Hell die Gläser klingen

Arme Callas. Die hat alles erreicht, was eine Sopran-Diva erreichen kann. Sie hat die Wahnsinns-Arie wahrscheinlich hundertmal gesungen – aber nie im Original. Denn das hat Donizetti für eine Glasharmonika als Begleitung geschrieben. Aber der Solist der ersten Aufführung streikte – wohl weil er zu wenig Geld bekam. Seither wurden die Sopranistinnen immer von einer Flöte begleitet – auch die Callas.

Nicht so Guibee Yang in der wunderbaren Chemnitzer „Lucia“. Denn 1983 hat der Instrumentenbauer und Solist Sascha Reckert das Verrophon erfunden – eine moderne Form der Glasharmonika. Die französisch – griechische Wortneuschöpfung (verre frz. Glas, phonein griech. klingen) bezeichnet ein Instrument, das aus verschieden langen Glasröhren besteht, die genau aufeinander abgestimmt sind. Der Spieler bringt mit feuchten Fingern über den Rand streichend die überdimensionierten, unten abgeschnittenen Reagenzgläser und die Luftsäulen zum Klingen – geheimnisvolle orgelähnliche Töne kommen da raus, die ein ganzes Opernhaus füllen und selbst ein Orchester übertönen können.

Das konnten die Zuhörer am Sonntagmorgen selbst erleben, die Geschichten dazu erzählte Carla Neppl, kluge und wissende Musikdramaturgin, die einen sonnigen Sonntagmorgen launig und locker moderierte. Die Verrophone spielten der Erfinder Sascha Reckert höchstselbst (der auch die Chemnitzer Lucia in der Oper begleitet) und sein international hochgeschätzter Kollege (es gibt da vielleicht nur eine Handvoll Profis auf dem Instrument) Philipp Alexander Marguerre.

Diese Matinee-Konzerte sind eine gute Idee. Da geht es nicht etepetete zu, Eltern kommen mit ihren Kindern, und auch Bettflüchtlinge jeden Alters erleben einen bunten Musiksonntagvormittag. Die Profis von der Robert-Schumann-Philharmonie (einige davon haben wir am Vorabend bei der fantastischen Turandot-Aufführung im Graben gesehen – Sascha Reckert: „Diese Aufführung war Weltklasse“) wissen allerdings, was sie ihrem Ruf schuldig sind. (Und verfluchen insgeheim wohl die Programmmacher, denen zum Warmspielen oft nichts Gescheiteres einfällt als ein flotter Mozart, wo doch die Finger noch gar nicht locker genug sind für die schnellen Sechzehntel-Läufe… Diesmal spielten sie die Ouvertüre zum „Schauspieldirektor“. Und Stefan Politzka, der Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung, wie der Job offiziell heißt, zeigt, wenn er denn schon mal ans Pult kommt, dass er Tempo liebt.)

Moderatorin Carla Neppl, der amerikanische Komponist Garry Eister, Verrophonist Philipp Alexander Marguerre, Stefan Politzka und die Robert-Schumann-Philharmonie

Garry Eister, Komponist aus dem warmen Süd-Kalifornien, mag das. Er war extra zu der Aufführung seiner „Music for New Years’s“ nach Chemnitz gekommen – und gratulierte Politzka, den Musikern und den Verrrophon-Solisten, wie toll sie sein Werk gespielt hätten. Und verriet am Rande („it’s always the same“), dass er eigentlich nur komponiert hat, wie die Dame des Hauses nicht fertig wird im Bad, während der ungeduldige Mann schon vom Silvester-, Neujahr- oder sonst einem Ball träumt…

So was hätten Carl Maria von Weber oder Anton Reicha natürlich nie komponiert. Da heißt es dann im Programm lieber „Adagio e Rondo für Verrophon und Orchester“ (auch wenn es zu Webers Zeiten das Verrophon noch gar nicht gab. Er schrieb für ein Harmonichord…), oder „Grand solo pour harmonica avec l’accompagnement de l’orchestre“ (Reicha). Alles gut. Himmlische Romantik mit Sphärenklängen. Zum Reinlegen, wenn die SamstagaufSonntagnacht zu kurz war…

Schön, dass bei den Matineen auch Werke erklingen, die man sonst kaum oder nie hörte: diesmal spielten die Philharmoniker „Vier norwegische Impressionen“ von Igor Strawinsky, rhythmisch vertrackte kurze Stücke und für die Holzbläser nicht gerade Finger-Spaziergänge, oder Benjamin Brittens und Lennox Berkeleys Gemeinschaftskomposition „Mont Juic“ mit der ergreifend gedämpften Erinnerung an den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs. Dafür waren die anderen Sätze, baskische Tänze, desto holderdipolterlustig.

Höhepunkt, kein Zweifel, war die Wahnsinnsarie. Guibee Yang und Sascha Reckert gemeinsam auf der Bühne (Reckert ist bei der Opernaufführung links versteckt hinter einer Gaze) – wunderbares Zusammenspiel, das Bild aus der Oper ist sofort vor dem geistigen Auge. Wie Guibee Yang ihren Spitzenton zum Schluss so unfehlbar klar traf – das machte einen sonnigen Sonntag noch sonniger.

Das Publikum dankte herzlich. Mit langem, langem Sonntags-Applaus. Und Felix Bender, der komm. Philharmoniker-Chef, diesmal wie Du und ich im Publikum, klatschte fröhlich mit.