Fortississimo – Beermann lässt’s krachen

Denn er wusste genau, was er tat… Bei der Einführung vor dem Konzert (macht der Maestro gern selbst) bereitete er schon leise vor, was da kommen würde: Vor einem Meer von Weihnachtssternen am Himmel des Stadthallenfoyers standen Hunderte, denen noch das Weihnachtsgedudel von tief vom Markte in die Gehörgänge tropfte – und er wollte Chatschaturjans „Gefühl der Freude und des Stolzes auf unser großes und mächtiges [sowjetisches, d.A.] Vaterland“ vermitteln, russische Prachtschinken und Wodka, nicht Plätzchen und Glühwein. „Es ist doch noch gar nicht Weihnachten…“

Beermann und Chatschaturjan – das verspricht wieder eine Erfolgsgeschichte zu werden. Beermann, der Wiederentdecker, hatte herausgefunden, dass es außerhalb der ehemaligen UdSSR noch keine Einspielung aller Sinfonien des armenischen Komponisten gab. Keine Frage: den cpo-Managern, die mit Beermann und der Robert-Schumann-Philharmonie schon einmal einen Klassik-Echo gewonnen hatten, gefiel die Idee. Sie werden eine CD machen. Und auch Deutschlandradio Kultur war sofort mit dabei. Und so hörten am Donnerstag nicht nur Hunderte in der Stadthalle, sondern auch Tausende auf tristdunkelnassen Autobahnen und nochmal Tausende Dudelfeinde in ihren Wohnstuben prachtvoll strahlende Musik – aus Chemnitz, ausgerechnet, dem Tor zum erzgebirgischen Weihnachtsland. Damit hatten wohl die wenigsten gerechnet. Werbung at its best…

Vor dem Erfolg die Mühen der Ebene: Krieg mal in der Adventszeit 15 zusätzliche Trompeter zusammen, wie sie in Chatschaturjans 3. Sinfonie gefordert sind. Überall sind sie bei Proben oder Aufführungen und trompeten das Weihnachtsoratorium (Nicht vergessen: in Chemnitz morgen in der Schlosskirche, Kantaten 4-6, und am 4. Advent in der Kreuzkirche, 1-3). Leipzig, Dresden, Berlin, sonstwoher Freie, sogar ein Japaner dabei, der gerade in Deutschland ist. Und dann muss am Montag nach der Probe auch noch Ersatz dahergeschafft werden. Auch lungengewaltige Trompeter müssen vor Grippe-Viren kapitulieren… Raymund Kunze, der Orchesterdirektor, bekam glühende Ohren am Telefon. Aber schließlich hat alles geklappt.

15 Trompeter plus drei eigene im Orchester, plus drei Posaunen und Tuba, plus vier Hörner – heilig’s Blechle, da hatten sogar die fünf (!) Schlagzeuger Mühe, sich durchzusetzen. Und die beiden armen Harfenistinnen erst… Und dann auch noch volle Pulle die große Stadthallen-Orgel dazu. Klangrausch ohne Ende. Chatschaturjan, 3. Sinfonie. Merken! Die hören wir nicht mehr oft.

Was da musikalisch abging an diesem fantastischen Abend der Robert-Schumann-Philharmonie, ob Sonate oder nicht, ob Kakophonie (wurde Prokofjew nach seinem ersten Klavierkonzert vorgeworfen) oder Gassenhauer-Harmonie (für Schostakowitsch-Motive), was sich die drei russischen Komponisten vor, unter und nach Stalin gedacht und auf die Notenblätter notiert haben, das hat Carla Neppl wieder mal so kenntnisreich wie unterhaltsam und lehrreich im Programmheft vermerkt. Verzichten wir deshalb heute drauf. Weil das Konzert auch ein Event war, wie das heute ganz unrussisch so heißt.

