Gaudeamus igitur

Valeriy Sokolov, der „Geiger der Seele“ aus Bruno Monsaingeons Film „Un violon dans l‘ âme“ (2004), schaffte es (im wahren Wortsinn) spielend, das Publikum in einen kollektiven Freudentaumel zu versetzen. Das Tschaikowsky-Konzert, anfänglich von den prominenten Solisten der Zeitgenossen für zu schwierig gehalten, spielt heute jeder große Geiger. Sie packen deftig zu, wie einst Vater Oistrach oder auch die junge Anne-Sophie Mutter. Oder sie spüren der Seele dieses wunderbaren Konzerts nach wir Sokolov, der junge, gerade mal 33-Jährige, der diesen Tschaikowsky auch schon mit dem Tonhalle-Orchester Zürich aufgenommen hat.

Sokolov zeichnet sich aus durch einen traumhaften Ton aus einer wunderbaren Geige, die mühelos den großen Saal der Stadthalle füllt. Sokolov haut nicht rein. Und trotzdem strahlt er schon bei den ersten Tönen in der Tiefe eine Stärke aus, die Staunen macht. Technisch ist er ohne Fehl und Tadel. Und wenn er, nach halsbrecherischen, besser fingerbrecherischen Läufen ganz oben ankommt, ganz am Ende des Griffbretts, setzt er den hohen Zielton unten so treffsicher und schön in einem Flageolett an, dass man meint, die Engel sängen. Seelenmusik. Beseelte Musik.

Der ukrainische Geiger vermittelt wie wenig andere, dass Zartheit von innerer Kraft sprechen kann. Er übertreibt nicht mit dem Vibrato, scheut sich auch nicht vor sonst verpönten leeren Saiten (herrlich das „pure“ D in der d-moll-Partita von Bach, eine traumhafte Zugabe), er singt mit seiner Geige, nicht nur in der Canzonetta, dem 2., langsamen Satz. Und er beherrscht das Orchester auch dann.

Das gelingt nur, wenn die Kollegen im Orchester nicht ihr eigenes Ding erjagen, sondern erfühlen wollen, was Komponist und Solist zu sagen haben. Und wenn der Geiger einen seelenverwandten Dirigenten wie Ramón Tebar neben sich hat. Seit der Spanier Guillermo García Calvo GMD in Chemnitz ist, erleben wir einige Dirigenten von der iberischen Halbinsel als willkommene Gäste. Tebar kann, wenn’s sein darf, schon mal in einen Akkord hineinspringen, dass es knallt, aber was ihn auszeichnet ist die mitfühlende große Geste selbst in höchst sentimentalen Momenten. Und die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie folgen ihm sensibelst.

Kein Wunder – Sternstunden des Orchesters in den mit vielen Soli gespickten Farbgemälden von Rachmaninows „Sinfonischen Tänzen“. Welche Stimmungen kann dieser Orchestrier-Meister zaubern – mit Saxophon und Glockenspiel, mit Harfe und Oboe, mit Gong und großer Trommel, mit Klarinette und Glocken. Herrlich die Holzbläser, glänzend Trompeten und Posaunen. Und tolle Streicher, denen man gar nicht anmerkte, welche technischen Schikanen Rachmaninow in ihre Parts hineinkomponiert hat.

„Alleluja“ ist der Schluss der „Sinfonischen Tänze“ überschrieben. Und während noch leiser und leiser der Schluss-Gong verklingt, erinnern wir uns an Brahms und sein „Gaudeamus“ vom Anfang. Freude überall, igitur. Riesiger Beifall.