Idylle. Aber knüppelhart

Die Bogen gleiten nicht leiser flüsternd zum Griffbrett hin und zirpen an der Spitze. Harte Abstriche und bedrohliche Tremoli in der Mitte, äußerst gekonnte wenige Bar vor dem Kratzdruck bestimmen das Geschehen.

Mit 31 stirbt Schubert. Er hat es wohl geahnt, dass seine Uhr bald ablaufen würde, als er die „späten“ Streichquartette schrieb, die das Mejo-Quartett am Montag spielte. Exzessiv, dass die Hemden nass wurden und der Schweiß buchstäblich von der Stirne rann. Und dabei hatte GMD Frank Beermann einen „idyllischen“ Abend gewünscht, als er – mittlerweile gewohnt – locker in das Konzert einführte. Kein Widerspruch! Leben! Unser Sein. In der Zeitung stehen Todes- neben Geburtsanzeigen…

Wolff Hühnerkopf war eher Wolf als Huhn. Ein harter Hund. Sonst wäre er nie so reich geworden. Aber der Annaberger Münzmeister wusste das gerade mal ein halbes Jahrhundert währende Berggeschrey auszunützen und baute sich (1555-60) das Wasserschloss in der Ebene: Idylle pur, abseits des harten Berg- und Taler-Alltags. Schubert war nie ein harter Hund. Aber bisweilen ging es ihm dreckig, mental und finanziell. Herz übervoll, Beutel leer. Sein Esterhazy-Mädchen heiratete einen reichen k&k-Hühnerkopf. Germanisten wie Emil Staiger rede(te)n von werkimmanenter Interpretation. Nicht nach rechts oder links, nur auf das Werk schauen. Musikwissenschaftler davon, warum da plötzlich ein As-Dur kommt, obwohl eine Moll-Dominante zu erwarten wäre.

Alles gut, alles Quatsch. Kümmern Sie sich nicht darum. Musiker leben. Und wenn sie Noten schreiben, schreiben sie Leben. „Wahnsinn“, sagte Chefregisseur Michael Heinicke („je älter ich werde, desto mehr liebe ich diese höchste Form der Streichquartette“)  in der Pause im Gespräch, „was der taube Beethoven in seine späten Streichquartette hineinschrieb“. Stimmt. Schubert ging es nicht anders. Auch wenn er nicht taub war. Und die Vögel idyllisch zwitschern hörte, wie wir, als im zweiten Teil des Konzerts, ausgerechnet bei „Tod und das Mädchen“ die Vögel durch die endlich geöffneten Schlossfenster lustig hineinsangen.

Hartwig Albiro, der eben seine geliebte Frau verloren hat, las nicht nur Härtlings Schubert, sondern auch Matthias Claudius‘ „Tod und das Mädchen“. „Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,/ sollst sanft in meinen Armen schlafen“, heißt es dort am Schluss. Und das Quartett setzt ein und spielt Schuberts Dreier-Auftakt (Achtung: Beethoven, 5.!) wie aus der Hölle. Hart kompromisslos. Nichts ist sanft in der Musik an diesem Abend. Die Mejos entschieden sich für die ganz harte Linie.

Hart und kompromisslos war auch der Namenspatron des Quartettes, Wilhelm August Mejo. Als er 1833 Chef der Städtischen Kapelle in Chemnitz wurde, musste er um jede Mark fighten. Auch in Biergärten, von denen es damals in Chemnitz viele gab. Seine Musiker wurden von anderen Kapellen abgeworben, wenn sie mehr zahlten. Aber Mejo setzte auf Qualität. Ließ die Warmduscher gehen. Und baute knallhart ein Orchester auf, das weitab das Beste war. Und heute Robert-Schumann-Philharmonie heißt.

Die Mejos heute haben sich vor etwa drei Jahren zusammengefunden – keine Konkurrenz zu den Kollegen, die unter dem Namenspatron der Robert-Schumann-Philharmonie früher als Konzert-Meister-, heute als Robert-Schumann-Quartett segeln, eher Ergänzung. Und ebenso begeistert von Musik und von ihrer Stadt. Katarzyna Radomska und Benjamin Fuhrmann, Violinen, Ulla Walenta, Bratsche, Thomas Bruder, Cello – das Mejo-Quartett schenkte sich an diesem Abend nichts. In dem kleinen idyllischen Saal mit den Freskenresten an den Wänden stand die Luft, die Feuchtigkeit trieb bei gefühlten 80 Prozent den Schweiß aus den Poren.

Und ausgerechnet hier dieses ungemein schwierige G-dur-Quartett, mit seinen Tremolo-Teppichen, Teufels-Triolen und Blitz-Einwürfen – höchste Konzentration, perfekte Übereinstimmung. Die Ecksätze von „Der Tod und das Mädchen“ rasend schnell, atemlos, hart. Kein Ausruhen oder gar Schwelgen beim sanglichen Seitenthema im ersten Satz, erst recht nicht bei den Variationen über das Thema im zweiten Satz, das dem d-Moll-Quartett den Namen gab.

„Boaah“, entfuhr meinem Nachbarn am Schluss die Erleichterung nach dem Mitkämpfen, zu dem das Hören längst mutiert war. Jeder war dabei. Sekunden Stille, dann prasselnder Beifall. Laut. Dröhnend.

Und draußen Schloss und Schlosshof in idyllischem Licht, leise, die Luft lau.  Ein Abend der Kontraste, spannend wie das Endspiel. Aber Fußball ist ja vorbei… Schubert gibt’s noch: heute (Villa Esche), morgen Stadthalle.

Vom musikalischen Lebenskampf hinaus in die Idylle des Schlosshofs