Jetzt, am Sonntag, sitzen wahrscheinlich Dutzende von Kindern samt Papis am Wohnzimmertisch und basteln aus dem Programmflyer das Spiel um die selbstlosen Männer in Blau, während Frau Mama in der Küche möglicherweise Oma Eierscheckes Spezial-Rezept für den Nachmittags-Kaffee nachmürbt. Und wenn nicht gerade Oma und Opa hereinschneien, dann werden weder der Kaffee (noch die Schokolade für die Kleinen) kalt.
Die Chemnitzer Oper hat keine Kosten und Mühen gescheut und mit diesem Auftragswerk, das am Samstag zum ersten Mal auf der Welt aufgeführt wurde, einen Volltreffer gelandet. Gestandene Profis und jetzt schon bühnenluftverrückte Kinder und Jugendliche aus dem Kinder- und Jugendchor (wenn ich mir das Gewusel bei den Proben vorstelle – gut gemacht, Dovilè Šiupènyté) und der Opernballettschule (nicht minder einfallsreich bis ins Kleinste die Choreografie von Nini Stadlmann) sangen uns spielten sich in die Herzen des so gar nicht an übliche Premieren erinnernden Publikums, das fröhlich jeden Spaß und jeden gelungenen Auftritt beklatschte. Ach was, misslungene gab’s gar nicht. Und die (langen) zwei, drei Arien gaben den Kleinen die Zeit, Mutti oder Omi zu fragen, wie das geht mit der Telefonscheibenbühne, dass die sich dreht. Und überhaupt, wie das ging damals, mit dem komischen Drehdring und dem Hörer – hatten die denn kein Handy?
Und dann brennt’s bei Oma Eierschecke („brennt’s da wirklich? Da ist ja ganz viel Rauch“) und oh, da stehen alle Münder offen, kommt sogar ein riesiger Kran von oben und lüftet den alten Bruchbaum weg vom Futterhaus (Beifall-Dezibelsieger – Bühne und Kostüme: Alexia Riedl). Wird Emilia Zahnlücke, die unvorsichtig ins dünne Eis eingebrochen ist, gerettet? – bibber, bibber mit Wachtmeister Meier… Und kriegt Tierparkdirektor Futtersack, der alte Single, seine einsame Oma Eierschecke? Und Emilia Zahnlücke später mal den Job als Tierpflegerin?
Die Feuerwehr hätte sie gern in den eigenen Reihen gesehen – schon wegen der Frauenquote. Aber das geht ja schon nicht, weil sie blonde Haare hat, während alle Feuerwehrer einen feuerroten Kopfschmuck tragen. Farbenprächtige Kostüme und Masken, die Alexia Riedl den vielen Jungen und Alten auf der Bühne verpasst hat – auch den Tieren im Zoo („Mama – ist der schwarzgefleckte ein Leopard? Und schau mal, der rosa Elefant“) oder den lebenden Verkehrswarnkegeln. Und erst das lebende Telefon im bühnenbeherrschenden Hydranten, die stilisierten, alle Fantasien öffnenden Farbklecksgebäude, woraus, pardauz, Oma im Eierscheckengelbkostüm par Rutsche, huch, gerettet wird, sehr zur Freude des erdverbundenen – wegen Zoowegmatsches zukurzhosigen – Zoodirektors, der sich zuhause, herrlich, zwei reinwei0e Pudelschnuckelchen gönnt…
Alexander Kuchinka (hat in Chemnitz schon die Teufelsoperette von Suppé inszeniert) versteht, sagt er selbst, viel von Musik und macht (oder ist es umgekehrt) die Töne von Oliver Ostermann sehbar. Da rutschen die Feuerwehrleute mit den Glissandi der Geigen beim Alarm die Feuerwehrstangen runter. Und hier, eins, zwei, drei, vier zählen wir zupf, zupf, kling, klang den Becher und Stullenappell von Löschmeister Wasserhose mit.
Ostermeier hat eine eingängige Musik komponiert, nichts Verqueres, ein paar Dissonanzen, wenn’s gefährlich wird, ausgenommen, und ein paar falsche Horntöne (für die der Komponist nichts kann) gnädig übersehen. Jetzt dirigiert er die Robert-Schumann-Philharmonie auch selbst. Wir hören Wien mit schmalzenden Geigen und Paris mit sentimentalem Akkordeon, wir hören Operette und Musical, ja, sogar ein paar Weill-Anklänge, wir hören Couplet und Arien, Walzer, Foxtrott und Viervierteltakter zum Mitklatschen – und das ganze Haus ist voll mit dabei. Vergesst den Radetzky-Marsch aus Wien an Neujahr. Die Chemnitzer können’s mindestens so gut.
