Guillermo García Calvo: Angekommen. Aufgenommen.

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die mehr sagen als tausend Worte. Gemeint ist nicht der kleine obligatorische Blumenstrauß am Schluss für den Dirigenten. Zum Start hätte es schon mal was Größeres sein können. Nach dem in Harmonie verklingenden Happy-End der Strauss’schen „Frau ohne Schatten-Fantasie“ prasselt der Beifall los. Der „Neue“ dreht sich zum Orchester und zollt seinen Musikerinnen und Musikern Beifall. Der Mann, der mehr als 200 Mal im Graben der Wiener Staatsoper stand, weiß, was dieses (Opern- und Konzert-)Orchester an diesem Abend geleistet hat. Er kennt die Tücken und (technischen) Schwierigkeiten auch der anderen Strauss-Komposition („Vier sinfonische Zwischenspiele aus der Oper ‚Intermezzo‘“). Er schüttelt dem Konzertmeister Hartmut Schill die Hand. Mehrfach. Streicht ihm freundschaftlich über den Arm. Und der erwidert die ungewöhnliche Geste. Orchester sind eine Macht. Nach wie vor. Aber die Dirigenten von heute sind nicht mehr Zuchtmeister und Stabzaren wie einst Herbert von K. Sie wissen, wer zuerst den Stab über sie brechen kann. Und wem sie Erfolg oder Misserfolg zu danken haben.

Der gebürtige Spanier Guillermo García Calvo ist 39. Ein Grande vom (nicht vorhandenen) Scheitel bis zur Sohle. Kommt schon zur Einführung im Foyer der Stadthalle im Frack und mit perfekter Schleife. Und haut in die Tasten. Buchstäblich. Auch zupacken kann der Mann.

Guillermo García Calvo dirigiert zurückhaltend, wenn auch höchst beweglich. Die große Cäsaren-Geste liegt ihm nicht. Aber er weiß ganz genau, wann er die Hörner (klasse, alle vier an diesem Abend) glänzen lassen will/muss, wann die Flöte über dem Klangwald jauchzen oder große Trommel und Paukenbatterie (Frau ohne Schatten, Schluss) den Dräu-Ton raushauen müssen. García Calvo gestaltet mit seinen Händen auch ganze Melodiebögen mit – nicht nur bei den ersten Geigen oder der Flöte, sondern auch bei Bratschen oder dem tiefen Holz. Als ob er die Sänger auf der Bühne trüge, schmeichelt er mit dem Handrücken der linken Hand, wie die Töne wiegen sollen. Er fordert leise, aber eindringlich noch mehr Gefühl, Ton, Klang, wenn die Streicher schon in der gefühlt 57. Lage alles geben. Dann wieder sorgt er für höchst präzise Peitschenknall-Akkorde (Lalo!) des ganzen Orchesters. Machen wir’s kurz: Lalo hat nach der Uraufführung seines Cello-Konzerts an Sarasate, den berühmten Geiger und Freund, geschrieben: „Es gab zwar keine groben Schnitzer, aber es fehlte an Präzision, Rhythmen waren falsch und das Ganze war zu laut.“ Nichts davon am Donnerstag in Chemnitz. Lalo hätte an Guillermo García Calvo und der Robert-Schumann-Philharmonie seine helle Freude gehabt.

Und an Andreas Brantelid, dem 30jährigen Cellisten mit dänisch-schwedischen Wurzeln. Auch Brantelid gibt sich nicht als Starprotz. Er holt raus, tief drunten auf der C-Saite, was sein Stradivari-Instrument hergibt, er spielt wunderbar reine Doppelgriffe (was für ein Genuss, auch später bei der Bach-Sarabande als Zugabe), seine flinken Finger scheinen bei halsbrecherischen Läufen mit der Bogenhand wie „digital“ vernetzt, und ganz weit oben, in Violinhöhen, schwelgt er noch in angenehmem Klang. Ganz unprätentiös. Kein Wunder, dass er ausgerechnet die deutsche Geigerin Veronika Eberle als Kammermusikpartnerin gewählt hat. Wir erinnern uns zurück an das Brahms-Konzert vor zwei Jahren in Chemnitz. Da haben sich zwei musikalisch gesucht und gefunden…

Nicht viele Theater mögen „Genoveva“, Schumanns Oper. Schön, dass Guillermo García Calvo dem Namensgeber der Philharmonie und deren Musikerinnen und Musikern mit der „Genoveva“-Ouvertüre zu Beginn seines ersten Sinfoniekonzerts Reverenz erweist. Harnoncourt liebte diese Oper. Er wusste warum. Und Guillermo García Calvo hat diese Ouvertüre auch nicht ausgesucht, weil Schumann sie in den ersten Apriltagen vor genau 170 Jahren – noch vor der Oper – selten! – niedergeschrieben hat. Was für eine klare Schichtung und Struktur, was für bewegend schöne Momente in den Übergängen, was für grandiose Tutti-Knaller: da kann ein Orchester wirklich zeigen, was es draufhat. Mag die Geschichte der Gräfin Genoveva im Straßburg vor 1400 Jahren noch so kitschig sein, die Musik, gerade die Ouvertüre, ist ganz großes musikalisches Kino. Die Robert-Schumann-Philharmonie schien heller zu klingen als sonst, und be-herrschter im wahren Wortsinn.

Der Abend hat große Momente gebracht: die Pizzikato-Episode zur Cello-Melodie etwa im zweiten Lalo-Satz, auch verrückte: das Klavier-Kartenmischen im „Intermezzo“, strahlende: das Blech zum Kulminationspunkt in der Frau-im-Schatten-Schatten-„Fantasie“ – viele weitere.

Wagner liebe er, sagt Guillermo García Calvo. Am 3. Februar wird er zum Auftakt des „Rings“ die „Rheingold“-Premiere dirigieren. Vorher, am 2. Dezember, erleben wir den GMD mit seiner Philharmonie beim Wagner-Antipoden Verdi mit dessen „Maskenball“. Wenn die beiden Strauss-Kompositionen von diesem Abend Lust auf mehr Strauss machen – den „Rosenkavalier“ leitet großartig Felix Bender. Der GMD widmet sich derweil dem anderen Strauß („Fledermaus“, Heimspiel für den Halbwiener García Calvo in Sachsen! – Premiere am 2. Juni 2018). Im Dezember, Februar und April macht der GMD auch die Sinfoniekonzerte – wir freuen uns drauf. Nach diesem Einstand am Donnerstag erst recht. Ein Einstand nach Maß für den neuen GMD. Er ist angekommen in Chemnitz. Und wärmstens aufgenommen.