Hartwig Albiro, verdienter Chemnitzer Ex-Schauspieldirektor, zuckte beim Säbeltanz (Chatschaturjans 3. Gajaneh-Suite mit demselbigen eröffnete den Abend) mit den Füßen. Einstmals, erinnerten er sich, und seine Zuckfüße ihn, tauchte auch der später große Albiro erstmals in einem Programmheft auf. „Ein Hirte“, hieß es da, „Hartwig Albiro“. Das war 1951. In Altenburg. Da wurde das ganze Ballett Gajaneh aufgeführt. Und es gab zu wenig männliche Tänzer. Da mussten eben auch die jungen Schauspieler ran. Der Säbeltanz – da erinnern wir uns doch gleich auch an Lieselotte Pulver, wie sie sich in Billy Wilders Film „Eins, zwei, drei“ zum Säbeltanz auf dem Tisch verrenkte.

Vielen DDR-Geborenen klingen Schostakowitsch und Chatschaturjan ganz anders in den Ohren als geborenen Wessis – Gespräche beim Pausensekt… Hochgelobt und verboten. Frech voran und angepasst – Komponistenleben im Kreml-Schatten. Auch das schilderte dieses Konzert am Donnerstag!

Stars des Abends waren die Musiker der Robert-Schumann-Philharmonie. Prachtvolles Orchester. Zeigte einmal mehr den Chemnitzern, den Radiohörern und später den CD-Genießern in aller Welt, was dieses Orchester kann, dessen Wurzeln bis 1833 zurückreichen.

Star war Herbert Schuch. Schon vor eineinhalb Jahren hat der gebürtige Rumäne uns begeistert, mit dem Ravel-Konzert für die linke Hand, und mit dem Ullmann-Konzert, für das er zu Recht den Echo-Klassik bekam. Wieder traute er sich (auswendig) an einem Abend an zwei Konzerte. Das machen wenige Solisten. Zuerst der rhythmisch vertrackte Prokofjew. Schuch wob die Farben in den Orchesterteppich – als gehörten sie immer dorthin. Und Im ersten Schostakowitsch-Konzert (für Klavier, Trompete und Kammerorchester) zeigte er nicht nur beherrschte, aber explosive Kraft, dass man meinte, der Flügel bärste gleich, sondern (seine Stärke!)  parlierte auch hauchzart, ohne zu sentimentalisieren. Großartig. Immer wieder, gern nach Chemnitz.

Star des Abends war auch Thomas Irmen. Der Solotrompeter der Robert-Schumann-Philharmonie hatte die schwierige Aufgabe, neue Klangfarben in das bunte Geschehen zwischen Klavier und Kammerorchester hineinzumischen, wenn es denn dem Herrn Schostakowitsch so in den Sinn kam. Heißt: lange Pausen. Aber: Auf dem Kiwif sein, vischelant, wie die Erzgebirger sagen – immer präsent. Einsetzen, aus der Kälte, mit halben oder vollem Dämpfer, Läufe lupenrein bringen, Signale stabstrompetisieren – allein auf weiter Flur, wo denn beim Chatschaturjan gleich 15 Kollegen die Aufgabe übernahmen. Groß!

Und dann waren da noch die (un-)heimlichen Stars des Abends. Ja, unheimlich. Der Organist Martin Sander mit den von Chatschaturjan verordneten Irrsinsläufen, nach dem Motto: sind noch alle Finger dran und sind sie nicht verknotet? Und wuchtigen Brumm-Bässen in den Pedalen, die jeden E-Bass zum Kinderspielzeug machen. Ein junger Mann, schien es. Unkompliziert. Keine Mühe mit nichts. Dabei ist Martin Sander 52 und hochmögender Professor. Eine Entdeckung in Chemnitz.

