Mozart hat zwar mit der „Zauberflöte“ einen unvergänglichen Welterfolg auf allen Bühnen geschrieben, hat mit dem Doppelkonzert für Flöte und Harfe eines der schönsten Solo-Konzerte komponiert, die es gibt. Aber eigentlich mochte er die Flöte nicht. Hat er zumindest selbst mal dem Vater geschrieben. Aber Mozart war ein Schelm. Mit Genie gesegnet, nicht mit Geld. Kein Wunder, dass er den Auftrag eines reichen niederländischen Flöten-Amateurs annahm, gegen gutes Honorar ein paar Quartette und Solokonzerte für das Querinstrument zu schreiben. Aber auch Genies haben manchmal Zeitnot. Und so nahm Mozart schlichtweg ein eigenes Oboenkonzert vor, wandelte es von C-dur in D-dur, hier ein paar Korrekturen, dort ein paar flötengeeignete Schlenker, und fertig war ein neues Meisterwerk – wenn es meisterlich gespielt wird.
Dafür sorgte am Mittwoch in der Chemnitzer Stadthalle die grazile 41jährige Französin Magali Mosnier. Hochhackig, in langem, satinschwarz japanisch glänzendem Abendkleid mit roten Rosen bedruckt, beweglich wie eine Schlangenverführerin, bezauberte sie mit ihrer goldglänzenden Flöte ihr Publikum.
Ursprünglich hatte sie mal selbst Oboe gelernt, war dann zur Flöte gewechselt. Ein Segen. Ihr Ton ist hell, aber nie schrill. Sie gibt ihm eine Fülle, in der ruhig mal die Oktave mitklingen darf. Ihre Fingerfertigkeit, ihre Atemökonomie, ihre Zunge- und Lippen-Technik sind stupend. Aber vor allem: sie ist musikalisch unwahrscheinlich gut drauf. Hört jedes Motiv, in welcher Ecke des Orchesters es auch angestimmt ist, antwortet präzise im selben Duktus, nimmt haarklein die Phrasierung auf (oder gibt sie vor), wendet sich (sie spielt auswendig) jeweils zu ihren Partner im Orchester – das ist Konzertieren at its best. Dieses Mozartwerk mit Anklängen, nö, nicht an die „Zauberflöte“, sondern an die „Entführung aus dem Serail“, ist dafür aber auch besonders geeignet. Die Melodien gehen unmittelbar ins Ohr- und sind, in den Kadenzen – auch in Bruchstücken sofort zu erkennen. Einfach bezaubernd.
Magali Mosnier sollte nach der Pause ja nochmal auf die Bühne kommen. Aber wie jene verrückte „Welle“ des französischen Landsmanns Pascal Dusapin, 62, ankäme… Kein Risiko eingehen. Zugabe sofort. Wieder Mozart. Das Adagio aus dem Flötenquartett D-dur. Der Dirigent setzt sich ins Orchester. Hört zu, wie die „Quartett“-Streicher die Begleitung zupfen und sich über diesen Pizzikato-Daunen federleicht die Flötenstimme erhebt. Zauberflöte, Flötenzauber.
Dusapins „Galim“ (hebr. Für „Welle“) hat so mit Mozart gar nichts zu tun. Die Flöte krächzt möwig in Clustern über den weißschimmernden Wellenkronen, der Flügelschlag der Vögel ist zu hören – vor dem Hintergrund einer (Orchester-)See, die nur einmal aufrauscht, sonst aber ruhige Abend-Sundown-Stimmung verbreitet. Technisch schwierig das Stück, vor allem für die Solistin, aber perfekt gemacht. Das Ausrufezeichen eines erfrischenden Sorbets in einem kulinarischen (Konzert-)Menü.
Angefangen hatte der Abend mit Glucks Ouvertüre und „Reigen seliger Geister“ aus der Oper „Orpheus und Eurydike“. Kennt jeder, hat jeder im Ohr. Dirigent Andreas Spering servierte aber gleich auf dem Silbertablett, was wir an diesem Abend durchgängig besonders degustieren sollten: herrliche Flötentöne. Stehend wiegten sich die beiden Robert-Schumann-Flötistinnen als selige Geister im Reigen und ließen ahnen, woher später einmal der Franzose gewordene Kölner Offenbach die Idee für seine „Barkarole“ geklaut haben könnte.
Beethovens Sechste als Hauptgang: Was wäre sie ohne Flöte, schon im ersten Satz, vor allem aber im Andante, der lauschigen Szene am Bach. Gastdirigent Andreas Spering, ausgewiesener Kenner der Klassik und Vorklassik, ließ keine drögen, verwissenschaftlichten Sokönnteesdamalsgeklungenhaben-Sperenzchen zu. Gewiss, er packte zu. Vermied jede romantisierende Träumerei. Er ließ schnell spielen (soll der Metronom-hörige Beethoven ja verlangt haben). Aber vor allem: Er ließ anklingen, was auch immer Beethoven sich vorgestellt haben könnte. Die Jagdrufe der Hörner (die hatten’s Spering besonders angetan, und die beiden Hornisten machten alle Ehre), die zwitschernden Vögel in den Holzinstrumenten, der Glanz des Blechs, wenn nach dem Gewitter die Sonne wieder scheint…
Die Robert-Schumann-Philharmonie, in dieser Spielzeit nicht nur in der Oper, sondern auch auf dem Konzertpodium besonders gefordert, hatte sichtlich Freude an diesem spielerischen Auftakt. Aber die Musiker werden auch voll da sein, wenn es alltagsernst wird mit dem neuen GMD. Wenn volle Pulle verlangt wird. Wie schön kann auch mal die kleine, zarte Besetzung sein – mit zauberhaften Föten und einer bezaubernden Flötistin zum Auftakt. Als Amuse gueule gewissermaßen für ein opulentes Menü, das die Theater Chemnitz in dieser Spielzeit mit Wagner, Verdi, Donizetti, Strauss und Strauß (von den Konzerten noch gar nicht gesprochen) auf den Tisch legen, dass er sich biegen wird.