon wieder alles durcheinanderbringen. Harmonie ist ein Traum auf dieser Welt… Die drei Paare (Milan Maláč/Nela Mrázová als Theseus/Oberon, Hippolyta/Titania), Emilijus Mliliauskas (Lysander)/Alanna Saskia Pfeiffer (Hermia), Benjamin Kirkman (Demetrius)/Helena Gläser (Helena) freuten sich zurecht über den Sonderbeifall. Die Kinder aus der Ballettschule – trippeltrappel herzallerliebst.

Einer muss noch besonders hervorgehoben werden: Bernd Sikora. Squenz, der Zimmermann, wird nie ein Tänzer. Aber als Schlagzeuger versteht er sein Handwerk. Was Sikora da auf dem Thespiskarren den zum Teil handgemachten Holz- und Metallinstrumenten entlockte: große Klasse.

Was für eine Wohltat, haben wir oben geschrieben. Ja. Endlich mal wieder beim Ballett die Robert-Schumann-Philharmonie im Graben. Ernsthaft fröhlich, die Traumhörner nebelfrei, die Soli (u.a. Ovidiu Simbotin) astrein auch oben, ohne Bodenhaftung wie die Bäume auf der Bühne. Die Musiker tupften ihren Debussy farbig impressionistisch, wie sie den Rossini parlierten und den Hochzeitsmarsch zelebrierten. Stefan Politzka stand am Pult – wechselte munter von einer Klangepisode zur nächsten, hatte meist freie Hand und nutzte sie, und die Musiker folgten ihm gern. Erst im zweiten Akt, wo die Musik weniger Atmosphäre denn dramatische Klangbilder schuf, da wanderten Politzkas Blicke des Öfteren hinauf zur Bühne, da klappten denn Tanz und Sprung und Takt und Sound wie eine Eins.

Wenn Shakespeare zu Lebzeiten vor mehr als 400 Jahren aufgeführt wurde, kamen alle ins Globe-Theater. Hoch und Niedrig, Arm und Reich, Alt und Jung. Dabei sind seine Stücke, vor allem die Königsdramen, ja wirklich bisweilen ganz schön bös und blutig. Reiner Feistels „Sommernachtstraum“ ist dagegen richtig „schön“ geworden. Und damit so recht wirklich etwas für alle.

Die nächsten Aufführungen: 11., 24. März, 2., 29. April 2017