Da sind wir dann aber auch gleich bei der Nummer mit dem Raben Jakob. Sylvia Schramm-Heilfort und die Truppe singen für mich den wahren Hit dieses Opernoperettenmusicals. Voller Schwung (auch in der Bewegung – nichts zu spüren davon, dass Sylvia Schramm-Heilfort am Mittwoch von der Hexe wie ein Blitz im Rücken getroffen worden war… Gute Besserung!), mit Temperament und eingängiger Melodie. Überhaupt die Schramm-Heilfort. Wie sie als Telefon weltmeisterschnell daherquatschte, um dann gaaanz langsam, zum Mitschreiben („Steno, sonst werden wir nie fertig“- Wasserhose zum Adjutanten Wachtmeister Meier) „Hiiilllufääee“ zu artikulieren, wie es dermaleinst auch in der Sprecherziehung der Schauspielschulen gelehrt wurde, das war Sonderklasse.
Ostermeier kennt alle Tricks der verwendeten Genres. Er setzt mit Leitmotiven Ausrufezeichen und er weiß, wie man musikalisch durch Wiederholungen aus zuerst Unbekanntem langsam Bekanntes und schließlich Vertrautes macht. So funktionieren nicht nur Schlager oder Streamings im Netz. Und so erwarten wir geradezu wieder den eins, zwei, drei, vier-Song, wenn sich die Feuerwahrtruppe zur Kaffeepause versammelt. Herrliche Typen, der zumindest im Kleinen Einmaleins noch ausbaufähige „Chef“, Löschmeister Wasserhose – Matthias Winter (er weiß aber immerhin, dass man nur in der Oper so viel Zeit hat, ehe man zur Tat schreitet – zum Schmunzeln, wie Kuchinka und Ostermann ihr Opern-Produkt selbst auf die Schippe nehmen. Aber Bei Verdi sterben die Leute ja auch stundenlang, während sie in den höchsten Tönen singen), der gefräßig schlaue Wachtmeister Meier (Florian Sievers), der so herrlich dummdreist agieren kann, aber auch die jungen Feuerwehr-„Burschen“ Katja Burghart, Anna-Lena Klaus, Karl Kramny, Nils Reuchsel, Frohmut Wolf). Allesamt jetzt schon kleine Profis. Sie singen, spielen und bewegen sich, dass es eine reine Freude ist.
Sie dagegen stand schon auf den besten Bühnen der Welt, in Mailand, New York und Tokyo. Ist Profi durch und durch. Aber Kammersängerin Dagmar Schellenberger ist sich nicht zu schade, in die Rolle der schon leicht verwirrten Oma Eierschecke zu schlüpfen – unnachahmlich in ihrer sentimentalen Verliebtheit und der wagemutigen Rutschenrettung. Stimmlich ohnehin ein Ass. Begeisternd.
Aus dem Emil im Kinderbuch wurde in der Oper Emilia Zahnlücke. Ostermann hatte offenbar wunderbare Melodien im Kopf, die ein Knabensopran schwerlich hätte bringen können, die aber Marie Hänsel direkt in die Stimmbänder hinein geschrieben scheinen. Sie kann mit ihrer Stimme alles überstrahlen und dann wieder hilflos im Eiswasser brabbeln. Sie kann auf dem dünnen Eis tanzen und träumen (warum erinnert mich das an die kleine Fair Lady…?) und sie niest prächtig im Takt ihrem Kollegen James Edgar Knight ins Gesicht, der leicht vertrottelt mit viel Spaß an den Rollen den Arzt und den Futterkoch spielt und singt.
Bleibt, last but not least, die markante Charakterfigur des Tierparkdirektors Futtersack. Mächtig gewaltig fast wie Egon seinerzeit: Reto Rosin. Zum Kaputtlachen komisch bisweilen. Kinder sind ein dankbares Publikum. Aber so ne richtige Arie, wo außer Gesang sonst fast nichts los ist, das mögen sie nicht so. Dafür haben wir einen prächtigen Tenor gehört – und ein Stück Musik, in dem Ostermann wohl zeigen wollte, dass er nicht nur „leicht“ beherrscht… Gelungen!
Ein fröhlicher, vielfarbiger, herzerfrischender Abend. Eine Uraufführung, die die Vorschusslorbeeren mehr als bestätigt hat. Jetzt werden die Karten für die nächsten Vorstellungen noch schnell knapper. Für die kommenden beiden gibt’s eh nur noch Restkarten. Tolles Weihnachtsgeschenk für die ganze Familie, vom Urenkel bis zur Uroma.
Die nächsten Termine: 6. Dezember gleich zweimal: 11 und 18 Uhr, 10. Und 18. Januar 2020, jeweils 18 Uhr.