1. Ein selten gespielter Schumann – eine Hommage an den Namenspatron des Orchesters, ein wenig gehörtes Klavierkonzert – Chatschaturjans, des Armeniers mit den vielen sowjetrussischen Orden, geballte Des-Dur-Ladung, Bruckners Vierte – die „Romantische“: Auf den ersten Blick ein anspruchsvolles, aber nicht gerade ein Jubelglanz-Programm mit hineinkomponiertem Beifall, mit dem sich ein scheidender GMD in die Annalen eines Orchesters schreiben will. Aber Beermann war schon für viele Überraschungen gut. Und sein letztes, das 9. Sinfoniekonzert in der Stadthalle, die Generalprobe für die Konzerte der Spanien-Tournee (selbes Programm, im Wechsel nur Beethovens „Eroica“ und das 3. Klavierkonzert), gab ihm wieder mal recht.
2. Die Profis von der Robert-Schumann-Philharmonie hängten sich rein. Und spielten, als ob sie ihrem Cheftrainer (Beermann, bekennender Schalke-Fan, zieht oft selbst Parallelen zu Fußball) zum Abschied noch einmal zeigen wollten, welch klasse Truppe er da verlässt. Beermann ließ sie brillieren, die einzelnen, die Stimmgruppen. Beermann hat Bruckner nicht wegen der Bratschen gewählt. Aber wann dürfen die so oft Bewitzten solch tragende Melodie-Rollen übernehmen? Wenn der Dirigent am Schluss quer durchs Orchester steigt, um den Hornisten (als erstem, die anderen folgten) zu danken, wer wäre da nicht stolz? Beermann und die Robert-Schumann-Philharmonie, das war nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Aber sie haben erkannt, dass sie miteinander Großes leisten können. Klassik-Echos, weltweit erfolgreiche CD- und DVD-Aufnahmen – auch für Profis nicht Alltag.
3. Beermann hat (meist) ein Händchen für passende Solisten. Diesmal war es war es Fabio Bandini, mit dem die Robert-Schumann-Philharmonie schon die Spanien-Tournee 2013 zu einem Triumphzug gestaltete. Ein Tastenzauberer. Ein Elfenbein- (weiße) und Ebenholzschläger (schwarze Tasten), der den Hintern nicht sitzen lassen kann, wenn er mit beiden Händen fortississimo in die Tasten knallt, und der doch so lyrisch-pedalisch schmeicheln kann, als streichelte er Harfen-Arpeggien. Seine a-capella-Stellen im Chatschaturjan (Kadenzen kann man dazu fast nicht mehr sagen) waren von einer solchen musikalischen Qualität, dass wir all die nötige Technik dazu komplett vergessen haben. Nun ist der Chatschaturjan nicht gerade ein aufgemotztes Kinderlied, sondern ein hoch komplexes rhythmisch vertracktes Gebilde. Nach der Spanien-Tournee, da sind wir sicher, wird auch jede Staffel-Übergabe zwischen Solist und Orchester hundertprozentig klappen. Die beiden wissen, was sie und die Robert-Schumann-Philharmonie an diesem Abend geleistet haben. Man musste nur sehen, wie sie sich zum Beifall umarmten, der Solist, der weiß, wie man Chefs umgarnt, und sein Dirigent. Selten hat Beermann sich so oft zu einem Solisten hingewandt, um zu spüren, wie der musikalisch und agogisch tickt. Bidini spielt das Konzert auswendig. Nochmal: Wer aus dem Publikum hatte es vorher schon je gehört? Prasselnder Beifall. Und eine romantisch leise, zur Pause hinführende Zugabe – großartig.
