Ihr könnt mich mal… Oder: Die Leiden des jungen Lehrers

Die Damen und Herren der Robert-Schumann-Philharmonie sind erwachsen und Vollprofis. Das war Schubert noch nicht, als er seine dritte mit 18 und seine vierte Sinfonie mit 19 schrieb. Er war Hilfslehrer bei seinem Vater. Wie später Karl May Hilfslehrer war. Beiden ging die alte Obrigkeit gehörig auf den Wecker. Beide verdienten fast nichts. Aber Schubert klaute zumindest nicht und kam nicht in den Knast, auch wenn ihm oft die paar Groschen für neues Notenpapier fehlten und die Ideen für die Fortsetzung einer Sinfonie warten mussten, bis wieder Notenpapier da war. Und er hatte viele Ideen. Und musste oft warten.

Seine und die seiner klugen Kumpanen Ideen waren neu. Nicht kommunizierbar mit den seriösen Gehrock-Altherren. In den beiden Sinfonien am Freitag war viel davon zu spüren. Ihr könnt mich mal, wird Schubert sich oft gedacht haben.

Die dritte Sinfonie: Neuer Anlauf. Selbe Tonart, aber nicht mehr so systemgetreu gehorsam wie noch die erste Sinfonie gegenüber den Musikgöttern der älteren Generation. Gewiss, Mozart und Haydn waren großartig. Salieri, der Lehrer, im Adelsnetzwerk hoch geachtet. Und mit reichlich Kohle versehen. Was Du ererbt von Deinen Vätern… Okay, als Basis ganz gut. Aber die neuen Klänge eines Rossini, Buffo aus dem Süden, das gefiel dem jungen Schubert. Das war kein Wiener Schmäh. Rossini ist an allen Ecken und Enden herauszuhören, vor allem im vierten Satz. (Und auch hier wissen die Finger der Musiker ein flottes Hornhautlied davon zu singen). Aber auch, wo Wien locker war, bürgerlich, in den Beisln – das gefiel ihm. So hörte er die Klarinette – und so rückte er deren Melodien in den ersten und den zweiten Satz. Volksmusik, nicht Kunstkonstrukt. Gut, dass Beermann daraus nicht ein Klarinettenkonzert machte, wie andere Kollegen. Bürgerliche Tupfer sind das, aus dem Alltag. Ohne künstliche Allonge-Perücke.

Die vierte Sinfonie: die „tragische“, wie er sie selbst nannte. Hat mit Tragik nichts zu tun, wenig mit Tragödie. Die Jungs um Schubert wie Josef von Spaun quatschten außer über Politik und Gesellschaft auch  über Kunsttendenzen. Zum Beispiel die Dramen des Herrn Collin. Dem gefiel die neue Leichtigkeit des Seins nicht. Helden mussten wieder her, Adelige auf die Bühne, die das Herz in die Hand nahmen und – vergeblich, Gott, wie tragisch (musste sein, dass die Zuschauer nicht nur Furcht, sondern auch das von Herrn Lessing geforderte Mitleid empfanden und sich kathartisierten, sprich läuterten) – um ihre Seele und das Gute kämpften. Damit die Welt besser würde.

Und so hatte Collin seinen „Coriolan“ geschrieben, dem Beethoven (den Schubert nicht liebte, aber was soll’s, er wurde von vielen, Goethe zum Beispiel, auch nicht geliebt) eine Ouvertüre verpasste, woraufhin die Tragödie noch einmal gespielt wurde, dann war der Held endgültig weg vom Fenster. Schubert spürte die neue Zeit, die keine Helden mehr gebar, die alles schon richten würden. Wo die Menschen selbst ihrem Sehnen nachhingen, wie Novalis der blauen Blume, Heine einem geeinten Deutschland, und der Taugenichts, der Eichendorfsche (Lebens-)Künstler mit Musik im Herzen nach Italien wanderte. Dorthin, wo der Rossini so wunderbare Melodien schrieb, wie sie in „Tancredi“ jetzt auch in Wien zu hören waren.

Die „Tragische“ – eher eine ironische, wenn nicht gar satirische Verarbeitung des Collin’schen Tragödienstaubs. Ja, stimmt schon: im zweiten Satz etwa, da dräut es bisweilen heldisch, nur um ein paar Takte später locker von Liebbürgermägdelein-Meldodien abgelöst zu werden. Und am Ende? Vierter Satz. Siehe oben. Da herrscht die neue Zeit, Schubert ist Romantiker. Und die Leiden des jungen Lehrers scheinen ein Ende zu nehmen. Er verkauft sein erstes Werk, die Kantate „Prometheus“…

Schön war’s, den Philharmonikern zuzuhören, wie sie Schuberts Erwachsenwerden ausmalten. Ohne Chichi und Effekthascherei. Immer unter Spannung, aber nie übertrieben. Akzente, wo sie hingehörten (Trompeten: auf den Punkt!). Die solistischen Farbtupfer wurden gebührend gewürdigt mit Einzelbeifall: Oboe, Flöte, Klarinette. Und dann – hoppla: die Pauken. Richtig. Die klangen ganz anders, fällt uns ein. Spitzer, präziser, kein Helden-Wumm.

Jens Gagelmann freute sich über Beermanns Lob, aber zeigte sofort bescheiden (nicht ich bin’s, hier, diese Instrumente sind’s) nach unten auf seine (geliehenen) Lieblinge. Er spielte das Konzert auf zwei „Wiener Pauken“, wie sie noch nie in einem deutschen Opernhaus erklangen, wie der Solopauker der Wiener Philharmoniker versichert, der auch Inhaber der Wiener Paukenwerkstatt ist, aus der die Instrumente stammen.

Sie sind kleiner als die üblichen Kesselpauken und laufen unten spitz zu. Und das Fell wurde Ziegen, nicht Kälbern über die Ohren gezogen. Ihr Ton ist „klar und brillant, jedoch trotzdem nicht zu aufdringlich“, schwärmt Jens Gagelmann, “ideal für das gesamte klassische Repertoire von Haydn über Mozart bis Beethoven und Schubert, nicht zu vergessen unseren Namenspatron Robert Schumann“.

Was wir in unserem Chemnitzer Schubert-Sommer-Märchen nicht alles am Rande mitkriegen außer wunderschöner Musik! Eigentlich müssten die Pauken her, und in Chemnitz bleiben. Aber sie kosten fast 15.000 €. Vielleicht finden sich ja Sponsoren. Der Theaterförderverein schaut sich schon mal um…

Am Sonntag haben Sie Gelegenheit, die Wiener Pauken selbst zu sehen und zu hören. Die Robert-Schumann-Philharmonie reist nach dem Drei-Punkte-Sieg am Freitag zum Auswärtsspiel in das Straßenbahndepot der CVAG (Beginn 11Uhr).  Mit der 5. Und 6. Sinfonie wäre alles andere als eine beifallumrauschte Fortsetzung des siegreichen Schubert-Sommer-Märchens eine Überraschung…