Wunderbarer Abschluss des „Tages der deutschen Einheit“ für die Chemnitzer, Erzgebirger, Muldentaler, die sich nicht fremdschämen wollten in Dresden oder mit Tagesschau und „heute“ wegen der Dummdödel, die Sachsen vor aller Welt wieder einmal blamiert haben.
Auch Beethovens Neunte weiß, dass es nicht nur Goldglanz gibt auf der Welt, sondern auch viel Blech und Dissonanzen. Die ersten drei Sätze hadern damit (bis in den Beginn des Finales). Doch dann hat Beethoven die Kraft, mit Schiller das schönste Geschenk in Musik zu fassen, das freiheits-, liebes- und friedenhungrige Menschen auf allen Kontinenten ersehnen: Freude zu haben am Leben. Die Amerikaner haben das „pursuit of happiness“, das Streben nach Glück, in der Verfassung verankert. Die UNESCO hat Beethovens Neunte zum Weltkulturerbe erklärt.
Die Neunte am Tag der deutschen Einheit in der Chemnitzer Oper (könnte schöne Tradition werden) – das ist nicht nur ein musikalisches Ereignis. Aber was da geboten wird, muss gut sein. Erst recht. Verhunzte Beethoven Neunte-Fragmente hören wir jeden All-Tag. Dreck. Nicht Feiertagsglanz.
Wir haben einen Felix Bender erlebt, der seine Aufgabe sehr ernst anging, feierlich fast. Andere Körpersprache als sonst. Nicht das Lächeln über jede gelungene Phrase. Effekte vermeiden. Graben, was hinter den „Gemälden“ steckt. Viel langsamer als Beermann im Beethoven-Zyklus damals. Beermann hatte die Neunte geisterreitend zum Jubel gepeitscht, Bender führte durch den beschwerlichen Weg der Ebene in den ersten drei Sätzen zum Glücks-Finale. 26 Jahre Einheit.
Was nicht heißt, dass da nicht mit Kraft im Orchester gekämpft wurde – Jakub Tylman verlor dabei sogar eine Saite (und sein Instrument). A propos: Tylman ist Tscheche. Viele Nationalitäten sind in der Robert-Schumann-Philharmonie vertreten. Eine ganze Reihe der Musiker kommt aus dem „Osten“. Auch für sie, gerade für sie?, ist dieser Tag etwas Besonderes. Die friedliche Revolution in Deutschland hat auch ihnen Freiheit gegeben. Eisernen Vorhang gibt’s immer von zwei Seiten. Man meinte, es zu spüren.
Die Bühne war rammelvoll (leider der Zuschauerraum nicht). Mehr als 200 Sänger und Musiker. Besonders schön: Neben dem Opernchor, der Singakademie und dem TU-Chor waren auch mehr als 40 Sänger vom Musikverein der Partnerstadt Düsseldorf gekommen (am Rande: die Chemnitzer Stadtspitzen hätten es nicht so weit gehabt…). Doppeltes Heimspiel für einen großen Chemnitzer Theatermann unter ihnen: Karl-Hans Möller. In der dritten Männer-Reihe stand der langjährige Chefdramaturg, der heute mit seiner Frau Ulrike Kölgen in Düsseldorf lebt, wo seine Mutter geboren wurde. Im Bass. Und sang, begeistert, offensichtlich fast auswendig. Und wurde „nicht müde, meine Freude über die festliche partnerstädtische IX. (Beethoven) und meine Wut über die kakophonische Störung aus Dresden zu teilen!“, wie er wenige Stunden vor dem Konzert aus dem „Mercure“, wo die Gastsänger untergebracht waren, auf facebook postete.
Gar nicht so leicht, einen solchen Riesenchor zusammenzuhalten. Noch schwieriger, bei den Riesenentfernungen zwischen Streichern und obersten Chorreihen Kontakt zu halten. Nehmt einfach Felix Bender! Der schafft das (zumeist). Bei Studioaufnahmen kann man da noch ein bisschen mehr spielen, kann sanglicher agieren. Und wird dabei (oft) steriler. Hier war Glut. Und da kann‘s auch mal knistern.
Guibee Yang und Tiina Penttinen haben die Neunte nun schon oft (auch in Chemnitz) gesungen. Beide in (unterschiedlichem) Rot diesmal. Strahlend glänzend der Sopran, elegant zurückhaltend schick der Alt. Guibee Yang weiß genau, wie sie Töne ansetzt. Auch das doppelte hohe himmlische „h“. Die Südkoreanerin (von Geburt) passt sich so wunderbar in die deutsche Musik und Sprache ein, sie singt unprätentiös, weiß, wann sie ohnehin dominiert – und lässt jeden Druck und jedes Primadonnengehabe einfach weg. Tiina Penttinen ist die ideale Besetzung für die Neunte, nicht nur, weil sie die Partie so innig drauf hat. Die Finnin kann mit Beermann und Bender, mit Julia Bauer und Guibee Yang – und die beiden, die Südkoreanerin und die Finnin, am Tag der DEUTSCHEN Einheit, atmeten am Montag blind und gleich wie Zwillinge. Beide dienen der Musik – keine will der anderen die Butter vom Brot nehmen. Das Publikum liebt sie. Sie zeigen uns, was Verstehen heißt…
Magnus Piontek ist seit dieser Spielzeit Solist in Chemnitz. Der Bass hat immer die unangenehme Einleitung zum großen Finale: o Frohäunde… Was schmieren da oft die Kollegen. Piontek ging es locker an, unaufgeregt, obwohl die Tonfolgen dieser „Einführung“ so gar nicht leicht für die Stimmbänder und das Steuergedächtnis komponiert sind. Wir haben ihn schon bei Puccini erlebt und freuen uns auf viele weitere Auftritte. Jan Novotny, auch facebook-Fan, postete nach der Aufführung „Es war ein tolles Gefühl, die IX. von Beethoven an der Chemnitzer Oper zu singen!!! I’m happy!!!“ Seine Noten brauchte er nicht. Er lebte sein Glück aus…
Noch kaum ein Wort zur Robert-Schumann-Philharmonie? Sie ist einfach wunderbar. Spielte Bender in die Hände und folgte wiederum jedem noch so kleinen Wink. Bender hatte die Bratschen nach rechts gesetzt – die Tiefen betont (ist – Ausnahme dritter Satz – sehr sinnvoll). Desto mehr konnte im Finale der Götterfunke zünden.
Tag der deutschen Einheit. Macht Euch nichts draus, wenn Ihr nicht in Dresden wart. Die Neunte in Chemnitz. Der Götterfunke. Wunderbarer Abend.