Heimspiel.

Non plus ultra heißt etwa „Bis hierhin geht’s und nicht weiter“. Jahrhundertelang galten die Säulen des Herakles, der Felsen von Gibraltar und der gegenüberliegende Berg in Marokko, als Ende der Welt. Doch dann machten die Spanier sich auf, das „Ende“ zu überwinden, Neues zu entdecken. „Plus ultra“ steht jetzt an den Säulen im Wappen – „es geht weiter, drüber hinaus“.

Dass die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie Wagner, Verdi und Strauss können – und vieles anderes mehr, haben sie oft bewiesen. Spanische Luft haben sie schon in zwei Tourneen geschnuppert. Aber im 10. Sinfoniekonzert gehen sie noch einen Schritt weiter über die Grenze. Sie spielen, als seien sie auf der iberischen Halbinsel aufgewachsen.

Noch nach zweieinhalb Stunden lassen die Streicher ihre Springbögen im Abstrich so synchron hüpfen, als sei das nicht eine Sache der Technik, sondern des Herzens. Konzertmeister Hartmut Schill, auch schon mal Wagner-Pädagoge in Japan, spielt seine Soli in Joaquín Turinas Sinfonia sevillana, als atme er täglich die südspanische Luft. Claudia Schöne spielt mit ihrem Englischhorn-Solo im zweiten Satz des Concerto de Aranjuez dem Gitarre-Solisten Rafael Aguirre so in die Hände, dass jeder spürt, warum diese spanische Melodie die ganze Welt erobert hat. André Schieferdecker schlägt die Kastagnetten, dass es spanischer nicht klappern kann, und selbst Jakob Brenner *) gewinnt dem Glockenspiel Sonnenlichtseiten ab, die gar nicht zauberflötig klingen.

Die harschen Herren vom sonst am ganzen Abend strahlenden Blech hören gebannt zu, wenn Aguirre seine Gitarre in der zweiten Zugabe nicht nur klingen lässt wie zwei Instrumente (hätte er, erzählt er in prächtigem Deutsch, diesen Jota, den nordspanischen Tanz, nicht als Achtjähriger gehört, wäre er heute zum Kummer der Mutter wahrscheinlich in Moskau – als Fußballspieler), sondern auch wie eine zirpende Mandoline oder zithernd wie aus dem „Dritten Mann“. Von der großen Trommel über die Glocken bis zu den Harfen – was für reißend reizende Musik voller Dynamik, Rhythmik, Pracht und Melancholie boten die Musiker der Schumann-Philharmonie von Emmanuel Chabriers grandioser España-Rhapsodie zu Beginn bis zu den vier Sätzen aus Isaac Albéniz‘ Spanischer Suite in der farbenprächtigen Instrumentierung von Rafael Frühbeck de Burgos zum Schluss.

Guillermo García Calvo muss nicht auf Teufel komm raus Effekte produzieren – kann lässig auch in einer „spanischen Nacht“ auf übliche Hammerglanzstücke wie Bizet-Toreros oder Ravel-Boleros verzichten. Er wagt es sogar, der ohrwurmigen Aranjuez-Gitarre die hochsubtile Giraldaharfe gegenüberzustellen. Einerseits undankbar dieses Stück, ebenfalls von Joaquín Rodrigo, weil es so wenig pfefferig wirkt, andererseits musikalisch wohl das feinste des ganzen Abends. Und Heike Scheibe, die Solo-Harfenistin der Robert-Schumann-Philharmonie lässt all die kleinen Schönheiten funkeln, die schlichten Akkorde, die rauschenden Arpeggien. Große Leistung, zurecht beklatscht von den Kollegen.

Guillermo García Calvo ist kein Dirigent, der Schemata liebt, der heute dirigiert, fast auf die Sekunde genau, wie gestern. Er hört, große Gabe bei großen Dirigenten, zu. Und hinein in sein Orchester. Und verstärkt dann Impulse, die die Profis an den Instrumenten loswerden wollen, wenn’s denn passt. Er liebt Präzision, schaut dem Solisten auf die Finger, und der Tutti-Einsatz klappt hundert pro. Er lässt sich auch von sich mitreißen – springt hoch und landet in einem fantastisch einhelligen Schlussschlag. Er braucht keine großen Gesten, wenn er spürt, dass alles klingt, ist sich aber auch nicht zu schade, einzelne Motive gestisch herauszustellen. Und er hat Achtung vor seinen Musikern. Wann lässt ein Dirigent schonmal die Bratschengruppe geschlossen aufstehen, um Beifall zu kassieren. Das oft unterschätzte Mittelfeld…

Heimspiel des Spaniers in Sachsen. Mit Sachsen. Und Fans, die ihn schon nach einer Spielzeit lieben. Heimsieg. Aber nicht „Non plus ultra“. Nur „Plus ultra“. Da will einer mit seinen Musikerfreunden noch mehr. Wir dürfen gespannt sein auf die nächste Spielzeit.

*) soory, falsch. Die Ehre gebührt Stefan Politzka, wie Jakob Brenner auf Facebook mitgeteilt hat