Und es gab noch mehr Stars. Allen voran die großartige Regine Müller. Nicht nur wegen der virtuosen Soli im Chatschaturjan (Himmel, welche Spielfreude, welche Luft, welche Fingerfertigkeit!), sondern und gerade wegen der wie Hirten-Melodien daherkommenden Gesänge in den drei Mittelsätzen der Gajaneh-Suite vor dem Säbeltanz. So (wenn auch nicht so perfekt) sinnierten wohl einst die armenischen Bauern, draußen bei ihren Festen am Sewansee – wenn das Feuer brannte auf 1900 Meter Höhe. Wenn der Hammel geschlachtet wurde, und die Frauen die vielfältigen Früchte dieses gesegneten Landes in Honig kandierten und auf Schnüre reihten – so wie sie es noch heute machen. (Da kommen wir um ein Wort zur Musik doch nicht rum: Chatschaturjan komponiert manchmal –gerade in der Gajaneh-Suite – eine armenische Tafel voller Leckerbissen ganz unterschiedlicher Art, die nie leer wird, ehe nicht alle aufstehen oder sich müde vom Cognac – den es zu Stalins Zeiten nur für den devisenbringenden Export und für den Kreml gab – oder vom selbstgebrannten Wodka in den Schlummer fielen. Alles ist drin, in der Musik und der Instrumentationskunst dieses Armeniers!).

Gudrun Jahn (Flöte) sei nicht vergessen unter den heimlichen Stars (auch sie hatte armenische Früchte-Perlen schnellschnell auf die Schnur zu reihen), und auch nicht André Schieferdecker. Wenn der die Metallplättchen nicht virtuos bedient hätte, hätten die Säbel beim Tanz nicht gerasselt. Und das alles, ohne dass er da oben vom Orchester-Gegen-den-Takt-Getümmel richtig was hätte hören können… Kompliment.

Wahnsinns-Konzert. Toll.

Zwei Bemerkungen noch:

Beermann weiß, wem er den Beifall zu danken hat. Nicht umsonst schüttelte er stellvertretend für alle Musiker den Chefs der Streichergruppen besonders herzlich einzeln die Hand, vor allem Heidrun Sandmann, die im größten Getümmel die Ruhe behält, weil sie weiß, dass die Blicke der Kollegen an ihrer Einsatzbogenhand hängen. Und er begab sich auch zu den Kontrabässen – sonst reicht da ein ferner symbolischer Händedruck. Aber ohne Bässe-Wumm gibt’s keinen richtigen Schostakowitsch. Und seine Blumen für Regine Müller erreichten die Klarinettistin nicht per Zielweitwurf, sondern artig ganz aus der Nähe…

Beermann weiß aber wohl auch, was er verliert, wenn er Chemnitz verlässt. 18 Trompeter in der Vorweihnachtszeit und volles Orchester in der Hochgrippenzeit – wo wird es das künftig noch kriegen? Der GMD hat viele Türen aufgestoßen und – für dieses Konzert – auch wohl genau das Fenster erwischt, an dem es möglich war. Aber der Erfolg gehört nicht nur Beermann und seinen Philharmonikern. Er gehört dem ganzen Haus. Großartig, was die Theater Chemnitz für ihr Publikum und das Image dieser Stadt tun.

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Und noch eine (politische?) Randbemerkung:

Matthias Worm, der Solobratscher der Robert-Schumann-Philharmonie, hatte bei diesem Konzert Pause.  Chatschaturjan, im georgischen Tiflis geboren (zwei Drittel, sagt man, aller Armenier leben nicht im Land), war gefragter und beliebter Mann in der Sowjetunion. Und wurde gestürzt und wieder auf den Schild gehoben. Er schrieb mit seiner 3. Sinfonie die große Hymne zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution. – Ein anderer Armenier, ein lebender Zeitgenosse, Vache Sharafjan, gedachte jetzt eines anderen Jahrestages, den des Genozids an seinem Volk. Vor hundert Jahren wurden wahrscheinlich mehr als 100.000 Armeniern von Türken umgebracht. Zeit der Versöhnung: Matthias Worm spielte das Solo bei der Uraufführung von Sharafjans „Surgite Gloriae“ Ende November in Berlin. Das Projekt der Dresdner Sinfoniker, die ihn eingeladen haben, wird 2016 nicht nur in Jerewan, sondern auch in Istanbul aufgeführt. Auch eine Weihnachtsbotschaft…