4. Bruckners 4. zum Abschied zu wählen, das passt zu Beermann. Im Herzen ist er ja Romantiker. Und wenn er dann noch die Spätromantik (vor allem die Edge-Rider zwischen Beethoven und Mahler) unter die Finger und den Taktstock kriegt, dann vergisst er die Welt um sich. Ist ja nicht so, dass Beermann nicht wüsste, dass ein Dirigent auch ein bisschen ein Showman sein muss, der das Publikum mitreißt. Ein Bläser kann noch so gut blasen, wie wichtig seine Rolle ist, zeigt der Dirigent mit seiner Körpersprache. Und die beherrscht Beermann. Und sie ihn. Wenn er breitbeinig glänzende Orchester-Tutti in voller Lautstärke zelebriert, dann kann er einfach nicht anders. Dann geht alles mit ihm durch. Rosbaud und Karajan haben Bruckner & Co. auch sitzend dirigiert, als sie diese Mammutwerke stehend nicht mehr bewältigen konnten. Das ist nicht Beermann. Mit ihm gehen – der Schalke-Fan mag’s verzeihen – am Pult die Pferde durch wie bei Kloppo oder Pep an der Seitenlinie. Fußballtrainer dürfen nie Ruhe geben. Ein Dirigent muss das. Und wenn er Beermann heißt, dann kann er auch Pianissimi sorgsam verlangsamen und eine Coda aufbauen, dass das nichts mit Pressing, sondern mit hoher musikalischer Intelligenz zu tun hat (wobei seine Robert-Schumann-Mannschaft auch auf kleinste Gesten sofort höchst effektiv reagiert). Dieser Bruckner, mit seinen sentimentalen und jägerlichen Hörnern, den Spitzen-Trompeten, dem stadthalledurchdringenden Blech überhaupt und den zarten und zart zupfenden Streichern, der Lebensrhythmus gebenden Pauke – ein Wahnsinnswerk. Da bleibt niemand ungerührt. Beermann zelebriert den Bruckner nicht. Er holt schlichtweg, leise oder laut, heraus, was an Motiven da ist. Und lässt spüren, wie en Thema durchs halbe Orchester wandert. Das ist kein Naturgottesdienst bei Beermann, das ist Natur pur. Hie Wald, dort Wiesen, hie Vogelgezwitscher, dort Gewitter. Keine Einheit in der Einheit. Bruckner hat wunderbare Messen komponiert. Nie wäre dem tiefgläubigen Katholiken eingefallen, ein „Sanctus“ und ein „Et incarnatus est“ ähnlich zu komponieren, obwohl alles „soli deo gloria“ dient. Beermann weiß, wie man eine Einheit schmiedet aus Einheitsteilen, die noch keine Einheit sind. Bruckners Vierte am Donnerstag…
5. Mit Schumann hatte es Beermann im Anfang nicht so. Vorher war Tradition, dass immer das erste Sinfonie-Konzert mit einer Huldigung an den Namenspatron begann. Carewe, Caetani, Bareza – sie haben sich daran gehalten. Beermann hat die Tradition vom Pult gewischt. Aber – herrlich, auch Chefs lernen – im Lauf der Zeit (neun Jahre, das ist nicht gerade von heute auf morgen) hat er seinen Schumann entdeckt. Genius loci (auch wenn Schumann Zwickauer war) … Mittlerweile hat er mit der Robert-Schumann-Philharmonie Schumann geradezu aufs Podest gestellt, sogar CDs gemacht. Und wenn er jetzt mit seinen Musikern nach Spanien fährt, dann macht er im Programm keinerlei Verbeugung vor den Spaniern. Aber an Schumann will er nicht vorbei. Die Schumann-Spezialisten kommen! Vom Marketing her genial. Wer kann besser Schumann spielen auf der Welt als die Robert-Schumann-Philharmonie? Nun ist die „Julius Caesar“-Ouvertüre sicher nicht Schumanns bekanntestes Werk. Aber Neues, und Neues zuzumuten, scheut Beermann nie. Vor allem, wenn es passt. Und dieser Schumann passt in seinen Bläser-Streicher-Motivtändeleien traumhaft zu Chatschaturjan und Bruckner. Shakespeare mal weg – wir hörten bei Schumann mehr Caesar als Brutus, mehr siegende Legionen als heimtückische Dolche. Glanz auch nach dem Ende..
Beeindruckendes Abschiedskonzert. Nach dem Bruckner fiel es Generalintendant Christoph Dittrich sichtlich schwer, „nach diesem magischen, fast religiösen“ Erlebnis in den Alltag zurückzuführen. Beermann geht. Und Christoph Dittrich sprach gar von einer Ära, als er ihn mit einem Riesen-Blumenstrauß und herzlichem Dank für „neun Jahre für die Robert-Schumann-Philharmonie, die Theater Chemnitz, das Publikum und die Stadt“ verabschiedete. Und Beermann dankte zurück: „Es war eine schöne Zeit mit Ihnen“, rief er – ohne Mikro – den Leuten im Saal zu. Herzen verstehen sich. Das Publikum stand auf wie ein Mann, jubelte dem GMD zu. Ach so, hatten wir ja schon gesagt.
Danke, Frank Beermann. Und toi, toi, toi für eine erfolgreiche Spanien-Tournee!