Gar nicht einsam

Einer, der in Chemnitz seine große Karriere begann, ist an der neuen Produktion nicht unbeteiligt: Michael Thalheimer, der 1997 in Chemnitz mit Fernando Arrabals „Der Architekt und der Kaiser von Assyrien“ als Regisseur debütierte und damit seinen ersten großen Erfolg feierte, hat den Hauptmann-Text bearbeitet – die Arbeit eines Theatermannes durch und durch, der weiß, worauf es heute ankommt.

Denn Gerhart Hauptmanns Einsame Menschen entstand 1891 in einer Zeit des industriellen und kulturellen Wandels, in der gesellschaftliche Positionen und soziale Systeme im Um- und Aufbruch waren. Anders als heute. Und doch wieder so ähnlich. Die mit solchen Brüchen verbundene Verunsicherung und notwendige Neuorientierung trifft auch heute die Betroffenen und vor allem ihre Familien.

Die Familie: Ein Refugium. Ein wärmender Schutzraum, ein Bollwerk in Zeiten des Leistungsdrucks. Ein Ort des Rückzugs und der Geborgenheit. Doch die Familie, das ist auch: Enge. Unfreiheit. Ein Nährboden für tiefe Verletzungen. Mit Gerhart Hauptmanns Einsame Menschen spürt Regisseurin Nina Mattenklotz der Entstehung von Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit, von Sprachlosigkeit und Vereinzelung im nächsten Familienkreis nach.

Dabei scheint das Glück von Johannes und seiner Frau Käthe zunächst recht idyllisch: eine junge Familie, der Sohn ist gerade geboren – doch die Freude will sich nicht einstellen. Johannes steckt mit seiner Arbeit in einer Schaffenskrise. In Käthe findet er nicht die Partnerin, mit der er darüber reden könnte. Käthe wiederum steckt in einer tiefen Kindbettdepression – ein Tabuthema unserer Gesellschaft. So kann auch sie darüber nicht reden. Die Eltern von Johannes versuchen mit aller Kraft die Fassade der guten Familie aufrecht zu halten. Doch mehr als hilflose Versuche, die brüchige Beziehung mit guten Ratschlägen und alten Floskeln zu kitten, bringen sie nicht zustande. Eines Tages steht überraschend die junge und emanzipierte Studentin Anna Mahr vor der Tür, die auf der Durchreise nach Zürich Johannes‘ Freund, den Maler Braun, besuchen will. Johannes bittet sie zu bleiben. Schnell erweist sie sich für Johannes als wichtige Gesprächspartnerin, eine ersehnte Verwandte des Geistes. Doch anstatt Anna als Eindringling zu betrachten, als konkurrierende Frau, die die Familienidylle zu bedrohen scheint, untersucht Mattenklotz mit ihr den „Einbruch des Fremden“ und so auch die Möglichkeit, alte Lebensformen zu hinterfragen und neue auszuloten.

Einsam im Publikum ist morgen garantiert niemand… Aber es gibt noch Restkarten. Nichts wie hin!