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Gleich in die Vollen: Spielzeitauftakt mit dem neuen Schauspielstudio

Fast hätte es diese Aufführung nicht gegeben. Das Chemnitzer Schauspielstudio stand vor der Aus. Nach fast einem halben Jahrhundert Zusammenarbeit hatten zwei Leipziger Professorinnen ohne Durchblick Knall auf Fall die Zusammenarbeit zwischen Leipziger Hochschule und Chemnitzer Bühne zum Ende der letzten Spielzeit gekündigt. Im Theaterförderverein entstand die Idee, Enrico Lübbe setzte sie um: Wir jammern nicht und weinen vergossener Milch nach – wir machen unser eigenes Studio. Die Geschichte ist mittlerweile bekannt: die renommierten Schauspiel-Hochschulen in Wien (Max-Reinhardt-Seminar), Salzburg (Mozarteum) und Zürich (Hochschule der Künste) sagten sofort „Ja”. Enrico Lübbe hatte die Qual der Wahl unter vielen interessierten Studenten. Vier wählte er aus.

Und Lübbe hatte den Mut, die vier gleich in der Studioinszenierung ins Rennen zu schicken. Zeichen setzen! Wir sind stolz auf das neue Studio. Wir trauen uns. Stolz, nicht Hochmut. Zu Recht, wie der Zürcher Chef der Hochschule bemerkte, der zur Premiere extra angereist war, um seine Schützlinge auf der Bühne zu beobachten. (Die Leipziger Chefin war bis zur Kündigung nicht ein einziges Mal gekommen!).

Vor stark vier Wochen trudelten die vier in Chemnitz ein, kannten sich kaum oder gar nicht. Würden sie sich im neuen Umfeld wohlfühlen, würden sie zusammenpassen? Die Studioinszenierungen finden deshalb meist erst in der zweiten Spielzeithälfte statt, wenn man sich beschnuppert hat, weiß, wie der andere reagiert. Da kommt Yves Hinrichs ins Spiel, der erfahrene Leiter der Chemnitzer Theaterjugendclubs „Die Karate-MilchTiger” und Regisseur von „Illustrate Illyria”.

Als ob er die jungen Schauspieler aufgefordert hätte: „macht, ‚was ihr wollt'” – getreu dem Titel des Shakespeare-Stücks, das Grundlage für die von Janine Henkel geschriebene moderne Textfassung ist. Die vier ließen sich das nicht zweimal sagen: Volle Pulle agierten sie wie losgelöst allein, gegen- und miteinander, hämmerten auf Schlagzeug und Klavier, klimperten auf Gitarre und strichen die Geige, kippten sich einen hinter und über die Binde, balgten sich, dass die Bretter krachten und ein Näschen blutete, schämten sich nicht blauer Flecke wegen, die sie sich wohl bei den Proben eingefangen hatten. Shakespare hätte an dem munteren Treiben seine helle Freude gehabt.

Und siehe da: Zug um Zug, kaum spürbar, stoßen sich die vier aneinander, stoßen sich ab, ziehen sich an. Vergießen Krokodilstränen aus (falscher) Trauer, fallen sich in die Arme (aus richtiger Liebe), fallen aufeinander herein und der Erotik zum Opfer, und auf sich (weil in Wirklichkeit nur selbstverliebt) zurück. Shakespeares „Was ihr wollt” ist ein böses Stück. Wie wahr kann und muss Liebe sein, dass sie einen nicht zum Narren macht? Ist Narr, wer liebt, Närrin, wer lieben will? Oder ist blöd, wer nein sagt? Kriegt, wer wollen darf, was er will, wenn er unfähig ist, wirklich zu wollen? Ist Liebe gar nur Illusion?

Vier junge Studenten, Anna-Sophie Fritz, Florentine Krafft, Kaspar Locher, Markus Westphal, eigenwillige junge Leute, wie die, die sie auf dem schlichten Bühnenviereck (Ausstattung: ebenfalls Janine Henkel) spielen, haben es geschafft, sich selbst zu bleiben und doch ein „Ensemble” zu werden – Yves Hinrichs und die vier haben einen klasse Auftakt für die neue Spielzeit hingelegt. Respekt. Kompliment. Die Zuschauer waren begeistert.

Und dankbar. Enrico Lübbe dankte Johannes Schulze für die Unterstützung des neuen Studios, der Vorsitzende des Fördervereins gab den Dank zurück: „Dieser Abend hat gezeigt, dass die Entscheidung richtig war.” Die Chemnitzer können sich freuen auf die weiteren Auftritte der jungen Leute aus Wien, Salzburg und Zürich. Seit Freitagabend sind sie in Chemnitz wirklich angekommen.
(Nächste Vorstellung: 5. Oktober)